Business-Modelle sind in vielen Fällen nicht aufgegangen

Web-Hosting: Der Vorhang ist gefallen

12.07.2002
MÜNCHEN (rs) - Ausgestattet mit einer "guten Idee" und viel Risikokapital wollten sie die Märkte erobern. Der Plan ging nicht auf. Denn statt den Web-Hostern die Türen einzurennen, hielten sich immer mehr Kunden zurück. Jetzt kämpfen die Web-Hoster ums Überleben.

"Der kommerzielle Wahnsinn, der stattgefunden hat, verschwindet nach und nach", beobachtet Jörg Heydecke, Partner beim Beratungsunternehmen OC&C Strategy Consultants in Hamburg. "Der Markt normalisiert sich jetzt." Die Web-Hoster sind in der Realität angekommen.Viel Geld ist verbrannt worden, viele Träume haben sich in Luft aufgelöst. An Web-Hosting als Internet-Goldesel glaubt heute niemand mehr.

Eines der anschaulichsten Beispiele hierfür lieferte die Insolvenz des US-Anbieters Exodus Ende vergangenen Jahres. In nur zwei Jahren hatte der Marktführer einen Schuldenberg von knapp vier Milliarden Dollar angehäuft. Aber es traf nicht nur die reinen Web-Hoster, die ihr Geld mit dem Vermieten von Rechenkapazität und Internet-Zugang in extra dafür eingerichteten Datenzentren verdienen. Mit hohen Kosten, geringer Nachfrage und einem stetig wachsenden Schuldenberg kämpfen auch Telcos wie das inzwischen insolvente amerikanisch-niederländische Joint Venture KPN Qwest, der britische City-Carrier Colt Telecom oder die skandalgeschüttelte Worldcom.

Erst vor kurzem verkündeten außerdem Intels Web-Hosting-Tochter Intel Online Services (IOS) sowie Mitbewerber Loudcloud ihren Rückzug aus dem Markt. Das von Netscape-Gründer Marc Andreessen geführte Unternehmen verkaufte seine Datenzentren inklusive Kundenverträgen für 63,5 Millionen Dollar an EDS, Intel will die Kapazitäten seines Ablegers nur noch für interne Zwecke nutzen.

Dabei hatte der Chiphersteller seinen Ausflug in die Web-Welt lange Zeit unverdrossen fortgesetzt und immer wieder kursierende Spekulationen um eine mögliche Schließung dementiert. Noch Ende November vergangenen Jahres lehnte sich IOS-Marketing-Chef Mark Olson weit aus dem Fenster und kündigte die "aggressive Weiterführung" des Geschäfts an. "Wir stehen weit stabiler da als manche unserer Konkurrenten", tönte er. Geholfen hat das auch nichts. Schon kurz nach dem Start seiner Geschäftstätigkeit begann das Unternehmen, kleinere Brötchen zu backen. Anfang 2000 war IOS noch davon ausgegangen, innerhalb des ersten Jahres eine Milliarde Dollar in das Vorhaben zu investieren. Unter anderem sollten weltweit zwölf Datenzentren gebaut werden, 2001 sollten acht weitere hinzukommen. Diese ehrgeizigen Pläne verschwanden schnell wieder in der Schublade. Seit Ende 2000 betrieb IOS lediglich acht Zentren in den USA, Europa und Asien.

Übertriebene Investitionen

Ungeachtet einer respektablen Kundenliste, auf der sich die US-amerikanische Börse und die US-Army finden, folgt nun das endgültige Aus für IOS. Innerhalb der nächsten zwölf Monate wird Intel den Betrieb einstellen - und dafür noch einmal 100 Millionen Dollar ausgeben. Zu spät kam die Erkenntnis, dass sich mit Web-Hosting vorerst kein Geld verdienen lässt. Doch auch die Prophezeiungen für die nächsten Jahre sind eher durchwachsen. "Markttrends und Finanzprognosen für die Hosting-Industrie führten zu der heute bekannt gegebenen Entscheidung", begründet Dalibor Vraslovic, President von IOS, den Ausstieg.

