Öffnung für Kunden ist der letzte Schritt des Westfleisch-Projekts

Web-Warehouse soll Vertrauen schaffen

14.05.1999
Was ist eigentlich in meiner Wurst alles drin? Und wo kommt das Rind her, das die Zutaten geliefert hat? Der Vision einer umfassenden Verbraucheraufklärung will die Westfleisch eG, Münster, im Herbst dieses Jahres einen Schritt näherkommen, indem sie ihr neues, Java-basiertes Informationssystem auch für die Internet-Gemeinde öffnet. Andreas Romppel* beschreibt das Projekt.

"Fleisch ist absolute Vertrauenssache - gerade angesichts der Hormon- und BSE-Skandale der Vergangenheit", weiß Joachim Badde, Abteilungsleiter Information und Kommunikation bei Westfleisch. Und Vertrauen entsteht durch Information. Westfleisch muß pro Jahr die Daten von drei Milllionen Schweinen und 300000 Stück Großvieh verarbeiten, die von Hunderten von Zulieferbetrieben kommen und an Tausende von Weiterverarbeitern sowie Lebensmittel-Einzelhändlern gehen. Da ist die Sache mit der Information nicht ganz so einfach.

Alles fing mit einem unguten Gefühl an. "Wir hatten die Kosten im Griff, aber in bezug auf Kunden und Lieferanten bestand eine Informationslücke", erinnert sich Badde. Wenn in einem bestimmten Bereich die Umsätze einbrechen, verraten weder operative Standardapplikationen noch irgendein Enterprise-Resource-Planning-System den Grund dafür. In der Vergangenheit nutzte Westfleisch im Berichtswesen deshalb "Crystal Reports 5.0" von Seagate. Gegenüber den ständig steigenden Anforderungen erwies sich die Software jedoch als zu unflexibel.

Badde gewann die Überzeugung, daß sich die Informationslücke nur mit einem Data-Warehouse würde füllen lassen. Der Grund lag vor allem in den gewaltigen Datenmassen. Jedes Schwein, das bei Westfleisch verarbeitet wird, steht eigentlich für mehrere hundert Artikel, deren Preise stark schwanken.

Das geplante Data-Warehouse sollte sich in kleinen und überschaubaren Schritten einführen lassen sowie schnell Ergebnisse liefern. Zudem stellte Westfleisch die Bedingung, daß das System auf Java basieren sollte, so daß es plattformunabhängig ist und Installations- sowie Administrationsaufwand möglichst gering bleiben. Auf der Wunschliste stand darüber hinaus die weitgehend problemlose Einbindung des hauseigenen SAP-Systems und der eigenentwickelten Warenwirtschafts-Software "Integriertes Fleischinformationssystem" (Ifis). Letztendlich sollte sich das Data-Warehouse auch für Endverbraucher und Kunden sowie von Lieferanten öffnen lassen.

Durch eine Fachzeitschrift wurde Badde auf den Anbieter Sqribe Technologies aufmerksam. Sqribe ist offizieller BAPI-Partner der SAP in den Bereichen Olap und Reporting. Zudem konnte das Software-Unternehmen, das kürzlich von Brio Technology Inc. übernommen wurde, eine integrierte Lösung bieten. Das System erlaubt also auch die Übernahme der Altdaten aus dem Siemens-Betriebssystem BS2000, aus Informix-Datenbanken, aus der SAP-Standardsoftware R/3 sowie aus diversen Access- und Excel-Dateien, ja sogar aus Ascii-Files. Last, but not least versprach Sqribe - ein wichtiger Punkt für Badde - die betriebswirtschaftliche Begleitung in der Einführungsphase.

Ende Juni 1998 traf der Konzern die Entscheidung, "Sqribe Enterprise" im gesamten Unternehmen einzuführen. Der Anbieter erhielt den Auftrag für die Installation des Berichtsgenerators "SQR", des Olap-Tools "Power Sqribe", des Java-Reporting-Werkzeugs "Report Mart" sowie der R/3-Schnittstelle "Ara Sqribe".

Eine gewisse Scheu vor der völligen Transparenz

Die Einführung des Enterprise-Informationssystems sollte sich über mehrere Phasen erstrecken. Zunächst haben die Bereiche Vertrieb von Lebensmitteln sowie Ein- und Verkauf von Nutz- und Schlachtvieh ermittelt, aus welchen Quellen die zu aggregierenden Daten stammen. Dann wurde der genaue Informationsbedarf der einzelnen Abteilungen festgestellt und damit begonnen, die externen Geschäftsstellen anzubinden, so daß zur Mitte des Jahres komplexe Abfragen, beispielsweise Mehrjahresvergleiche, möglich sein werden. Die dritte Phase steht unter dem Zeichen der Öffnung nach außen: Die Lieferanten und später auch die Endkunden sollen die internen Informationen direkt nutzen können.

Die Implementierung der Software erforderte einen Aufwand von 250 Personentagen, allerdings ohne die Korrekturen und Feinjustierungen des Systems. Auf der technischen Seite gab es keine Probleme. Wie Badde einräumt, galt es jedoch, die Vorbehalte der Geschäftsstellen zu überwinden. Diese waren - bis dahin als Profit-Center geführt - stark darauf bedacht, Herr ihrer Zahlen und Daten zu bleiben. Folglich existierte eine gewisse Scheu vor der völligen Transparenz.

