Forrester Research vergibt durchwachsene Noten

Web-Application-Server im Labortest

26.07.2002
MÜNCHEN (ls) - Web-Applikations-Server sind die Informationsdrehscheibe zwischen den Besuchern einer Website einerseits und Internet-orientierten Programmen hinter ihr sowie den großen Unternehmensanwendungen im Backend andererseits. In einem "Tech-Ranking" hat Forrester die Angebote analysiert.

Der Klick des Online-Bankkunden auf "Überweisungen" löst eine Kaskade von Aktionen aus. Zunächst startet er nur ein relativ bescheidenes Programm mit einem Formular. Sobald es ausgefüllt ist, beginnt mit seiner Bestätigung eine Fülle von Operationen im Backend: Authentifizierung, Datenbankanwendungen, Transaktion, Buchung etc. Alle diese Programme werden über eine Software angesprochen, den Web-Applikations-Server. Für die professionelle Internet-Nutzung, insbesondere für E-Business, ist er unverzichtbar.

Instrument zur IT-Integration

Diese Applikations-Server sind mehr als ein Layer mit Schnittstellen zu allen möglichen Anwendungen. Wenn sie den Datenstrom schnell bewältigen sollen, müssen sie mit allen betroffenen Programmen eng verbunden sein. Daher sind sie durchaus als Teile zur Enterprise Application Integration (EAI) zu verstehen. Um sie herum entstehen durch neue geschäftliche Anforderungen ständig weitere Programme, weshalb sie Innovation nicht durch Unflexibilität behindern dürfen. Ihrer zentralen Funktion in einer Unternehmens-IT entsprechend, sind Applikations-Server höchst sensible Teile der Infrastruktur. Performance-Schwächen oder gar Ausfälle gehen richtig ins Geld.

Wer nun annimmt, die Unternehmen hätten sich bei so einem wichtigen Aspekt ihrer IT - ähnlich wie etwa bei ihren Buchhaltungssystem oder den Office-Paketen - für einen Hausstandard entschieden, irrt gewaltig. Forrester Research entdeckte bei Interviews mit 42 IT-Verantwortlichen bei Großanwendern, dass fast alle gern ein Standardsystem hätten, faktisch aber die meisten Application-Server von mehreren Anbietern verwenden.

"Wir würden gerne auf der Basis des einen oder anderen Produkts standardisieren, aber wir können es nicht", erklärte ein Anwender. "Jeder Applikations-Server kann Dinge, die der andere nicht bringt." Ein anderer Verantwortlicher begründet die Vielfalt mit unterschiedlichen Interessenlagen im Unternehmen: "Es gibt verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Anforderungen, weshalb ihre Wahl nicht einheitlich ausfällt."

Der Teufel steckt im Detail, und Forrester hat die Spur aufgenommen. Auf der Grundlage der Interviews mit Anwendern identifizierte das Marktforschungsunternehmen rund 100 wichtige technische Aspekte sowie 45 investitionsrelevante Fragen. Forresters Forschungspartner Doculabs Inc. aus Chicago untersuchte in Labortests die Applikations-Server, deren Hersteller sich freiwillig einer Prüfung unterziehen wollten. (Microsoft bezeichnet den Windows 2000 Advanced Server nicht als Application-Server, nach Ansicht von Forrester ist er das aber.) Zu jedem Testdetail gab es eine Bewertung, die von 0,00 Punkten für "nicht gegeben" bis 5,00 für "vollständig erfüllt" reicht.

Die Detailbewertungen lassen sich über mehrere Eskalationsstufen zu Beurteilungsgruppen zusammenfassen. Am Ende steht ein "Executive Summary" mit der Benotung der angebotenen Produkte nach den neun wichtigsten Fragen für eine Kaufentscheidung (siehe Kasten "Tech-Rankings für ein Executive Summary"). Dieses "Tech-Ranking" orientiert sich an der durchschnittlichen Maßskala der von Forrester interviewten Anwender. Im Einzelfall könnte ein Unternehmen technischen Details allerdings eine ganz andere Bedeutung beimessen, was Konsequenzen für die Gesamtbewertung hätte (siehe Kasten "Tech-Ranking" auf Seite 17).

An erster Stelle der Forrester-Analyse steht der Leistungsumfang der Produkte. Im Kern geht es hier um die Fähigkeit der Application-Server, starken Datenverkehr zu bewältigen. Die Application-Server "Weblogic" von Bea, "Websphere" von IBM und "Coldfusion" von Macromedia führen das Feld an. Sie erreichen ihre hohe Punktzahl durch Eignung für viele Betriebssysteme, gutes Caching von Daten, Ergebnissen und Objekten, Pooling von Ressourcen, Multiprocessing-Fähigkeiten und ausgefeiltes Load-Balancing. Das Fehlen von Caching-Features befördert den Application-Server von HP auf den letzten Platz. Eingeschränktes Load-Balancing und mangelndes Daten-Caching lassen das Angebot von Silverstream kaum besser aussehen.