"Es ist nicht so, dass Web-Hosting kein überlebensfähiges Geschäft ist", meint dagegen Marc Jacobson, E-Business-Analyst beim US-amerikanischen Marktforschungsunternehmen Ovum, "es ist nur ein sehr teures." Das Dilemma, mit dem der Markt kämpft, ist symptomatisch für die Internet-Industrie. Eine noch vor drei Jahren euphorische Stimmung von Marktforschern wie Anbietern führte zu hoffnungslos übertriebenen Investitionen. In den Jahren 1999 und 2000 schossen Datenzentren wie Pilze aus dem Boden. Ein Großteil dieser Kapazitäten liegt nun brach, der Markt geriet unter heftigen Preisdruck. Neben den hohen Anfangsinvestitionen ringen die Anbieter mit laufenden Kosten vor allem für technisches Personal, das sie trotz fehlender Kundschaft beschäftigen müssen.

Am härtesten trifft diese Entwicklung die reinen Colocation-Anbieter. Ihnen fehlt die Differenzierung. "Colocation ist ein relativ einfaches Produkt", erklärt Heydecke, "außer durch den Standort und vielleicht mehrfache Backbone-Anbindungen können sich die Anbieter kaum unterscheiden." Hinzu kommt, dass die Klientel in diesem Geschäftsfeld nicht gerade eine leichte Beute ist, denn "Kunden, die ihre eigene IT-Infrastruktur in Datenzentren verlagern und sie dann selber managen, sind in der Regel auch gut informierte Einkäufer". Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass viele Kunden einfach vom Markt verschwanden.

Kunden bleiben weg

Die klassische Klientel der Web-Hoster waren in erster Linie Dotcoms, Application-Service-Provider und Internet-Service-Provider. Viele von ihnen sind inzwischen aus dem Markt ausgeschieden. Gleichzeitig hat die zweite große Kundengruppe, etablierte Unternehmen mit E-Business-Plänen, ihre Aktivitäten stark gedrosselt. So vergrößerte sich die Nachfragelücke, und mit ihr wuchsen die Probleme der Web-Hoster. Auch die Flucht nach vorne in höherwertige Angebote wie Wide-Area-Network-(WAN-)Services, Web-Server-, Betriebssystem- oder Datenbank-Management half in dieser Situation kaum. Das mussten auch IOS und Loudcloud erfahren, die solche personalintensiven Dienstleistungen ebenfalls anboten.

Zentrales Problem der Web-Hoster ist und bleibt demnach die Überkapazität. In einer im August 2001 erstellten Studie berechneten die Berater von OC&C Strategy einen durchschnittlichen Auslastungsgrad der europäischen Web-Hosting-Datenzentren von nur 14 Prozent. Damit lässt sich noch nicht einmal annähernd profitabel arbeiten. Mindestens ein Drittel der Kapazitäten muss genutzt werden, damit sich das Geschäft lohnt, schrieben die Experten damals. Gleichgültig, ob 100 oder 10 000 Quadratmeter zur Verfügung stehen: "Selbst große Datenzentren sind hinsichtlich der minimalen Auslastung nicht wesentlich effizienter als kleine." An diesem Zustand hat sich bis heute nichts geändert.

Prognosen nach unten korrigiert

"Die grundsätzliche Aussage und Tendenz der Studie, also ein nach wie vor niedriger Auslastungsgrad, gilt immer noch", betont Mitautor Heydecke. Während sich die meisten Anbieter zu diesem Thema lieber bedeckt halten, findet Rudolf Hotter, Chief Operating Officer von Einsteinet, klare Worte: "Wer mir heute als Anbieter eines Rechenzentrenservices sagt, dass er mit seiner Auslastung zufrieden ist - ich denke, der lügt", äußerte er sich im März dieses Jahres gegenüber der COMPUTERWOCHE.

