Geldknappheit stoppt die schoensten Modetrends

Wenig neue Erkenntnisse in Sachen kuenstliche Intelligenz

05.03.1993

Trotz anhaltender Appelle von Forschern und Technologiefoerderern wollen weder Regierung noch Industrie viel fuer KI-Konzepte und - Projekte ausgeben.

Kleinere Ausnahmen wie Innovationspreise fuer gelungene Expertensysteme oder sporadische Industrieprojekte machen diese Krise eher deutlicher, als dass sie dem Trend widerspraechen.

Der Herausgeber der deutschen Vierteljahreszeitschrift "KI", Claus Rollinger, warnt trotz der Stagnation der KI davor, von einem KI-Winter zu sprechen. Auch haetten sich die anfaenglichen Foerderer nur zurueckgezogen, weil der durch sie ermoeglichte rasche Aufschwung der KI in den 80er Jahren zum Erwachsenwerden dieser Disziplin gefuehrt habe.

Neue Impulse und groessere Akzeptanz noetig

Die KI sei leider von den ehemaligen Foerderern zu einem Zeitpunkt "auf die freie Wildbahn entlassen" worden, als "der Wettbewerb zwischen den Disziplinen haerter geworden ist". Die allgemeine Geldverknappung habe - wenn man schon vom Winter spreche - zu einem allgemeinen "Wissenschaftswinter" gefuehrt.

Diese Einschaetzung liegt Rollinger sehr am Herzen; er will verhindern, dass pessimistische Erwartungen zu einem Desinteresse an der KI fuehren. Sein Ausweg: weitere Erfolge, universitaere Neuordnung der Informatikausbildung unter Beruecksichtigung der KI, weitere Grundlagenforschung und interdisziplinaere Arbeit. Vor allem bei letzterer wird die immer noch rapide wachsende und sich zergliedernde KI-Gemeinde immer aktiver.

In faecheruebergreifenden Tagungen will man die gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen wie Soziologie, Sprachwissenschaften und Psychologie naeher an die Informatik heranfuehren.

Neue Impulse und Erkenntnisse sowie eine groessere Akzeptanz der KI ist das Ziel. So traf sich etwa im Mai letzten Jahres die Fachgruppe "KI und Gesellschaft" der Gesellschaft fuer Informatik mit der Sektion "Wissenschafts- und Technikforschung" der Deutschen Gesellschaft fuer Soziologie zu einer gemeinsamen Tagung, um verschiedene "intellektuelle Kulturen" einander naeherzubringen.

Die Vortraege von seiten der KI ("Was ist von der alten KI- Programmatik noch zu retten?") und der Soziologie ("Mens ex machina - Zur Soziologie der Kuenstlichen Intelligenz") machten deutlich, dass man von verschiedenen Vorstellungen und Einschaetzungen ausgeht. Immerhin, so resuemieren Tagungsteilnehmer, haetten die Diskussionen aber zu einem besseren gegenseitigen Verstaendnis beigetragen.

Was diese interdisziplinaeren Arbeiten hervorbringen werden, steht noch in den Sternen. Bei aktuellen Einsatzgebieten gibt es immer staerkeren Trend zu neuronalen Netzen. Waehrend Roboterentwicklungen stagnieren, kommen neben regelbasierenden Expertensystemen industrielle Anwendungen neuronaler Netze am schnellsten voran. Woran liegt das?

Viele Expertensystem-Projekte scheitern bis heute, weil der praktische Einsatz Anforderungen stellt, denen sie nicht gewachsen sind. Expertensysteme liefern hoechstens in Ausnahmefaellen in Echtzeit Ergebnisse. Antwortzeiten sind nicht deterministisch und koennen schon bei geringen Inputaenderungen erheblich schwanken. Die Wartbarkeit ist in der Regel schwieriger als bei konventionellen Systemen vergleichbarer Komplexitaet.

