Die Etablierung des Marktes lässt auf sich warten

Web-Services: Neuer Hoffnungsschimmer?

14.06.2002
MÜNCHEN (rs) - Mit Web-Services möchte die IT-Branche einen neuen Trend schaffen. Marketing-Kampagnen betonen vor allem das Wohl des Kunden - die erhoffte Rückkehr auf den Wachstumspfad dürfte indes die wahre Motivation der gebeutelten IT-Industrie sein.

Web-Services sind in aller Munde. Besonders kräftig schallt es aus der Ecke der großen Software- und IT-Services-Anbieter. Gemeinsam mit Referenzkunden wie Daimler-Chrysler oder United Airlines haben sich bereits mehr als 100 Hersteller zur Web Services Interoperability Organization (WS-I) zusammengefunden und demonstrieren damit bisher kaum gesehene Geschlossenheit. Zumindest für eine Weile. Neue Geschäfte locken, wenn es gelingt, der Kundschaft die versprochenen Standards zu bieten. "Wenn wir nicht den Bedarf gesehen hätten, hätten wir die Initiative nicht gegründet", sagt Kristof Kloeckner, CTO für die technische Produktentwicklung von IBM Websphere. Dass die Kundenwünsche durch die Marketing-Maschinerie der IT-Szene geweckt wurde, spielt nur noch eine untergeordnete Rolle, jetzt geht es darum, wer das Rennen macht.

Anbieter reiten auf der Konsolidierungswelle

Die Verkaufsargumente liegen bereit. Dank der offenen Schnittstellenstandards ermöglichen Web-Services die Kommunikation unterschiedlichster Anwendungen miteinander. Dadurch, so die Aussagen der Industrie, erleichtert sich vor allem die technische Integration von Anwendungen und erhöht deren Flexibiliät beim Austausch einzelner Komponenten. In der Anfangsphase, die Experten auf rund zwei Jahre schätzen, sollen sich Web Services vor allem innerhalb von Unternehmen bewähren. Dort sind Konsolidierung und Kostenreduzierung die derzeit dringendsten Themen. Erst im zweiten Schritt dürften Web-Services in großem Stil als unternehmensübergreifende Dienste im B-to-B-Geschäft reüssieren.

Auf diese stürmen nun alle zu - Softwaregeneralisten wie IBM, Sun oder Microsoft ebenso wie EAI-Spezialisten à la Tibco und Iona, Application-Server-Anbieter wie Bea Systems oder IT-Dienstleister wie Accenture. Anders als beim E-Business-Hype, wo vor allem Startups die Entwicklung trieben, wird der Markt eindeutig von den Big Playern gepusht. Diese positionieren sich vor allem über ihr breites Angebot. Hinter den mit Web-Services verbundenen Markennamen wie .NET (Microsoft), ONE (Sun) oder Websphere (IBM) verbergen sich nicht einzelne Produkte, sondern eine vollständige Softwarearchitektur. So vermarktet Sun beispielsweise sein Betriebssystem Solaris genauso innerhalb der ONE-Architektur wie das gesamte Spektrum von Iplanet, ergänzende Anwendungen wie Webtop oder Dienstleistungen wie Integration. Das Geschäft mit Web Services, so steht zu vermuten, soll somit den Verkauf ganzer Produktserien ankurbeln.

Dabei wird gerne übersehen, dass die Innovationskraft von Web-Services auch ihre Grenzen hat, letztlich sind sie "technisch nichts Neues", relativiert Jost Hoppermann, Vice President Research Europe der Giga Information Group, "Vorhandenes wurde gebündelt und intelligent weiterentwickelt." Geschäfte winken trotzdem. Im Schatten der großen Anbieter hoffen auch Nischenanbieter, die sich auf bestimmte Teilaspekte von Web-Services konzentrieren, auf gute Einnahmen.

Kleine Anbieter dürften verschwinden

In den USA gibt es bereits eine Reihe von Startups wie Grand Central, Flamenco Networks, Avinion, Bind Systems oder Interkeel, die beispielsweise Integrationsdienste beziehungsweise Web-Service-gestütztes Prozess-Management anbieten. Ob sich all die kleinen Anbieter behaupten werden, wird jedoch bezweifelt, wahrscheinlicher ist, dass sie im Laufe der Jahre von größeren Akteuren geschluckt werden. "Manche dürften sogar ihr Geschäftsmodell darauf ausgelegt haben, in einigen Jahren gekauft zu werden", vermutete Charles Holms, Senior Analyst von Forrester Research.

Wie viel sich überhaupt im Umfeld der neuen Produkte und Dienstleistungen verdienen lässt, weiß keiner. Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen, nicht nur weil es sich um einen noch im Aufbau befindlichen Markt handelt, sondern weil Web-Services im herkömmlichen Sinn kein Produkt, sondern eher eine bestimmte Standardisierung für einzelne Produkte oder Dienstleistungen bezeichnet. "Es ist schwierig von einem einzigen Markt zu sprechen. Aus unserer Sicht gibt es eine ganze Reihe von Teilmärkten", so Hoppermann, "vielleicht redet man besser von Lösungsbereichen."

Marktzahlen sind mit Vorsicht zu genießen

Versuche, den Markt für Web-Services mit Prognosen zu unterlegen, gibt es dennoch. So rechnet IDC mit einer regelrechten Explosion des einschlägigen Marktvolumens von 1,6 Milliarden Dollar im Jahr 2004 auf 34 Milliarden Dollar nur zwei Jahre später. Gartner-Analysten schätzen, dass sich um Web-Services he-rum bis 2005 ein 28-Milliarden-Dollar-Markt entwickeln wird. Der Großteil der Summe, 17 Milliarden Dollar, fließt demnach für Dienstleistungen in Form von Beratung und Schulung, Implementierung und Integration sowie Management und Wartung.