Doch letztlich ließen sich die Fachbereiche durch die Vorteile überzeugen: So kann der Ein- und Verkauf von Nutz- und Schlachtvieh seine Produzenten jetzt besser beraten. Jedes geschlachtete und zerlegte Schwein wird beim Eingang per Ultraschall auf etwa 2000 Einzelmerkmale untersucht, die in ihrer Gesamtheit eine qualitative Klassifizierung ermöglichen. Dadurch, daß die Daten in Sqribe Enterprise aufgenommen und analysiert werden, lernen die Bauern unter Umständen, ihr Viehfutter noch besser zu kombinieren als bisher.

Entwicklungslinien lassen sich unter Berücksichtigung der gelieferten Qualitäten betrachten und prognostizieren. Zudem kann auf die zu erwartende Liefermenge eines bestimmten Produzenten geschlossen werden. Im Klartext: Es läßt sich sofort ermitteln, wer in den vergangenen sechs Wochen nicht geliefert hat und deshalb angerufen werden kann, wenn 1000 fehlende Schweine herbeizuschaffen sind.

Auch der Außendienst läßt sich genauer steuern, weil der Umsatz einzelner Lieferanten unter verschiedenen Aspekten abgebildet werden kann. Detailliertere Informationen über die Umsatzentwicklung und -verteilung des Kunden erleichtern die Jahresgespräche.

Darüber hinaus ist für den Vertrieb ein umfassender Vergleich der Artikelportfolios möglich - zum Teil mit mehreren hundert Einheiten bei 5000 LebensmittelEinzelhändlern. Das ermöglicht eine Antwort auf die Frage, welcher Kunde mit welchem Portfoliotyp den höchsten Deckungsbeitrag liefert. Eine exakte Auskunft darüber und die optimale Anpassung der Produktzusammenstellung hilft nicht nur dem Händler, seinen Umsatz zu erhöhen, sondern auch dem Endkunden, das zu finden, was er sucht.

Dank Java-Programmierung und Hypertext Markup Language (HTML) ist bei Westfleisch die individuelle Arbeitsumgebung künftig via Browser von jedem Platz aus erreichbar. Zusätzliches IT-Personal ist nicht erforderlich; die Schulung der Mitarbeiter dauert zwei Tage. Die Einführung in überschaubaren Einzelschritten und mit schnellen Zwischenerfolgen trägt außerdem dazu bei, daß die Mitarbeiter die neue Lösung akzeptieren.

Sechs bis acht Wochen nach dem Start des Projekts lagen die ersten Ergebnisse vor. Als Konsequenz daraus wurde begonnen, den Vertrieb umzustrukturieren. "Das war zwar schon voher geplant, aber jetzt konnten wir mit harten Zahlen die Richtigkeit dieser Schritte belegen", erläutert der Sqribe-Mitarbeiter Thomas Oestreich, der als Projektleiter während der Einführung des Informationssystems bei Westfleisch stationiert ist. So werden beispielsweise kleine Kunden nicht mehr direkt beliefert, sondern gebeten, sich über den Großhandel zu versorgen.

Der Außendienst bekommt Umsatzzahlen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen ins Web gestellt, um jederzeit auf aktuelle Daten zurückgreifen zu können. Die Transparenz fördert selbstverständlich auch Defizite ans Tageslicht. IT-Leiter Badde: "Wir merken jetzt, daß die Qualität unserer Stammdaten nur ausreichend ist. Wir werden von unserer Seite aus sehr stark nacharbeiten müssen, was zum Beispiel die Eingabe und Klassifizierung unserer Geschäftspartner angeht."

Zentrale Aspekte des Projekts waren die Kundenbindung auf Ebene der Lieferanten, Weiterverarbeiter, Händler und Endkunden sowie die Verbesserung der betriebswirtschaftlichen Abläufe durch die Einrichtung eines umfassenden Controllings. Ergänzt werden sollen sie durch weiterführende Projekte: Bei der Westfleisch-Tochter Westfalenland wird beispielsweise ein Vertriebsinformationssystem aufgebaut, das eine umfassende Artikelbewertung über ein Kennziffernsystem erlaubt.

Daneben ist geplant, die langfristigen Auswirkungen von Personalkosten auf Basis von SAP-R/3-Daten mit Sqribe zu ermitteln. Und für die Zukunft strebt Westfleisch an, Sqribe Enterprise für den gesamten SAP-Auswertungsteil zu nutzen. Am Ende dieser Entwicklung sollen auch die Kunden mittels Web-Adresse und Kennziffer im riesigen Datenbestand von Westfleisch recherchieren können, ob es denn bei unserer Nahrung mit rechten Dingen zugeht.

Das Unternehmen

Mit mehr als 1,8 Milliarden Mark Umsatz ist die Westfleisch Vieh- und Fleischzentrale Westfalen eG einer der großen Player in der fleischverarbeitenden Industrie. Das Unternehmen hat einen Anteil von etwa 7,5 Prozent an den gewerblichen Schweineschlachtungen und von 6,1 Prozent bei den Großviehschlachtungen in der Bundesrepublik Deutschland. Die eingetragene Genossenschaft besteht aus der Hauptverwaltung in Münster, fünf Schlacht- und Zerlegebetrieben in Coesfeld, Hamm, Lübbecke, Paderborn und Münster-Nienberge sowie der Westfleisch Schlachtfinanz AG, Münster. Sie ist zudem an acht Handelsgesellschaften beteiligt. Rund 1400 Menschen arbeiten in den verschiedenen Bereichen des Konzerns.

*Andreas Romppel ist Fachjournalistin in Wiesbaden.