Weg aus dem Dilemma der absoluten Bindung an Hardwarehersteller:Unix in der mittelständischen Wirtschaft

14.10.1988

Das herstellerunabhängige Betriebssystem Unix, vor wenigen Jahren noch skeptisch belächelt, hat sich zum "Zugpferd" der DV-Branche entwickelt. Seine Funktionalität ist in den vergangenen Jahren stark verbessert worden; und das nur schleppend anlaufende OS/2-Geschäft hat den Unix-Siegeszug im unteren Marktsegment weiter beschleunigt.

Die Akzeptanz des von AT&T bereits 1969 in den Grundzügen entwickelten Betriebssystems ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Dies zeigt sich sowohl in den steigenden Installations-zahlen als auch im wachsenden Unix-Anteil am Betriebssystemmarkt. Die Wachstumsprognosen verschiedener unabhängiger Marktforschungs-institute zeigen, daß dieser Trend ungebrochen ist, und daß gerade dem Mittelstand eine wachsende Bedeutung zukommt.

Zum Durchbruch trugen die Behörden bei, die in verstärktem Maß ein herstellerunabhängiges, aber mächtiges Betriebssystem forderten, das sowohl im kommerziellen wie im technisch-wissen-schaftlichen Bereich auf Rechnern unterschiedlichster Größe einsetzbar sein sollte. Mittlerweile ist dieser Trend bei den Behördenausschreibungen von den USA aus auch nach Europa und nach Deutschland übergeschwappt. An Unix führt kein Weg mehr vorbei!

Die Beschränkung auf Workstations ist überholt

Alle bedeutenden Computerhersteller haben heute Systeme mit Unix-Implementierungen in ihrer Angebotspalette. Dabei ist auffallend, daß die Unix-Systeme ihr ursprüngliches Marktsegment, die Workstations im technisch-wissenschaftlichen Bereich, verlassen. Unix findet sich heute sowohl auf Rechnern mit dem 8036-Prozessor von Intel, also im PC-Bereich, als auch im Mini-Supercomputer-Marktsegment.

Ein zweiter wichtiger Punkt, der zur Akzeptanz von Unix beigetragen hat, ist sicherlich in den Standardisierungs-bemühungen zu sehen. Unix, ursprünglich als Programmierhilfe entwickelt, hat sich nicht nur in der Funktionalität, sondern auch in der Anwenderfreundlichkeit entscheidend verbessert. Durch die weltweiten Standardisierungsbemühungen, vor allem durch Posix und die X/Open Group, sind sowohl offene Standards als auch eine Weiterentwicklung von Unix auf Basis der Anwenderwünsche zu erwarten. Diese Bemühungen werden durch die im Mai erfolgte Gründung der Open Software Foundation (OSF) ergänzt.

Für den Mittelstand spielt neben der Akzeptanz und der Benutzung von Standards die verfügbare Software eine wichtige Rolle. Hier steht mittlerweile eine kaum überschaubare Menge an Softwarepaketen für die verschiedensten Anwendungen zur Verfügung; und die Bereitschaft der Softwarehäuser, weitere Programme zu entwickeln, steigt weiter.

Die Frage "Warum unbedingt Unix?" läßt sich in drei wichtigen Teilen beantworten: Der erste und wichtigste Aspekt ist die Portabilität und Kompatibilität von Anwendungssoftware. Dies wird durch einheitliche Systemaufruf-Schnittstellen erreicht, die durch eine Spezifikation festgelegt und durch einen Validierungstest geprüft werden können.

Weitere Standardisierung wird die Akzeptanz fördern

In der Prioritätenskala der Anwender rangieren Offenheit und Erweiterbarkeit an zweiter Stelle. Dadurch sind einsatz- und anwenderspezifische Ergänzungen überschaubar zu realisieren. Und last but not least, erschließt Unix zunehmend interessante Preis/Leistungs-Relationen auf der Basis neuester Technologien, wenn man an Mehrplatzsysteme denkt, die vom PC-Preisniveau bis zu Systemen mit mehr als hundert Benutzern innerhalb der Standard-RZ-Welt denkt. Die weitere Standardisierung und Zusammenführung von unterschiedlichen Unix-Versionen wird sicher die Akzeptanz weiter fördern.

Die genannten Punkte sind nicht zuletzt auch von Anwendern im kommerziellen Bereich gefordert und mit durchgesetzt worden. Aus diesem Bereich kommt auch der vehemente Druck, weitergehenden

Forderungen nach Datensicherheit zu genügen.

Gerade für den Mittelstand wird die Wettbewerbsfähigkeit wesentlich vom Informationsmanagement und damit auch von der Verfügbarkeit von Daten abhängen. In diesem Zusammenhang muß - in Verbindung mit Unix - verteilten, relationalen Datenbank-Managementsystemen, Sprachen der Vierten Generation (4GL) für Datenbankstrukturierungen sowie der Bürokommunikation auf Basis einer hochleistungsfähigen Unix-Implementierung absolute Priorität eingeräumt werden.

