Weniger ist mehr

20.06.2001
Von Helga Ballauf
Wer möchte nicht gern weniger arbeiten? Der "Halbtagsjob" hat jedoch auch seine Schattenseiten: unqualifiziert, schlecht bezahlt, ohne Aufstiegschance, Frauensache. Das soll sich mit dem neuen Teilzeitgesetz und einer breit angelegten Infokampagne der Bundesregierung ändern.

Markus F. ist Web-Designer mit einer 19,25 Stundenstelle: Eine Woche sitzt er zwei, die folgende Woche drei volle Arbeitstage am Schreibtisch. "Ach, Sie sind auch wieder einmal da!" Spitze Bemerkungen dieser Art ist er gewöhnt. Anders reagiert die Abteilung bei Kollegin Cornelia E. Sie arbeitet ebenfalls Teilzeit - aber sie ist Mutter. Da akzeptiert jeder, dass sie beruflich kürzer tritt.

Klischees und Vorurteile gegenüber Menschen, die weniger arbeiten, halten sich hartnäckig. Einen besonders schweren Stand haben Männer in hochqualifizierten Jobs, gerade auch in der IT-Branche. Dazu tragen Untersuchungen wie die jüngst veröffentlichte Dissertation des Kölner Volkswirts Achim Krings bei, wonach Teilzeitmodelle nur in wenigen Arbeitsfeldern sinnvoll sind.

Demzufolge wirken sich kurze Arbeitstage negativ auf den Informationsfluss in Unternehmen aus. Krings These: Der Ertrag eines Zwölfstundentag ist, selbst wenn ein Ermüdungseffekt beim Beschäftigten einkalkuliert wird, dem eines Normalarbeitstags überlegen - insbesondere bei schwer standardisierbaren Aufgaben und bei persönlich angelegten Kundenbeziehungen. Nur bei vergleichsweise älteren Arbeitnehmern, die weit gehend abwechslungsarme Tätigkeiten vollziehen, zahle sich demnach Teilzeitarbeit aus.

Die Bundesregierung lässt sich von solchen Studien nicht beirren. Seit dem 1. Januar gilt ein neues Gesetz zur Teilzeitarbeit, das mehr Menschen in qualifizierten Jobs zum Zurückfahren der Arbeitszeit verleiten soll. Ziel ist es, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und eine gerechtere Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zwischen den Geschlechtern zu erreichen. Dieses Gesetz setzt weniger auf Vorschriften als auf Überzeugungskraft.

Das sind die Regeln: Arbeitet ein Mann oder eine Frau länger als sechs Monate in einem Betrieb mit mehr als 15 Beschäftigten, haben sie das Recht, die Stundenzahl zu reduzieren. Sie müssen diesen Wunsch dem Arbeitgeber mindestens drei Monate vorher schriftlich mitteilen. Der kann aus betrieblichen Gründen widersprechen, muss seine Ablehnung aber in jedem Fall begründen.

Gegenargumente können sein, dass eine Stelle als nicht teilzeitfähig gilt oder dass die Teilung unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen würde. Details lassen sich in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen festlegen. Wenn Mütter oder Väter bereits während des Erziehungsurlaubs zeitreduziert gearbeitet haben, darf anschließend ein entsprechender Antrag nicht abgelehnt werden. Das Gesetz über den "Erziehungsurlaub" - jetzt korrekter "Elternzeit" genannt - hat seit Beginn dieses Jahres ebenfalls eine neue Fassung. So können nun Väter und Mütter gleichzeitig die Erwerbsarbeit unterbrechen oder deren Umfang verringern (Details unter: www.mehr-spielraum-fuer-vaeter.de).

Für alle Arbeitnehmer gilt: Wer die Stundenzahl wieder erhöhen will, hat einen Anspruch darauf. Zumindest muss die Firma ihn oder sie bei der Besetzung einer entsprechenden Stelle bevorzugen. Das neue Gesetz eröffnet einer Vielzahl individueller Teilzeitmodelle den Weg. Die klassische Halbtagsarbeit ist nur eines davon. Auf der Homepage www.teilzeit-info.de bietet das Bundesarbeitsministerium umfassende Informationen zu Gesetz und Praxis an (siehe Kasten). Weitere Informationen gibt es auf der CD-ROM „Altersteilzeit“ vom Forum Verlag, mit der aktuelle Aufstockungs- und Versicherungsbeiträge errechnet werden können.

