Pendeln statt Umzug

Wenig Mobilität unter Europas Erwerbstätigen

20.10.2008
Von pte pte
Auch wenn die Wirtschaft zunehmende Mobilität der Menschen fordert, ist die Bevölkerung Europas überwiegend sesshaft eingestellt.

Das ergibt eine repräsentative EU-Studie, die in Brüssel präsentiert wurde. Statt dem Umzug nehmen Menschen eher das Pendeln auf sich, arbeitsbedingte Migration betrifft nur eine kleine Gruppe. 7220 Menschen im Erwerbsalter aus Deutschland, Schweiz, Frankreich, Polen, Spanien und Belgien beteiligten sich an der Erhebung. Trotz einem regional unterschiedlichen Umfeld kamen alle Länder zu ähnlichen Ergebnissen.

Ein Sechstel der Berufstätigen Europas sieht sich selbst als mobil, ein weiteres Drittel war es in der Vergangenheit einmal. Wer keiner dieser beiden Gruppen angehört, lehnt Mobilität eher ab und erwägt eher das Pendeln zur Arbeit als den Umzug. Denn dieser würde die Änderung des angestammten Lebensmittelpunktes bedeuten. Somit wird ein Kompromiss zwischen Heimatverbundenheit und Arbeitsmarktanforderungen erzielt. Ein hoher Grad an Mobilität lässt sich in Europa tendenziell eher bei jungen Männern mit akademischer Bildung nachweisen, die in internationalen Unternehmen tätig sind. Das Bedürfnis, mobil zu sein, ist in den letzten Jahrzehnten rasant gestiegen. "Die 30-jährigen haben heute schon deutlich mehr Mobilitätserfahrung als die heute 50-jährigen", sagt Studienkoordinator Norbert Schneider von der Universität Mainz.

Mobilität hat in Europa ganz unterschiedliche Gesichter. Aus dem mobilen Bevölkerungssechstel pendeln 41 Prozent mindestens zwei Stunden täglich zur Arbeit. 29 Prozent übernachten aus Arbeitsgründen öfter als 60 Mal pro Jahr außerhalb des Wohnortes aufgrund Dienstreisen, Wochenendpendel oder Saisonarbeit. 14 Prozent ziehen innerhalb eines Landes dorthin, wo es die Arbeit erfordert, nur vier Prozent fällt auf internationale Migration und Auslandsentsendungen. Für jeden achten treffen mehrere Formen der Mobilität gleichzeitig zu.

Oft unberücksichtigt bleibt, dass Mobilität ein ambivalenter Begriff mit auch negativen Auswirkungen ist, unter denen die Intimsphäre der Betroffenen leidet. Wochenendpendeln ist für viele Paare die einzige Möglichkeit, Partnerschaft und Beruf unter Einklang zu bringen. Mobile Männer werden dabei von den häuslichen Aufgaben entbunden, für Frauen gilt dies nicht. Anders als für Männer bedeutet für Frauen Mobilität häufig Kinder- und teilweise auch Partnerlosigkeit. Somit ist Mobilität vielfach Hemmfaktor für die Familienentwicklung und verschärft familiäre Situationen. Bisweilen stellt sie jedoch die einzige Alternative zum Abstieg oder der Arbeitslosigkeit dar. "Für ein Viertel der Mobilen ist Mobilität die letzte Möglichkeit zur Existenzsicherung", warnt Anna Giza-Poleszczuk von der Universität Warschau.

Schneider sieht die Studienergebnisse als deutliches Zeichen, dass Politik und Wirtschaft überlegen müssten, wie die Bereitschaft zur Mobilität erhöht und gleichzeitig negative Konsequenzen minimiert werden können. Ein Schritt in diese Richtung wäre, wenn Arbeitgeber die Arbeitszeiten weiter flexibilisieren, mehr Arbeit von zu Hause aus ermöglichen, sich am Mobilitätsaufwand der Beschäftigten stärker beteiligen und die Mobilitätsanforderungen für den Einzelnen beschränken. (pte)