Entscheider brauchen Nachhilfe in Sachen Sozialkompetenz, denn:

Weiterbildung im Betrieb ist Chefsache

21.08.1987

GRAINAU (lo) - Nicht mehr Faktenwisse büffeln, sondern mit Informationen umgehen können, ist die Maxime bei lebenslangem Lernen. Für Manager wie Sachbearbeiter hängen davon beruflicher und persönlicher Erfolg in einer Arbeitsgesellschaft Im Wandel ab, thematisierten hochkarätige Referenten aus Politik und Wirtschaft auf einem Kongreß des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr in Grainau.

"Bildung ist eine aufmüpfige Angelegenheit": Je unbequemer der Mitarbeiter, desto besser. Denn Roland Schiele taxiert die Qualifizierung der Mitarbeiter schlicht als neuen Produktionsfaktor. Damit hätten sich Führungszirkel indes noch nicht genügend angefreundet, ließ der Leiter der Zentralabteilung Personalpolitik bei der AEG AG in Frankfurt auf dem Kongreß zum Thema "Zukunft der Arbeitsgesellschaft" durchblicken. Der Personalexperte, der für die rund 80 000 Mitarbeiter des AEG-Konzerns verantwortlich zeichnet, betont daher: "Betriebliche Weiterbildung ist Chefsache." Vorgesetzte müßten Vorbild und mit ihrem Know-how Trainer zugleich sein. Er verordnet allerdings auch Entscheidern Nachhilfe - in Sachen Sozialkompetenz: Diese erst mache den Manager zur wahren Führungskraft.

Besonders die hohe Qualität der Weiterbildung hat Priorität. Albert Probst, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Forschung und Technologie, nennt als Gründe die stark rückläufige Bevölkerungsentwicklung, erhöhten Personalbedarf in Industrie und Wissenschaft sowie ein steigendes technisches Niveau. Sie verlangten eine permanente interdisziplinäre und kulturelle Gesamtschau.

Lebenslanges Lernen bedeute aber, ergänzt Personalarbeiter Schiele den Bonner Politikern, weniger Faktenwissen zu sammeln, als vielmehr sich Urteilsfähigkeit zu erwerben. Der Mitarbeiter müsse sich Fach-Informationen beschaffen und dann auch vermitteln können.

Wer also nicht hinzulernt, hat kaum Chancen: Jenen "Spitzenleuten", die ihren Weg bisher ausschließlich über die Praxis gesucht hätten, prophezeit denn auch Ursula Engelen-Kefer eine düstere Zukunft. Gestiegene Anforderungen in Unternehmen erforderten gewandelte Fertigkeiten. Und qualifizierter Nachwuchs aus den Hochschulen sei in zunehmender Zahl vorhanden, so die Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg.

Im Wandel befinden sich auch die akademischen Tätigkeitsprofile. Deshalb müßten vor allem methodische Grundlagen vermittelt werden, erläuterte Dieter Schäfer, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Würzburg-Schweinfurt. Doch auch Sachbearbeiter und Sekretärin können nur mit Zusatzkenntnissen die neue Technik bewältigen. Sie verändert, so verschiedene Prognosen, bis zum Jahr 2000 hierzulande rund fünf Millionen Arbeitsplätze. Dabei verkürzt sich die Halbwertzeit des Wissens zunehmend. Vor allem im Bereich der Angestellten entstünden neue Tätigkeitsfelder, markierte Schiele den Trend. In der Produktion gingen indes die Stellenangebote zurück. Monoberufliche Qualifikationen wichen multifunktionalen Berufsbildern. Seine Interpretation von Rationalisierung lautet: "Künftig ist der Mitarbeiter kein Anhängsel der Technik mehr, sondern mitbestimmender Faktor." Für Facharbeiter an computerintegrierten Maschinen etwa wandele sich die Tätigkeit vom Bedienen zum Betreuen.

Nur der Qualifizierte avanciert jedoch zum Systemführer für den dann Arbeitsinhalte sowie Verantwortung zu-, Schnittstellen dagegen abnehmen. So skizziert Arthur Diederichs von der Siemens AG, Leiter des Bereichs Kleinmotoren im Unternehmensbereich Energie- und Automatisierungstechnik in Würzburg, den Wandel in der Fabrik der Zukunft durch Computer Integrated Manufacturing (CIM).

Da Weiterbildung ein "Instrument zur Beschäftigungssicherung" ist, sollten sich gerade auch Frauen nach Meinung von Christiane Schiersmann, Leiterin des Instituts "Frau und Gesellschaft" in Hannover, "in die neuen Techniken einmischen."

Nicht selten indes mauern Verantwortliche bei der Qualifikation ihrer Mitarbeiter. Meist, so Personalpolitiker Schiele, weil sie vor dem erheblichen "Kostenfaktor Qualifizierung" zurückschrecken. Intensivere Planung, Analysen und rationellere Durchführung, aber auch Kontrolle über Notwendigkeit sowie Lerntransfer könnten hier helfen, das Budget weniger zu strapazieren.

Ob Mann oder Frau - nach Ansicht von Ministerialrat Hanns-Martin Jepsen vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr kann nur der mündige Anwender jene Optionen nutzen, die neue Techniken im Unternehmen eröffneten. Er zeichne sich weniger durch traditionelle Werte wie Fleiß, Ordnung und Disziplin, sondern vor allem durch "Kreativität und Selbstentfaltung" aus. Charakterbildung steht auch für den Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Würzburg-Schweinfurt Schäfer obenan, denn "menschliche Werte liegen außerhalb der Bilanzen".

(siehe auch Gastkommentar, Seite 8)