Marktforscher bestätigen, dass Teilzeit nach wie vor auf große Wissensdefizite und Imageprobleme stößt - bei Arbeitgebern und Beschäftigten, bei den Meinungsführern in Wirtschaft und Politik. Andererseits ergab eine Erhebung im Auftrag des Ministeriums, dass 38 Prozent der Vollzeitbeschäftigten bereit wären, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und dafür auf Einkommen zu verzichten. Die Zustimmung steigt, je jünger die Befragten sind, je höher ihr Bildungsabschluss und je größer ihr Haushaltseinkommen ist. Und immer häufiger kommen Arbeitsmarktbeobachter zu dem Schluss, dass diejenigen Unternehmen hochqualifizierte Fachkräfte leichter halten, die Teilzeitmodelle anbieten.

So viele Argumente es gegen zeitreduzierte Jobs in der IT-Wirtschaft gibt, so viele einfallsreiche Lösungen lassen sich finden. Einige Beispiele. Gustav Kollmeier ist im Amt für Datenverarbeitung der Stadt München für die Benutzerbetreuung zuständig. Von Dienstag bis Donnerstag ist er zur Stelle, wenn ein Rechner abstürzt oder neue Funktionen einzurichten sind. Kollmeier hat vor drei Jahren mit Teilzeitarbeit begonnen, "weil ich etwas von meiner Freizeit haben will, solange ich jung bin". Nun kommt ein weiterer Grund dazu: Er wird demnächst Vater.

Die männlichen Kollegen finden seine Entscheidung "ungewöhnlich“. Kollmeier: "Männer tun sich besonders schwer, das Rollenverständnis zu überwinden, wonach sie die Karriere und die Frauen die Kinderpause machen sollen." Der IT-Fachmann fürchtet nicht, dass die Teilzeitarbeit seinen beruflichen Aufstieg bremst. Allerdings will er auch nicht ganz hoch hinaus: "Typische Karrierejobs mit Führungsaufgaben und Personalverantwortung eignen sich wohl nicht für Teilzeit", glaubt Kollmeier.

Ingrid Burgard beweist das Gegenteil. Die Leiterin der Personalabteilung des mittelständischen Softwarehauses Albat und Wirsam in Gießen hat eine 30-Stunden-Stelle. "Ich fing halbtags als Datentypistin an, habe mich dann hochgearbeitet und langsam die Stundenzahl aufgestockt. Aber jetzt ist Schluss", berichtet Burgard. Variable Arbeitszeiten sind für die Frauen in der kaufmännischen Abteilung der Firma nichts Ungewöhnliches.

Inzwischen hat auch ein IT-Berater seinen Fulltime-Job auf eine 4/5-Stelle verkürzt. Kein Problem für die Personalchefin: "Wenn der Kunde weiß, wann sein Ansprechpartner da ist, kann er sich darauf einstellen. Und wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, müssen ohnedies die Kollegen einspringen, die gerade an der Hotline sitzen."

Burgard kann sich dagegen schwer vorstellen, dass ein Entwickler mittags heimgeht und ein Kollege am Nachmittag weiterprogrammiert. Doch das ist reine Gewöhnungssache, wie die virtuellen Teams beweisen, die rund um den Globus im 24-Stunden-Rhythmus Software entwickeln. Teilzeit und Telearbeit ergänzen sich gut: Falls es in der Firma brennt, sind qualifizierte Fachkräfte selbst in der Freizeit erreichbar. Dank Home Office kann sich beispielsweise ein Controller bei Lufthansa Systems Airline Services eine Vier-Tage-Woche genehmigen - die Chance, um Arbeit und Kindererziehung zu verbinden.

Die Web-Mistress in einem Düsseldorfer Fachverlag hat sich für den Sechs-Stunden-Tag entschieden, weil sie fest davon überzeugt ist, dass mehr Freizeit die Kreativität fördert. Der Internet-fähige PC-Arbeitsplatz zu Hause erhöht ihre zeitliche Flexibilität. Alle Fälle zeigen, dass Teilzeitmodelle nur funktionieren, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Unternehmen müssen ihre Arbeitsstrukturen nachvollziehbar definieren. Und sie brauchen ein gutes Betriebsklima, damit in Stresszeiten jeder gerne den Ausfall eines anderen abfedert.