Zuverlässigkeit hat viele Aspekte

Für das zuverlässige Funktionieren eines Applikations-Servers sind das Session-Management, Fehlertoleranz, die Koordination von Transaktionen, die zuverlässige Weitergabe von Informationen (Message-Queuing), die Überwachung des Systems und die Warnung vor sich abzeichnenden Problemen von größter Bedeutung. Wieder wird das Feld von den Bea- und IBM-Angeboten angeführt, wobei es gleichwohl in Einzelpunkten Unterschiede gibt. So ist das Bea-Produkt der IBM-Konkurrenz in puncto Performance-Überwachung und Systemwarnungen etwas voraus. Das schlechte Abschneiden von Coldfusion, Microsofts Windows 2000 Advanced Server und Silverstreams Application-Server geht vor allem auf große Schwächen bei der Transaktionskoordinierung und beim Message Queuing zurück.

Längst ist Sicherheit ein Topthema der Internet-Nutzung. Gerade im Zusammenhang mit E-Business sollten Anwender sehr aufmerksam und vorsichtig sein. Der Applikations-Server muss in besonderer Weise Schutz bieten, weil er als Kernprodukt von E-Business-Systemen ein attraktives Ziel für Angriffe sein könnte. Andererseits lassen sich an diesem Punkt für viele Applikationen gleichzeitig Sicherheitsmechanismen einrichten, beispielsweise Verschlüsselungstechnik, Anwenderauthentifizierung und Zugangssperren.

Bescheidene Sicherheitsmechanismen

Allerdings ist die Bewertung der neun getesteten Produkte in Sachen Sicherheit mit durchschnittlich 3,1 Punkten alles andere als befriedigend. Ein trauriger Fall ist Coldfusion, dessen Sicherheitsmechanismen Forrester wiederholt als "simpel" bezeichnet, weil von anspruchsvollen Methoden zur Sicherung von Daten und Passwörtern keine Spur ist. Deutlich vor der Konkurrenz liegen die Angebote von Oracle und Bea. Sie bieten mehrere Verschlüsselungssysteme und Mechanismen zur Authentifizierung der Benutzer sowie Techniken, den Zugriff auf Datenbanken und Objekte nuanciert zu beschränken oder ganz auszuschließen.

Als Informationsdrehscheibe zwischen verschiedenen Programmen sollten sich Applikations-Server problemlos vor allem mit den Backend-Anwendungen verknüpfen lassen. Schließlich sind das nicht so viele, und es ist nicht einzusehen, warum die Anwender die Verbindungen zu ihren relationalen Datenbanken, Transaktionsmonitoren, E-Mail- und Groupware-Anwendungen, ERP- und EAI-Systemen selbst programmieren sollen. Doch gerade an vorgefertigten Adaptern zu solchen Standardprogrammen fehlt es den getesteten Application-Servern häufig.

Eine Ausnahme ist Oracle mit einer reichlichen Auswahl von Adaptern für Datenbanken und ERP-Programme, allerdings lassen sich nur in begrenzter Zahl Transaktionsmonitore, Message-Queuing-Lösungen und EAI-Programme integrieren. Immerhin sind für die notwendigen Entwicklungsarbeiten Komponententechnologien und Java-Unterstützung gegeben. Bea und Iplanet bieten demgegenüber schon weniger Adapter, aber immerhin einige. Coldfusion bekommt eine schlechte Benotung, weil es im Wesentlichen nur Datenbankadapter mitbringt. Microsoft ist das Schlusslicht, da es nichts bietet, was mit Java zu tun hat, Corba nicht unterstützt sowie für keine fremden Transaktionsmonitore und nur für SAPs R/3 einen Adapter hat.

Administratoren, die für Applikations-Server zuständig sind, werden an ihren Lösungen nicht eben ihre helle Freude haben. Denn die machen ihnen die Aufgabe, das System in optimalem Betrieb zu halten, nicht leicht. Selbst Oracles Application-Server, der sich von der Konkurrenz noch positiv abhebt, wird von Forrester in Sachen Administration als "unausgereift" eingestuft. Immerhin ermöglichen Reports über Auslastung und Performance von Anwendungen ihr Tuning.

In dem ansonsten ausgewogen mittelmäßigen Feld fällt Macromedias "Jrun" negativ auf. In der Tat fehlen dem Produkt viele ausgefeilte Features zur Administration. Allerdings ist hier zu konzedieren, dass diese Lösung nicht auf große Anwendungsumgebungen zugeschnitten ist. Die Zielgruppe kleiner Firmen und Unternehmensabteilungen wird eher von grundlegenden, aber sehr einfach anzuwendenden Management-Tools angesprochen.

In den Interviews, die Forrester im Vorfeld der Studie mit Anwendern führte, hatten auffallend viele erklärt, sie wünschten sich mehr vorgefertigte Komponenten, beispielsweise Kalender oder Einkaufswagen, um Zeit bei der Entwicklung eigener Anwendungen zu sparen. Bis es so weit ist, brauchen sie zumindest Entwicklungs-Tools, die es ihnen möglich machen, mit wiederverwendbaren Komponenten und Objekten effizient Programme zu schreiben.