Die beste Ausgangsposition in dem noch jungen Markt wird Microsoft und IBM eingeräumt. Sie haben frühzeitig die Werbetrommel gerührt und auch auf Seiten ihrer Produkte eine breit angelegte Web-Services-Strategie verfolgt. Mit .NET Visual Studio präsentierte Microsoft als erster der großen Anbieter ein Entwicklungs-Tool für Web Services. Im Lauf des Jahres sollen weitere Produkte Web-Service-fähig gemacht werden. Die Vertriebsstrategie der Redmonder konzentriert sich vor allem auf den Verkauf ihrer Software. "Wir sind kein Beratungsunternehmen, das sich um das Geschäftsmodell seiner Kunden kümmert", betont Uwe Cohrs, Business Development Manager in der Developer Group von Microsoft. "Wir können Ideen einbringen und helfen den Kunden bei der Implementierung."

Wesentlich umfassender stellt sich IBM auf. Auch hier wird die Web-Services-Strategie in großem Stil vermarktet. Ursprünglich lediglich der Name von Big Blues Application-Server gilt "Websphere" nun als Marke, die auch für Anwendungsintegration und Infrastruktursoftware steht. Hier hat das Geschäft bereits begonnen. "Wir stehen nicht nur in den Startlöchern, sondern arbeiten schon in ersten Projekten", weiß IBM-CTO Klöckner zu berichten, "fast jeder große Kunde spielt bereits mit Web-Services."

Als Verfolger gelten Bea Systems und Sun Microsystems. Bea, führend im Application-Server-Markt, hat mit seiner letzten Version von Weblogic bereits erste Web-Service-fähige Elemente integriert, scheiterte nach Ansicht von Marktbeobachtern jedoch bislang an seiner Marketing-Strategie. "Erst wenn die Firmen erkannt haben, dass Web-Services auf bestehenden Tools und Codierungen aufbauen, wird Bea ins Geschäft zurückkehren", kommentiert Frank Gillet, Analyst beim Marktforscher Forrester Research, die Position der Company.

Produkte fehlen häufig noch

Anders verhält es sich bei Sun. Laut Gillet folgte hier einer aggressiven Marketing-Strategie keine entsprechende Produktentwicklung. Sun hält dagegen: "Die Marketing-Strategie ist wichtig, damit der Kunde erkennt, dass wir eine durchgehende Produktpalette haben", rechtfertigt Hellmuth Broda, CTO bei Sun für die Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika (Emea), die Vorgehensweise. Denn rein technisch gesehen hält er Web-Services lediglich "für eine Weiterführung bereits vorhandener Technologien". Als Sun ONE (Open Network Environment) hat der Hersteller nun sämtliche Produkte, vom Server über Software und Entwicklungs-Tools bis hin zu Professional Services, unter einer Dachmarke zusammengeführt.

Auch HP und Oracle und mit ihnen nahezu sämtliche namhaften und viele weniger namhaften Vertreter der Softwarebranche haben sich das Thema Web-Services auf die Fahnen geschrieben. Während Oracle noch mit einem Imageproblem kämpft, da die Kunden seine Marke Dynamic Services nicht als Plattform für Anwendungsentwicklungen akzeptieren, steht HP die Fusion mit Compaq im Wege. Erst Ende Juni gibt der Hersteller seine neue Strategie für das Softwaregeschäft bekannt. Denkbar ist auch, dass HP sich weitgehend aus dem Produktgeschäft zurückzieht. Auf einem Analystentreffen Ende der ersten Juniwoche in Boston teilte das Unternehmen mit, sich von seinem Middleware-Geschäft trennen zu wollen. Als möglicher Käufer wird Oracle gehandelt, das damit sein eigenes Application-Server-Geschäft stärken könnte. HP hatte in der Vergangenheit schwere Verluste im Middleware-Geschäft einstecken müssen und sich daher entschlossen, nicht mehr alle Lösungen selbst zu entwickeln und dafür stärker mit Partnern zusammenzuarbeiten. Klar ist allerdings, dass HP dem Konkurrenten IBM nacheifert und sich deutlich in Richtung Services positionieren wird.

Wann sich bei HP und seinen Konkurrenten ein Geschäftserfolg mit Web-Services einstellen wird, steht noch in den Sternen. Vor 2003 rechnet niemand mit signifikanten Erfolgen. Der Markt ist jung, und was die Anbieter bisher an konkreten Ergebnissen vorzuweisen haben, geht selten über das Versprechen, Web-Servicefähige Produkte zu entwickeln sowie erste Pilotprojekte hinaus. Den grundsätzlichen Erfolg von Web-Services stellt jedoch niemand in Frage. Dennoch hapert es bislang an einer ganzen Reihe von Punkten: Sicherheit, Interoperabilität oder dynamisch funktionierende Transaktionsprozesse sind nur einige Stichworte.

Doch nicht zuletzt mangelt es an der Aufklärung und damit womöglich auch an der Investitionsbereitschaft potenzieller Kunden. Diese Suppe haben sich die Anbieter selbst eingebrockt. Anstatt offen über den Stand der Technik zu informieren, zeichneten sie Visionen von einer schönen neuen Web-Services-Welt, in der vereinfachte Integration, flexible Architekturen und neue E-Business-Geschäftsmodelle zu erwarten seien. Solche Verlautbarungen schießen zumindest für das Gros der Anwender weit über das in absehbarer Zeit Mögliche hinaus.

Abb: Vielschichtiges Marktszenario bei Web-Services

Claims noch nicht abgesteckt: Anders als bei früheren Hypes spielen vorwiegend etablierte Anbieter eine Rolle. Startups sind nur in Teilsegmenten aktiv. Quelle: Forrester Research