Analysten sind gegen unterschiedliche Tarife für Sprache und Daten

Web-Telefonie: EU-Kommission faßt politisch heißes Eisen an

30.05.1997

In der jüngsten Ausgabe des "European Unions Official Journal" hat die EU Interessenten aufgefordert, bis Anfang Juli 1997 Kommentare und Stellungnahmen zum Thema Internet-Telefonie abzugeben. Die Kommission will sich unter anderem auf diese Weise ein Bild davon machen, ob Telefondienste, die über das Netz der Netze angeboten werden, denselben Regeln unterliegen sollen, die für die Sprachkommunikation der traditionellen Netzbetreiber gültig sind.

Ein Sprecher des für Wettbewerb zuständigen EU-Kommissars Karel van Miert bestritt eine rein politische Motivation der Debatte. Er räumte andererseits aber ein, daß die Anbieter klassischer Sprachservices erhebliche Umsatzeinbußen befürchten, wenn sich die um rund 80 Prozent preiswertere Internet-Telefonie ohne Beschränkungen durchsetze.

"Die Netzbetreiber werden natürlich unter den ersten sein, die auf unsere Anfrage antworten", sagte ein Mitglied der Kommis- sion, das anonym bleiben möchte. Der Insider räumte ein, daß Brüssel mit Hilfe der Initiative Informationen über den Markt sammeln wolle und definitiv kein Interesse daran habe, die neuen Dienste in eine Zwangsjacke aus Bestimmungen zu stecken.

Analysten zufolge ist es fast unmöglich, die unterschiedlichen Services auf dem Internet zuverlässig zu verfolgen. Außerdem halten es Marktbeobachter für einen Fehler, die Daten- und Sprachkommunikation im Web mit verschiedenen Gebühren zu belegen.

"Wenn die Sprache end-to-end über eine Internet-Verbindung auf Basis von IP transportiert wird, dann sollte sie einfach als Datentransfer behandelt werden", meint Tony Dench, Analyst der Yankee Group. Es sei, so Dench, ein Anachronismus und Rückfall in die 70er Jahre, wenn Sprache und Daten aus steuertechnischen und politischen Gründen wieder unterschiedlich tarifiert würden, obwohl sie über das gleiche Medium übertragen werden.