Die Kommerzialisierung droht das Community-Konzept zu ersticken

Web-Händler entdecken die virtuelle Gemeinschaft

25.09.1998

War es im letzten Jahr "Push", so ist in diesem Jahr offensichtlich "Communities" der Modebegriff der Internet-Gemeinschaft. Geredet hatte allerdings kaum jemand darüber, bis die McKinsey-Berater John Hagel und Arthur Armstrong ihr Buch "Net Gain - Profit im Netz" veröffentlichten. Seitdem gelten sie als die Gurus des Web-Business. Ihr einfaches Credo: Wirklich Geld verdient im Internet nur der, der seine Kunden ans Angebot bindet. Und das geht am besten über virtuelle Gemeinschaften, in denen Besucher sich wohl fühlen und in die sie gerne zurückkehren.

Das Marktforschungsunternehmen Forrester Research definiert eine Community als einen "Bereich, in dem Menschen, die bestimmte Interessen teilen, zusammenkommen, um aktiv Informationen, Rat, Ideen und Erfahrungen auszutauschen". Keine Rede vom Geldverdienen. So liegt die Urform heutiger Communities auch im Bedürfnis von Menschen, sich über alle räumlichen und zeitlichen Grenzen hinweg auszutauschen - sei es über die Newsgroups des Usenet oder beim Plaudern im Internet Relay Chat (IRC). Auch Felix Somm, seit seinem Abschied als Compuserve-Deutschland-Chef mit einer eigenen Firma im Community-Geschäft, spricht von einem Déjê-vu-Effekt: "Die Gesprächsforen sind wahrscheinlich immer noch das Lebensblut der Online-Dienste. Man hat sie damals nur nicht Community genannt."

An die Verknüpfung von multimedialen Inhalten oder an einen kommerziellen Hintergrund hatte in den Anfangszeiten des Internet dennoch niemand gedacht. Der Begriff Community ist daher weiter zu fassen: Er verbindet die Möglichkeiten moderner Seitengestaltung mit den alten Elementen der Newsgroups und Chats zu einer neuen Erscheinungsform des Internet, welche letztlich nichts anderes als eine erweiterte Homepage ist.

Communities finden sich inzwischen in allen nur denkbaren Bereichen. Von der Metallindustrie (www.metalexchange.net) über die medizinische Fortbildung (www.info-med.de) und ein geplantes Info-Netz für die Landwirtschaft (Agrologic) sind sämtliche Branchen mit eigenen Plattformen vertreten.

Irland-Liebhaber besuchen "Local Ireland" (www.local.ie/) ebenso wie Angehörige der jüdischen Religion die "Jewish Community Online" (www.jewish.com/). Netzwerke wie der "Informationsdienst Wissenschaft" http://idw. tu-clausthal.de/ und "Miningco" (www. miningco.com/) bündeln Expertenwissen aus aller Welt. Und soziale Communities wie "Tripod", "Well", "Top.de" oder "I-Village" geben unzähligen Web-Surfern ein digitales Zuhause.

Das Beratungsunternehmen Cambridge Technology Partners hat mit dem "Cambridge Information Network" (www.cin.ctp. com/) eine erfolgreiche Web-Gemeinschaft von IT-Führungskräften gebildet. Hunderte von Mitgliedern aus aller Welt tauschen sich regelmäßig über neue Entwicklungen aus und helfen einander mit Ratschlägen. Untersuchungen, White Papers und Interviews ergänzen das Angebot.

Das Konzept, im grenzenlosen Web eine Heimat für Interessengruppen zu schaffen, hat spätestens seit dem Bestseller "Net Gain" auch die Marketing-Strategien von E-Commerce-Betreibern verändert. Wo es darauf ankommt, Besucher an das eigene Angebot zu binden, ist stets vom Mehrwert die Rede, den eine Web-Site bieten müsse. Leidlich bekannt ist das Beispiel von Amazon.com. Surfer finden hier nicht nur Bücher oder CDs, sie können auch ihre eigenen Rezensionen ins Netz stellen und mit anderen Lesern über das neueste Buch plaudern. Das Einkaufen ist einfach, der Versand schnell. Welchen Grund sollte es geben, zu einem anderen Online-Buchhändler zu wechseln?

Auch Somm glaubt, daß Communities eine wirkliche Chance für den E-Commerce sind. Alle Business-Modelle fußten darauf, Kunden an die eigene Seite zu binden. Somm geht mit der eigenen "Compunity" (www.compunity. com) allerdings den umgekehrten Weg. Speziell für den Computerbereich hat er eine Plattform geschaffen, auf die er nun mehr und mehr Nutzer locken will. Durch Unterhaltung möchte Somm Soft- und Hardware an den Surfer bringen. Mit den Herstellern vereinbarte Margen spülen dann Geld in seine Kassen. Die Hersteller treten in der Compunity allerdings nicht mit ihrer eigenen Marke auf. So wollen sie Konflikte mit ihren bisherigen Handelspartnern vermeiden.

