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Interview mit Prof. Wolfgang Wahlster

Web 3.0 ist bald überall

10.06.2008
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.

Das Web 3.0 als Massenbewegung

CW: Web-2.0-Services wie Blogs oder Wikis setzen sich langsam auch in den Unternehmen durch. Welche Rolle spielen diese Dienste in Zukunft?

Wahlster: Ohne Benutzerpartizipation wird das Web 3.0 nicht funktionieren. Die semantischen Meta-Informationen, mit denen alle Web-Dokumente zusätzlich markiert werden müssen, können nicht alleine von Unternehmen oder Behörden auf deren Kosten zusammengestellt werden. Das semantische Web muss deshalb zur Massenbewegung werden. Allerdings nicht auf dem chaotischen Niveau, wie es beim Web 2.0 der Fall ist, wo jeder Anwender beliebige Tags vergeben kann, was fast schon zu einem babylonischen Sprachwirrwarr führt. Das Web 3.0 ist die systematische Fortsetzung des Gedankens der Benutzerpartizipation im Web 2.0, allerdings auf der Basis fundierter und standardisierter Begriffssysteme, so genannter Ontologien.

CW: Wie soll so ein geordnetes "Massen-Tagging" funktionieren? Welche Technologien und gesellschaftlichen Voraussetzungen brauchen wir dafür?

Wahlster: Dorthin ist es noch ein längerer Weg. Mit dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Theseus-Projekt verfolgt Deutschland hier aber bereits konkrete Ansätze. Wir forschen dort an Möglichkeiten, wie sich solche semantischen Technologien in praktische Produkte im Sinne eines Internets der Dienste umsetzen lassen. Wir veranstalten derzeit auch den Wettbewerb "Theseus Talente 2008", wo wir kluge Köpfe, Studenten und Nachwuchsforscher mit innovativen Ansätzen in diesem Bereich auszeichnen. Ein konkretes Beispiel ist ein im Hintergrund eines Web-Editors arbeitendes Assistenzsystem. Es hilft mit Vorschlägen bei der Verortung eines Multimedia-Dokumentes unter bestimmten Suchbegriffen. Dazu gehen während der Bearbeitung Fenster mit gezielten Vorschlägen zu Tags auf, die der Anwender nur noch übernehmen oder ablehnen muss. Dieses einfache System gängelt zwar etwas, verlangt dem Nutzer aber kein Fachwissen auf dem Gebiet der Ontologiesprachen ab.

CW: Was müssen Unternehmen tun, wenn sie den Sprung zum Web 3.0 nicht genauso auf breiter Front verpassen möchten wie seinerzeit den zum Web 2.0?

Wahlster: Sich informieren und frühzeitig bei entsprechenden Verbundprojekten mitwirken, die in weiten Teilen sogar von staatlicher Seite gefördert werden. Gerade der Mittelstand sollte sich hier angesprochen fühlen, die großen Konzerne engagieren sich größtenteils bereits. Nur die starke Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft kann uns hier einen Technologievorsprung verschaffen.

Firmengeheimnisse bleiben wichtig

CW: Einige Experten wie der "Wikinomics"-Autor Don Tapscott sagen, dass innovative Unternehmen über kurz oder lang ihre Betriebsgeheimnisse aufgeben müssen. Wie sehen Sie das?

Wahlster: Dieser Meinung kann ich mich nicht anschließen. Das Prinzip der "offenen Innovation" ist nur auf Teilbereiche der Wirtschaft anwendbar, wo Firmengeheimnisse, Wissensvorsprung und breites Erfahrungswissen nicht den wesentlichen Unternehmenswert darstellen. Beispielsweise kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Automobilhersteller Details seiner geplanten Modellreihen öffentlich macht, nur um "offene Innovation" zu fördern. Dort sind über Jahre erworbene Spezialfertigkeiten und firmeninternes Know-how gefragt, so dass Outsider kurzfristig auch kaum zu wirklicher Innovation beitragen könnten. Im Software-Massenmarkt wird die offene Arbeitsweise aber weiter zunehmen. Die besten Web-Dienste oder Mashups für Handys und andere Alltagsgeräte entstehen schon heute oftmals in öffentlichen Projekten.

Zur Person: Wolfgang Wahlster

Wolfgang Wahlster lehrt Informatik an der Universität des Saarlandes. Er ist wissenschaftlicher Direktor und Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz. Wahlster gilt als einer der führenden deutschen Forscher im Bereich der Zukunftstechnologie.