Prozessindustrie/Erweiterte Logistikkette

Wedgewood zog Reorganisation vom Supply-Chain-Management her auf

03.12.1999
Auf stabile organisatorische und finanzielle Beine sollte die 250 Jahre alte "Porzellan-Manufaktur" Wedgewood gestellt werden. Der heute irische Industriebetrieb setzte dabei zunächst auf Supply-Chain-Management, in das sich weitere Prozesse einklinken sollten. Andrew Stanistreet* berichet.

Bereits 1996 wurde bei Wedgewood ein "Millennium-Plan" aufgestellt. Ziel war die völlige Neustrukturierung des Unternehmens sowie seiner finanziellen Situation. Teil des Plans waren die Reduzierung des Lagerbestands, die Verringerung von Lieferzeiten sowie verbesserte Kundenbeziehungen.

Um die hochgesteckten Ziele im Bereich Logistik zu erreichen, entschied sich Wedgewood unter anderem für das Supply-Chain-Management-System "Mimi" von Aspen Tech.

Dieses System sollte das Management mit Informationen versorgen, die fundierte Entscheidungen über den richtigen Produktmix und die aussichtsreichsten Märkte erlauben. So sollten Umsatz und Gewinn optimiert, die Lieferungsanforderungen sehr viel genauer vorgeplant und Lager so organisiert werden, daß sowohl die Kundenbedürfnisse als auch die logistischen Randbedingungen erfüllt werden.

In einer ersten Analyse mußte das Wedgewood-Team zunächst eine hypothetische Logistikkette entwickeln. Dieser Prozeß umfaßte nicht nur Absatzplanung sowie Planung und Ablauf der Logistikkette, sondern machte auch eine Neuplanung der Organisationsstrukturen und -systeme erforderlich.

Eine Analyse der Diskrepanz zwischen den damaligen Betriebspraktiken, -verfahren und -systemen einerseits und dem Entwurf andererseits ergab eine vorrangige Dringlichkeitsstufe bei den taktischen und operativen Planungsprozessen und Systemen. Die strategische Planung hingegen sollte zu einem späteren Zeitpunkt überarbeitet werden. Auch die Verbesserung der Absatzplanung wurde für eine spätere Umsetzungsphase vorgesehen.

Die zu diesem Zeitpunkt verwendeten Systeme erwiesen sich als unbrauchbar, weswegen man nach einer passenden Software suchte. In diesem Auswahlprozeß wurde Wert darauf gelegt, daß die Software einen größeren Funktionsumfang bietet, als zum Beispiel die Absatzplanung, um langfristig ein integriertes System zu ermöglichen. Die Absatzplanung wurde letztlich erst während der Projektimplementierung hinzugefügt.

Wedgewood verfügt über zirka 20000 Artikel, vom kleinen Gefäß bis zum kompletten Teeservice, die weltweit vermarktet werden. Berücksichtigt man Sonderpackungen, bedruckte Artikel etc., sind es etwa 125000 Artikel. Bei diesem Lieferspektrum kamen lediglich zwei Anbieter in Frage, die die Anforderungen an ein passendes Supply-Chain-Managements erfüllen konnten. Was letztlich den Ausschlag für "Mimi" gab, waren bereits erfolgreiche Einsätze in Projekten mit ähnlichen Ausmaßen und Anforderungen: so bei Philip Morris in North Carolina.

Da für das Wedgewood-Projekt eine Neugestaltung der Geschäftsvorgänge notwendig war, legte man großen Wert auf die Einbindung sowohl von "Kunden" (Produktions-, Einkaufs- und Marketing-Planer) als auch von "Anwendern" (Vertriebs- und Produktionsplaner) des Systems. Die neuen Geschäftsabläufe mußten also organisatorische Grenzen überwinden und die Mitarbeiter zur direkten Kommunikation und engeren Zusammenarbeit bewegen. Das begann bereits mit der Einbindung in den Planungsprozeß, was zu einer starken Identifikation der Anwender mit der Lösung führte. Dieser Ansatz hat den Wandel äußerst positiv beeinflußt und war die einzige Möglichkeit, das System in einem Unternehmen mit 250jähriger Tradition erfolgreich und mit hoher Akzeptanz einzuführen.

Einer der zahlreichen Pluspunkte ist die engere Zusammenarbeit mit den Lieferanten. Speziallieferanten liefern zum Beispiel die wichtigen Lithotransfers für die Muster auf dem Fine-Bone-Porzellan und dem Steingut. Davon gibt es mehrere tausend, wovon jedes jeweils nur für einen Artikel benutzt wird. Die Herstellungszeiten waren immer schon sehr lang und haben häufig mehr als 13 Wochen betragen.

75 Prozent der Transfers werden von einem einzigen Lieferanten bezogen, der nun eine Art verkäufergesteuerte Versorgung einrichtet. Bei diesem Ansatz entwickelt der Lieferant zusammen mit Wedgewood einen Planungsprozeß, der die Randbedingungen des Lieferanten berücksichtigt und angemessene Lagerbestände sicherstellen soll. Der Lieferant muß dann auf Meldungen des Systems bei Unter- oder Überschreiten der Lagerbestände reagieren. Dieser Ansatz erfordert ein Umdenken sowohl beim Lieferanten als auch bei Wedgewood und eine mehr partnerschaftlich ausgerichtete Geschäftsbeziehung, da beide Parteien sich in einer starken gegenseitigen Abhängigkeit befinden.

Durch den Einsatz von Supply-Chain-Management ist Wedgewood in der Lage, die Anforderungen an Vertrieb, Produktion und Rohstoffanlieferung besser zu antizipieren. Das Unternehmen verfügt jetzt über Informationen für taktische Entscheidungen bezüglich Produktmix und Zielmärkte. Außerdem kann sich die Lagerhaltung auf künftige Anforderungen einstellen.

Aussagefähigster Indikator für die Wirkung des Projekts ist, daß die Planer heute die Ergebnisse ihrer täglichen Arbeit unmittelbar vor Augen haben.

ANGEKLICKT

Vor etwa 250 Jahren gründete Josiah Wedgewood eine Firma, die weltweit für britisches Luxusgut im Bereich Tischkultur steht. Besondere Berühmtheit genießt das blaue und weiße "Jasper", ein Porzellan mit Reliefdekor. Mittlerweile ist dieses "Wedgewood" Teil des Angebots des irischen Porzellan- und Glasherstellers Waterford Wedgewood, der diese immer noch weltweit geschätzten Service und Einzelteile herstellt. Die Fähigkeit des heutigen Wedgewood-Produzenten, auf die Anforderungen des Marktes zu reagieren, basiert nicht zuletzt auf dem Einsatz von Supply-Chain-Management.

Stunden für den ersten Durchlauf

Angesichts der 125 000 Lagerartikel, 13 Märkte und zehn verschiedenen Planungszeiträume stellt die erste Stufe des Projekts die größte Anforderung an die lineare Programmierung dar. Ein Projekt dieser Größe auf einem NT-Rechner ist außergewöhnlich. Der erste Durchlauf für jeden monatlichen Planungszeitraum benötigt zirka vier bis sechs Stunden Rechnerzeit (200-Megahertz-Pentium mit 1 GB Speicher und einem RAID-Speicher von 27 GB). Nach Abschluß dieses Durchlaufs werden für das Simulieren von alternativen Szenarien zur Feinabstimmung des Planungsprozesses für jede Veränderung nur noch wenige Minuten benötigt.

*Andrew Staanistreet ist IT-Manager bei Waterfront Wedgewood.