Viel Programmierarbeit erforderlich

Doch das Angebot ist allenfalls durchwachsen. Bea, IBM, Oracle und Silverstream orientieren sich an Standards und haben grundlegende Entwicklungstechniken. Aber auch hier ist eine komfortablere und vor allem zeitsparende Programmierarbeit erst nach Zukauf von Tools anderer Hersteller möglich. Das gilt in noch stärkerem Maße für die anderen Angebote, insbesondere für HP. Dessen Application-Server hat gar überhaupt kein natives Entwicklungs-Tool.

Als Standardanforderung zeichnet sich die Java-Unterstützung ab. Die Hälfte der von Forrester befragten Unternehmen betrachtet Java und die J2EE-Plattform als den Schlüssel zur Integration der Backend-Applikationen und ihrer verschiedenen Applikations-Server. Fast alle Anbieter haben das erkannt und halten ihre Produkte Java-kompatibel - Coldfusion bisher nur in Sachen J2SE. Nur Microsoft hält am Glauben fest, auf Java komplett verzichten zu können. Der Forrester-Analyst Chris Dial warnt: "Firmen, die Applikationen für dieses Produkt schreiben und in Betrieb nehmen, sind auf der Microsoft-Plattform gestrandet, weil es immer noch nicht Java oder Corba unterstützt."

Hinsichtlich der Sicherheit ihrer Investitionen in Application-Server brauchen sich die Anwender kaum Sorgen zu machen. Trotz der IT-Krise sind die Anbieter überlebensfähig und haben ein Netz starker Partner für Consulting und Programmierung geschaffen. Jedes Produkt hat eine stabile Verbreitung am Markt. Service und Support sind global und gut. Dass Silverstream nur eine schwache Punktzahl erreicht, liegt an der Weigerung des Unternehmens, über die Zahl der Installationen Auskunft zu geben.

Sehr unterschiedlich fallen die Kosten für Lizenzen und Wartungsverträge aus. Oracle lässt sich die zahlreichen Features seines Produkts fürstlich entlohnen. Auf der anderen Seite bieten HP eine kostenlose und Macromedia für Coldfusion eine sehr preiswerte Einstiegsversion. Von den Produkten mit den besten technischen Bewertungen bietet IBM scheinbar das günstigste Preis-Leistungs-Verhältnis. In der Realität aber hängt das davon ab, welche Gewichtung die Anwender bestimmten Produkteigenschaften geben.

Marktpositionen

Die Zahl der Installationen ihrer Application-Server nach Angaben der Hersteller laut Forrester Research:

Bea / 9700

Hewlett-Packard / 20200

IBM / 20000

Sun/Iplanet / 1850

Macromedia (Coldfusion) / 10000

Macromedia (Jrun) / 10000

Microsoft / ?*

Oracle / 10000

Silverstream / keine Angaben

*Forrester bewertet den Windows 2000 Advanced Server im Gegensatz zu Microsoft als Application-Server. Es ist nicht klar, wie viele der Zigtausende Installationen des Betriebssystems als Applikations-Server genutzt werden.

Tech-Ranking

Forrester Research hat mit den "Tech-Rankings" ein flexibles Instrumentarium zur Produktbewertung entwickelt. Die Grundlage sind Labortests der technischen Details von Produkten in verschiedenen E-Business-Softwarekategorien. Das Ergebnis sind hundert und mehr Einzelbewertungen. Auf der Grundlage eines Jahresvertrags können Forrester-Kunden diese Bewertungen online nach eigenem Ermessen gewichten und über mehrere Stufen zusammenfassen. Sie erhalten umgehend einen auf ihr Anforderungsprofil zugeschnittenen Produktvergleich, wobei sie Zugriff auf die quartalsweise aktualisierten Tech-Ranking-Auswertungen haben. Ferner bekommen sie Zugang zu sämtlichen Studien und Analysen von Forrester.

Abb.1: Wunsch und Wirklichkeit

Einen Hausstandard haben die meisten Anwender zwar definiert, aber in Wirklichkeit verwenden sehr viele Unternehmen Application-Server von mehr als einem Anbieter. Quelle: Forrester Research

Abb.2: Tech-Rankings für ein Executive Summary

Eine zusammenfassende Bewertung von Application-Servern: Die Gewichtung erfolgte nach den Ansprüchen von international agierenden Unternehmen, wie sie Forrester in einer Umfrage ermittelt hat. Die Bedeutung der Einzelkriterien kann ein Forrester-Kunde entsprechend seinen eigenen Anforderungen individuell festlegen, wodurch sich im Einzelfall ganz andere Noten ergeben können. Die Bewertung reicht von 0,00 Punkte für "nicht erfüllt" bis 5,00 für "vollständig gegeben". Zum exakten Umfang der getesteten Produktsets siehe www.forrester.com. Quelle: Forrester Research