Auch unter den Marktforschern hat sich diese Einsicht herumgesprochen, die Prognosen werden entsprechend nach unten korrigiert. Forrester Research schrieb beispielsweise 1999 noch, dass das Umsatzvolumen bis 2003 von zwei Milliarden auf knapp 15 Milliarden Dollar explodieren würde. Mittlerweile verläuft die fiktive Wachstumskurve flacher: Forrester-Analystin Maribel Dalinov rechnet im laufenden Jahr mit Einnahmen von knapp sechs Milliarden Dollar. Allerdings: Den Durchbruch erwartet sie nun im Jahr 2006 mit Umsatzaussichten von sage und schreibe 30 Milliarden Dollar weltweit. Auch für Europa relativieren sich die Zahlen. In einer Ende Oktober 2001 veröffentlichten Studie von Technomar hieß es noch, dass der Umsatz in Europa von 760 Millionen Dollar im Jahr 2000 auf über 6,6 Milliarden Dollar im Jahr 2005 steigen werde. Obwohl diese Zahlen bereits damals konservativ geschätzt wurden, so Technomar-Berater Stefan Moosreiner, seien sie aus heutiger Sicht viel zu optimistisch ausgefallen.

Von der Konsolidierung profitieren

Die Anbieter haben unterdessen angefangen zu rechnen, wo in Sachen Profitabilität ihre Schmerzgrenze erreicht ist. Als Exempel mag der britische Colocation-Anbieter Telehouse dienen. Auch er ist mit der Auslastung seiner deutschen Datenzentren nicht zufrieden. Wie Deutschland-Geschäftsführer Werner Tillmanns erläutert, liege die Quote weit über dem europäischen Schnitt von 14 Prozent, profitabel sei der Betrieb dennoch nicht. Im Unterschied zu den meisten Wettbewerbern habe man jedoch das Geschäftsmodell sehr vorsichtig ausgelegt. "In unserer Planung war kein Boom eingeschlossen", erklärt Tillmanns, "wir sind von einem sehr langsamen Wachstum ausgegangen." Der Telehouse-Chef rechnet mittlerweile damit, seine Kapazitäten bis 2004 ausgelastet zu haben - und das wäre früher als erwartet. Die Konsolidierung des Marktes kommt ihm in zweifacher Hinsicht entgegen. Telehouse profitiere davon, dass Konkurrenten ihre Pforten schließen: "Deren Kunden kommen nun zu uns", berichtet er. Gleichzeitig habe Telehouse durch den Kauf der bislang angemieteten Datenzentren seine monatlichen Belastungen senken können. Der von Geldnöten geplagte Anbieter Cybernet gab drei Gebäude mit insgesamt 5200 Quadratmeter Fläche für nur 38 Millionen Euro an den britischen Web-Hoster ab.

Offiziell ähnlich gelassen sehen klassische IT-Dienstleister à la EDS, IBM oder Accenture die Entwicklung. Web-Hosting betrachten sie als Teil ihrer Kernkompetenz Outsourcing - als Zusatzgeschäft gebe es durchaus Sinn. So ist nachvollziehbar, dass EDS sich um die Web-Hosting-Aktivitäten von Loudcloud und dessen Datenzentren bemüht hat. "Outsourcer differenzieren sich durch ihre Erfahrung im Management komplexer IT-Architekturen", erklärt Branchenkenner Heydecke. Auch hinsichtlich der Profitabiliät des Geschäfts haben sie die besseren Karten, denn die Margen für weitreichende Dienstleistungen liegen höher als für reine Colocation-Angebote. Zudem verfügen die Großen über eine eingeführte Vermarktungsmaschinerie, mit der sie den Umsatz für das Web-Hosting ankurbeln können.

Konkurrieren, aber auch kooperieren werden die großen IT-Dienstleister vor allem mit Carriern wie T-Systems oder Cable & Wireless (C&W), deren Leitungen sie nutzen. Wie EDS hat auch C&W die Gunst der Stunde genutzt und für 855 Millionen Dollar 30 der 44 Datenzentren von Exodus übernommen. Eigenen Angaben zufolge will sich C&W beim Web-Hosting nun voll auf das Geschäft mit großen Kunden - und das können auch IT-Dienstleister sein - konzentrieren. Ihr Business-Modell ist anders als das der Outsourcer. Während Letztere sich am Bedarf ihrer Kunden orientieren und mit Web-Hosting ihr Portfolio abrunden, geht es den Besitzern von Breitbandkapazitäten vor allem darum, den nötigen Datenverkehr in ihre Leitungen zu bekommen. "Die spielen ein ganz anderes Spiel", so Heydecke.

