Hannover 1977: Keine Jubelmesse

Wenig Mut zu neuen Investitionen

22.04.1977

HANNOVER - Kein Jubel in Hannover, die Stimmung unter den fast 50 Ausstellern aus 42 Staaten "durchwachsen": Die gespaltene Konjunktur im Inland, die dirigistischen Tendenzen im Welthandel und die Sozialpflichtigkeit unternehmerischer Entscheidungen bestimmte die Inhalte der Reden zur 30. Hannover Messe, die von Bundespräsident Walter Scheel eröffnet wurde.

Am Vorabend des ersten Messetages hatte Bundeswirtschaftsminister Dr. Hans Friderichs den Glauben der Bundesregierung an ein reales Wachstum von 5 Prozent bekräftigt. Friderichs bemerkte unter anderem zur Diskussion um Rationalisierungs-Investitionen, daß auch "positive Beschäftigungseffekte" von Rationalisierung ausgehen können, wenn dadurch die betriebliche Wettbewerbsfähigkeit erhöht und gefährdete Arbeitsplätze e sichert werden können.

Bundespräsident: Walter Scheel grenzte ab: "Entscheidungen, die zugunsten größerer ökonomischer Effektivität soziale Belange vernachlässigen oder in den Wind schlagen, sind im Sinne der sozialen Marktwirtschaft keine richtigen, sondern falsche Entscheidungen." Der Bundespräsident betonte, daß Arbeitnehmer ebenso wie die Unternehmer zum Wirtschaftsprozeß gehören, weshalb die Mitbestimmung nur konsequent sei die in seinen Augen eine Stärkung der Stabilität der freien Wettbewerbs-Wirtschaft

darstelle. Für alle liege die Chance der Zukunft in der Entwicklung energie- und rohstoffsparender Technologien.

BDI-Präsident Dr. Hanns Martin Schleyer bezeichnete die Hannover Messe als Spiegelbild der internationalen Verflechtung der deutschen Wirtschaft. Er erklärte, daß noch keine Industrienation seit der Rezession 73/ 74 einen tragfähigen Aufschwung produziert habe. Schleyer forderte, daß die Lohnpolitik von der Verantwortung für die Arbeitslosen geprägt werden müsse, nur so könnten Unternehmer den Mut zum Risiko neuer Investitionen finden.