Unter dem Begriff "Informationsmanagement" soll hier die Erstellung von Datenstrukturen, die Erfassung von Daten sowie ihre interaktive Bearbeitung auf zentralen oder verteilten Daten-beständen verstanden werden. Dieser Aufgabenkreis ist im kommerziellen Umfeld von zentraler Bedeutung, und Unix-Systeme stellen sich hier mehr und mehr als eine besonders geeignete Basis dar.

Datenbanken kommt zentrale Bedeutung zu

Am Beispiel der Vielzahl der unter Unix verfügbaren Datenbanken wird dies besonders deutlich. Die zentrale Bedeutung der Datenbank für das Informationsmanagement spiegelt sich sicher - auch - in der AS-400-Ankündigung von IBM wider. Auf die Datenbank aufbauende Hilfen und Werkzeuge bestimmen jedoch die Einsatzmöglichkeiten und Akzeptanz von Systemen wesentlich mit.

Datenbanken sind schon lange nicht mehr nur Sammelstellen für Daten, sondern längst ein Engineering-Tool. Die Strukturierungs-möglichkeiten, die diese großen Systeme heute bieten, erledigen bereits grundlegende Projektarbeiten. Dies zahlt sich aus, wenn beispielsweise Programme angepaßt oder Organisationsmöglichkeiten abgebildet werden sollen. Gerade für expandierende, mittelständische Firmen besteht in diesen Möglichkeiten ein klarer Wettbewerbsvorteil, der vielen Unternehmen noch gar nicht oder nur unzureichend bekannt oder bewußt ist. Da das Informations-management neben dem Human-Resource-Management aufgrund der wachsenden Datenflut in den 90er Jahren zum entscheidenden Produktionsfaktor wird, werden müssen bereits die Weichen für das Überleben von morgen gestellt werden.

Einen weiteren Schwerpunkt für den Mittelstand bildet der Bereich der "klassischen" Bürokommunikation, ein Bereich, in dem sich in den letzten Jahren eine neue Ausprägung vollzogen hat, die man am besten mit dem Begriff der "Technischen Kommunikation" beschreibt.

Dieser Trend in Abteilungen, Büros und an Arbeitsplätzen umfaßt ein ganzes Spektrum zusätzlich zu erledigender Arbeiten, wie die Erstellung von Aktennotizen, Berichten, technischen Beschreibungen oder auch Formblättern, Beilagen und Handbüchern. Die traditionellen Bürotätigkeiten werden dadurch ständig erweitert und erfordern Kommunikationsfunktionen innerhalb und außerhalb als selbstverständliche Basisfunktion.

Ein wichtiger Aspekt der Investitionssicherheit bei der Einbindung bestehender Infrastrukturen ist die Kommunikations-offenheit der Unix-Systeme. Dazu zählt die Unterstützung von Standards wie Decnet TCP/IP und NFS im Bereich der lokalen Netze, X.25 und X400 im Bereich der überregionalen Kommunikation sowie die Möglichkeit von Fremdrechneranschlüssen .

Für den Mittelstand ergibt sich mit Unix die Lösung aus dem Dilemma der absoluten Bindung an Hardwarehersteller. Auch OS/2 kann hier nämlich aufgrund fehlender Software keine Lösung sein. Als Fakt bleibt, daß mit dem Multiuser-/ Multitaskingbetriebs-system Unix eine Systemsoftware vorhanden ist, die langfristig sowohl die bereits vorhandene als auch die noch zu entwicklende Anwendungssoftware sichert.

Wesentliche Impulse in bezug auf die Anwenderfreundlichkeit von Unix werden in Kürze hinsichtlich der Benutzeroberfläche erfolgen. Diese Impulse werden sowohl den allgemeinen Umgang mit dem System (Systemverwaltung) als auch grafische Basisfunktionen für Unix-Programme (X-Window) umfassen.

Generell ist mit diesen steigenden Unix-Funktionalitäten auch der Bedarf nach steigenden Rechnerleistungen verbunden. Leistungen von 1,5 MIPS über 4 MIPS werden unter Verwendung von RISC-Prozessoren (RISC: Reduced Instruction Set Computer) die 10-MIPS-Schwelle überschreiten und schon in mittleren kommerziellen Anwendungen Eingang finden.

Darüber hinaus sind von Unix-Systemen weitere Verbesserungen bezüglich der Datenintegrität und -sicherheit, bisher ein Unix-Schwachpunkt, zu fordern. Als Stichworte seien hier USV (Unterbrechungsfreie Stromversorgung), eine gesicherte physikalische Datenhaltung und automatische Backup-Verfahren genannt. Bei letzterem werden in Zukunft wiederbeschreibbare, optische Disks, unter Umständen auch DAT-Kassetten, eine wichtige Rolle spielen. Im Zuge der wachsenden Datenbestände wird damit eine weitere Forderung der mittelständischen Anwender zu erfüllen sein.