Nur noch eine Nebenrolle

Fazit: Auch wenn viele originäre Web-Hoster mittlerweile vom Markt verschwunden sind, bleiben die Kapazitäten erhalten. Um den Angebotsüberschuss abzubauen, greifen die verbliebenen Anbieter zu unterschiedlichen Mitteln. Häufig wurde der Auf- und Ausbau neuer Anlagen inzwischen auf Eis gelegt. Outsourcer nutzen die Kapazitäten aus dem Web-Hosting-Umfeld intern oder für bestehende Kunden, ohne zusätzliche Angebote auf den Markt zu werfen. In Einzelfällen decken sich auch große Anwender mit den derzeit preiswerten Datenzentren ein. Die Deutsche Bank in London beispielsweise hat das dortige Datenzentrum von Digiplex übernommen. In anderen Fällen, etwa bei Intel, bleiben die Kapazitäten beim Eigentümer und werden intern ausgelastet. Web-Hosting muss dabei keine zentrale Rolle mehr spielen, die IT-Infrastruktur lässt sich auch für andere Aufgaben nutzen.

Web-Hosting-Konzepte

Colocation

Colocation-Anbieter stellen ihren Kunden Platz im Rechenzentrum, den Internet-Zugang mit der entsprechenden Bandbreite sowie Überwachung in begrenztem Umfang zur Verfügung. Bezieht der RZ-Betreiber den Zugang zum Internet von mehreren Anbietern, spricht man von Carrier-neutraler Colocation. Außerdem wird unterschieden zwischen

-Shared Hosting: Auf einem Server befinden sich Anwendungen (meist Websites) mehrerer Kunden und

-Dedicated Hosting: Dem Kunden steht ein eigener Server zur Verfügung.

Managed Hosting

Bei diesem Modell übernimmt der Dienstleister eine Reihe weitergehender Servicetätigkeiten wie Planung und Einkauf der benötigten Hardware, Überwachung auch von Datenbanken, Betriebssystemen und Firewall.

Managed Hosting mit Anwendungsfokus

Hierbei umfasst der Service die Überwachung der Applikationen. Das erfordert Monitoring-Systeme, die weit über die Überprüfung der Hard- und Softwarekomponenten hinausgehen. Beispielsweise beinhaltet der Service auch die kontinuierliche Überprüfung der Transaktionsfunktionen.

Ungewisse Zukunft

Verschiedene technische Trends beeinflussen mittel- bis langfristig die Nachfrage nach Web-Hosting-Services:

+ Aufwändige Inhalte: Websites werden zunehmend komplexer und datenintensiver. Audio- und Videoelemente werden Mainstream.

+ Datenspeicherung und -verkehr im Netz: Mit der zunehmenden Nutzung verschiedener Endgeräte (Handhelds, Handys, Settop-Boxen) für den Internet-Zugang wird der Bedarf, Daten im Netz vorzuhalten, steigen. Hinzu kommt, dass immer mehr Unternehmensanwendungen auch über das Internet laufen (E-Procurement, CRM).

+ Sinkende Kosten für Bandbreite: Neue Technologien erhöhen die Kapazitäten der Leitungen und senken die Kosten für den Betrieb von Datenzentren.

+/- Outsourcing: Der Trend weist in Richtung Auslagerung der IT. Dafür spricht der Fachkräftemangel sowie der Wille vieler Anwender, sich auf die Kernkompetenzen zu konzentrieren. Andererseits zögern vor allem in Deutschland viele Unternehmen lange, bis sie geschäftskritische Daten aus dem Haus geben.

- Server-Kapazitäten steigen: Zukünftige Rechner werden immer mehr Leistung bei gleich bleibender Größe liefern. Das bedeutet, dass der vorhandene Platz effizienter genutzt werden kann, ohne dass neue Datenzentren gebaut werden müssen.

Abb: Erwartungen zurückgeschraubt

Die Kurve verläuft flacher: Statt 2005 rechnen die Anbieter mittlerweile erst für 2009 mit einem Bedarf an Datenzentren von einer Million Quadratmeter. Quelle: Telehouse Europe