Für Hans-Jörg Stäuble, Marketing-Leiter des Somm-Partners Pyramid, ist das Ganze allerdings noch kein Geschäft: "Wir sehen es als eine Art Testlauf mit gewissem Potential an." Pyramid betreut den sogenannten PC-Konfigurator der Compunity, mit dem sich Kunden wie bei Dell einen Wunsch-Rechner zusammenstellen können. Neben der Preisgestaltung ist für Stäuble vor allem problematisch, daß er die Klientel der Community nicht genau kenne. Somm spricht von etwa 10000 Mitgliedern - eine Zahl, die etwas hoch gegriffen scheint angesichts der Tatsache, daß eine der erfolgreichsten und ältesten Communities, Well, auch nicht mehr Mitglieder vorweisen kann. Somm gibt immerhin zu, daß es sich bei seinen Nutzern im wesentlichen um passive Schaulustige handelt.

Als Vorteil des Community-Konzepts, besonders bei verkaufs- und technikorientierten Web-Sites, gilt neben dem Unterhaltungsfaktor die Möglichkeit ständiger Beratung und Betreuung - sei es durch Experten des Anbieters oder die Nutzer selbst. Um so wichtiger ist die sorgfältige Planung und Pflege einer virtuellen Gemeinschaft (siehe Kasten "Tips für eine gute Community"). Nichts vergrault Interessenten schneller als uralte Meldungen, verstaubte Produktkataloge und leere Chat-Räume.

Inzwischen hat sich eine ganze Branche rund um den neuen Internet-Modebegriff etabliert. Lösungsanbieter wie die Community Management GmbH, Unterhaching, oder Electric Communities aus Cupertino in Kalifornien versprechen ihren Kunden die Einrichtung kompletter Communities bis hin zur Moderation. Hersteller wie Teamware, E-Share Technologies, I-Chat, Microsoft und Paralogic offerieren die passenden Kommunikations-Tools.

Während bislang Millionen-Deals mit Web-Portalbetreibern (Yahoo, Netscape, Lycos) als Garant für wirtschaftlichen Erfolg im E-Commerce galten, setzen die Shop-Betreiber nun auf Communities. Laut Forrester halten 52 Prozent der befragten Markenanbieter und immerhin knapp ein Viertel aller Einzelhändler virtuelle Gemeinschaften für außerordentlich wichtig. Die Marktforscher raten allerdings dringend davon ab, in einer Community die Lösung aller Umsatzprobleme zu sehen. Greifbare Erfolge könne kaum ein Online-Verkäufer vorweisen.

Forrester empfiehlt Produktanbietern sogar, ihre Community-Bemühungen einzustellen. Web-Händler sollten sich lieber darauf konzentrieren, dynamische Verkaufsumgebungen mit einfachen Bezahlfunktionen und guter Orientierung aufzubauen. Die Umsätze für Markenprodukte ließen sich viel besser über das Sponsern fremder Web-Sites steigern, so die Analysten.

Welche Auswüchse das Community-Fieber hervorbringt, zeigt die Tatsache, daß sowohl Portalanbieter als auch Betreiber virtueller Gemeinschaften inzwischen selbst ihren Nutzern Tools an die Hand geben, mit denen sie eigene kleine Web-Gemeinschaften gründen können. Zu einem Mehr an Orientierung trägt das sicher nicht bei. Und wenn schließlich jeder Surfer seine Community betreibt, sinkt möglicherweise die gewünschte Anziehungskraft. Ein Alleinstellungsmerkmal ist die virtuelle Gemeinschaft jedenfalls schon lange nicht mehr.

Tips für eine gute Community

Das amerikanische Marktforschungsunternehmen Giga Information Group, Cambridge, warnt vor übereilten Schritten beim Aufbau einer Web-Community. Die Analysten empfehlen einen Fünfpunkte-Plan.

1) Ein Unternehmen muß sich vorher überlegen, was es mit einer Community erreichen will (zum Beispiel Kundenbindung oder größere Mitarbeiterzufriedenheit).

2) Die virtuelle Gemeinschaft sollte auf eine eindeutige Gruppe oder ein klares Ziel hin ausgerichtet werden. Dies verspricht eine höhere Beteiligungsrate.

3) Der Betreiber muß den Teilnehmern einen Mehrwert bieten. Inhalte sollten relevant und unbedingt aktuell sein.

4) Die Community-Umgebung muß einfach gestaltet und gut gepflegt werden.

5) Ein Moderator oder Herausgeber kann die Community voranbringen. Moderatoren geben der Gemeinschaft einen persönlichen Charakter und eine Autoritätsfigur. Sie vergrößern außerdem die Glaubwürdigkeit der vorgehaltenen Informationen - sofern sie über fundiertes Wissen im Kerngebiet der Community verfügen.

Abb: Der Nutzen von Communities ist für Unternehmen noch schwer kalkulierbar. Quelle: Forrester Research