Wenig Interesse an Open-Systems-Gremien Microsoft-Vize: "Im Grunde ist Cairo lediglich ein NT-Upgrade"

25.02.1994

Mit Windows NT versucht Microsoft seit Ende 1993, im Markt fuer Server-Betriebssysteme Fuss zu fassen und zugleich sein Beinahe- Monopol am Desktop auszubauen. Dabei stoesst das Unternehmen auf unerwartete Probleme. Einerseits lassen angesichts der Systemanforderungen die Verkaufszahlen von Windows NT auf der Client-Seite zu wuenschen uebrig. Andererseits tut sich das Unternehmen schwer, sich mit der im Server-Markt maechtigen Open- Systems-Bewegung zu arrangieren. CW-Redakteur Hermann Gfaller fragte Jonathan Lazarus, Vice-President Systems Strategy der Microsoft Corp., wie er sich die Zusammenarbeit mit den Open- Systems-Gremium vorstellt und wie angesichts von Chicago und Windows fuer Workgroups die Zukunft von NT am Client aussehen soll.

CW: Sie treffen sich hier in Muenchen mit Loesungsanbietern. Erzaehlen Sie denen, dass Windows NT aufgrund des mangelnden Erfolgs auf Client-Seite neu positioniert wird?

Lazarus: Die Positionierung hat sich nicht geaendert. Wir haben immer gesagt, dass NT nur auf High-end-PCs laufen wird, nicht auf allen Systemen.

Zugegeben, das Produkt, das wir derzeit ausliefern, braucht mehr Speicherplatz als urspruenglich beabsichtigt, aber es laeuft zum Beispiel auch auf meinem Laptop.

CW: Sie sehen in NT also nach wie vor ein Client-System?

Lazarus: Absolut!

CW: Wie positionieren Sie das Betriebssystem dann gegen die Client-Systeme Windows for Workgroups und Chicago?

Lazarus: Als Server-System ist es diesen Produkten eindeutig ueberlegen, auch wenn Windows for Workgroups einige fundamentale Netz-Features besitzt. Das zweite Argument fuer NT sind die Sicherheitseigenschaften, die den beiden anderen Produkten fehlen.

Als High-end-Client ist NT vor allem bei der Leistung ueberlegen, weil das Betriebssystem sowohl RISC-Rechner als auch Multiprozessor-Plattformen unterstuetzt.

CW: Fuer Sie ist Windows NT also ein Produkt fuer die Unternehmens- DV?

Lazarus: NT eignet sich nicht fuer alle Corporate-User. Unsere Anwender sind versierte Techniker, Ingenieure, Desktop-Publishing- Spezialisten, kurz alle, die auf hohe Rechenleistung angewiesen sind. In diesen Kreisen sind auch die Kosten fuer ein High-end- System mit zwei Prozessoren kein Problem.

CW: Windows for Workgroups und Chicago zielen dagegen auf den Markt der Heimanwender und Kleinunternehmer...

Lazarus: Richtig.

CW: Liegt die Freigabe von Windows NT und Cairo nicht zeitlich zu eng beieinander? Schliesslich schrecken viele Anwender vor den Fehlern einer Version 1.0 zurueck, und wenn die spaeteren Ausfuehrungen kommen, lohnt es sich schon beinahe auf Cairo zu warten.

Lazarus: Das ist ein journalistisches Vorurteil. Die meisten unserer Kunden sind durchaus mit der Stabilitaet der ersten NT- Version zufrieden.

CW: Wenn das stimmt und Microsoft bald massenweise NT-Lizenzen vergibt, warum sollen Ihre Kunden dann in Kuerze auf Cairo umsteigen?

Lazarus: Weil Cairo Funktionen hat, die NT fehlen.

CW: Trotzdem will kein Anwender alle zwei Jahre sein Server-System austauschen.

Lazarus: Das stimmt. Wir haben das gerade in Deutschland mit Anwendern aus der Automobil- und Chemiebranche diskutiert. Denen haben wir versprochen, dass sie nur wenig Umstiegsaufwand haben werden. Im Grunde ist Cairo lediglich ein NT-Upgrade.

CW: Gehoert Cairo nicht der neuen Generation objektorientierter Betriebssysteme an?

Lazarus: Es gibt in absehbarer Zeit keine solchen Betriebssysteme. Vielleicht meinen Sie das Taligent-Projekt von IBM und Apple. Beide Unternehmen haben keine konkreten Zeitplaene fuer ein objektorientiertes Betriebssystem. Wir dagegen liefern mit Windows 3.1 und OLE ein Betriebssystem aus, das mehr objektorientierte Features hat, als jedes andere.