Ausserdem sind Expertensysteme heute noch nicht lernfaehig, und die Wissensakquisition gestaltet sich sehr schwierig. Entwicklungszeiten von mehreren Mannjahren sind daher eher die Regel als die Ausnahme. Es hat sich allerdings gezeigt, dass oftmals, etwa bei Diagnose- und Prognoseproblemen, regelbasierte Systeme durch neuronale Netze ersetzt werden koennen.

Dabei koennen, wie Beispiele zeigen, Entwicklungszeiten und - kosten drastisch reduziert und beziehungsweise oder Echtzeitanforderungen erfuellt werden. Besonders fuer den Einsatz neuronaler Netze geeignet sind Anwendungen, wo die Erkennung von Mustern eine wesentliche Rolle spielt - und das ist in viel mehr Faellen der Fall, als man gemeinhin denkt.

Welcher Laie denkt zum Beispiel daran, dass Pupillenkontraktionen nach einem Unfall Rueckschluesse auf vorangegangene Medikamenteneinnahmen zulassen oder dass Aktienkurs-Verlaeufe durchaus analysierbare Muster erzeugen? Aehnlich verhaelt es sich bei Bonitaetspruefungen, Jagd auf Computerviren, Optical Charakter Recognition oder Erdoelsuche.

Doch auch die konventionellen KI-Techniken - regelbasierende Systeme, genetische Algorithmen, Fuzzy Control - bleiben weiter hoch im Kurs, auch wenn sie, anders als die neuronalen Netze, nicht mehr unbedingt zu den Schluesseltechnologien der Informationstechnik der kommenden Jahre gezaehlt werden.

Ein Gartner-Group-Artikel geht der Frage nach, wie sich die Computer- und Kommunikationsumgebung im Verlauf der naechsten fuenf bis zehn Jahre zusammensetzen wird. Dabei werden neueste KI- Projekte an der Columbia University vorgestellt, wo Forscher dabei sind, KI- und Virtual-Reality-Technologien zu verknuepfen. Ein dort entwickelter Prototyp ist in der Lage, einen Benutzer bei Reparatur- und Wartungsaufgaben ueber einen 3D-Stereosicht-Helm anzuleiten.

Standards und Hardware fehlen

Die Gartner Group bezeichnet das als "Breakthrough Project", weil es unbegrenzt viele denkbare Anwendungen fuer derartige Systeme gebe, welche die reale Welt mit wissensbasierter Grafik verknuepfen. Dazu gehoerten Reparaturanleitung, medizinisches und chirurgisches Training sowie automatisierte Handbuecher fuer Konsumgueterprodukte. "Die Wichtigkeit und Allgegenwart dieser Klasse von Anwendungen unterstreicht noch einmal, dass Virtual Reality bereit steht, seine Bluetezeit einzuleiten."

Ob es auch die Bluetezeit der KI wird, bleibt abzuwarten. Neben technischen Problemen wie dem weitgehenden Fehlen von Standards und maechtiger Hardware - hier muessen massive Parallelrechner erst noch zur Reife gebracht werden - spielen ethische nach wie vor eine grosse Rolle. Es gibt Tendenzen, neuronale Netze und kuenstliche Intelligenz in der Urteilsfindung, bei Personalentscheidungen oder weiterhin im Krieg zu erproben und zu perfektionieren.

Natuerlich geht es nicht an, bestimmte Anwendungen aus denunziatorischen Absichten heraus gegen die KI ins Feld zu fuehren, aber es muss klarer herausgestellt werden, welche Perspektiven der Einsatz solcher Systeme eroeffnet. Wuerde etwa ein System zur Aktienkursprognose von vielen Grosshaendlern in gleicher Weise und zur gleichen Zeit eingesetzt, koennten sich die ohnehin schon abenteuerlichen Finanzgeschaefte noch explosiver gestalten.

*Gerd Rimek ist Fachautor in Essen.