CW: Was ist mit Nextstep?

Lazarus: Seine Verbreitung ist so gering, dass es nicht zaehlt. Was die anderen Mitbewerber betrifft, so finden sie es schoen, ein objektorientiertes Betriebssystem in den Labors zu haben. Fuer die Kunden ist aber nur wichtig, was sie kaufen koennen. OLE ist die einzige Objekttechnik, die heute schon benutzbar ist.

CW: Auch wenn DEC eine Verbindung zwischen dem Messaging-System OLE und den entsprechenden Open-Systems-Techniken der Object- Management-Group geschaffen hat, so bleibt OLE doch ein proprietaeres Produkt.

Lazarus: Reden wir nicht ueber Offenheit, sonst muss ich Ihnen erklaeren, warum Unix nicht offen ist. In meinem Sprachgebrauch heisst der Gegensatz proprietaer versus offen, hohe Stueckzahlen versus Gremienpolitik. Wir haben mit OLE ein Produkt, das wir in grossen Stueckzahlen ausliefern. Bald wird OLE auch auf Macintosh- und Unix-Systemen verfuegbar sein. Das ist es, was zaehlt.

CW: Ihre Definition von Offenheit bedeutet also, dass es reicht, das eigene Produkt auf moeglichst viele Plattformen zu portieren?

Lazarus: Nein. Unser Ansatz ist ganz anders. Anstatt mit Konsortien arbeiten wir mit Anwendern und Entwicklern zusammen. Fuer sie machen wir lauffaehige Produkte, so wie sie verlangt werden.

CW: Sie haben also nichts mit Standards wie dem OLE-aehnlichen Corba der OMG am Hut.

Lazarus: Die Implementierungen von Corba, die es gibt, sind alle inkompatibel. Sind das offene Standards?

CW: Die Version 2 von Corba wird dafuer sorgen, dass die verschiedenen Implementierungen zueinander kompatibel sind.

Lazarus: Es ist unfair, uns an diesen Konsortialtechniken zu messen. Wir haben einen anderen Ansatz, aber wir ignorieren die Standards nicht. Deswegen macht DEC fuer uns eine Schnittstelle zu Corba, so wie wir auch DCE und SQL unterstuetzen.

CW: Es reicht Ihnen also, eine Bruecke zu offenen Systemen zu schlagen.

Lazarus: Lassen Sie es mich anders erklaeren. Offenheit heisst fuer mich, dass der Anwender bei der Wahl der Anwendung frei ist. Die grosse Zahl der Windows-Anwendungen und Plattformen, auf denen sie dank NT laufen, geben ihnen diese Wahl.

Die IT-Manager, mit denen ich spreche, haben zwei Probleme. Sie wollen ihre PCs einbinden mit Anwendungen, die auf moeglichst vielen ihrer heterogenen Systeme laufen und beim Softwarekauf von der Hardware unabhaengig sein. Deshalb lizenzieren wir das Windows- API, so dass die PC-Programme auf allen Plattformen laufen koennen. Und OLE sorgt dafuer, dass die Anwendungen kommunizieren koennen.

CW: Ist diese Haltung der Grund, warum Microsoft keine Rolle in den Open-Systems-Gremien spielt?

Lazarus: Software ist nicht die Sache von Gremien. Gremien bilden Untergremien, die wiederum Untergremien bilden. Das ist das Gesetz, dem sie unterliegen. Das ist reine Politik.

Schauen Sie sich doch Unix an. Sie koennen heute noch keine Solaris-Anwendung unter IBMs AIX ablaufen lassen.

CW: Das soll sich durch den Spec 1170-Standard* aendern.

Lazarus: Das glaube ich nicht. Bisher hat noch jeder Hersteller dafuer gesorgt, dass seine Produkte etwas anders implementiert sind wie die des Mitbewerbers.

CW: Sie halten also nichts von Konsortien.

Lazarus: Es gibt durchaus nuetzliche Dinge, die dort entstehen. Das betrifft vor allem die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Systemen. Wir nutzen diese Techniken, und sie sind wichtig fuer uns. Aber wir lassen uns von den Open-Systems-Konsortien nicht die Schlinge um den Hals legen.

CW: Was meinen Sie damit?

Lazarus: Wir verpflichten uns nicht dazu, Konsortial-Techniken zu uebernehmen. Wir machen statt dessen daraus marktfaehige Produkte.