Web 2.0 ersetzt E-Learning

31.01.2007
Informelles Lernen in sozialen Netzwerken wird von E-Learning-Päpsten als der neue Bildungstrend ausgerufen.

Die Zeit des klassischen E-Learning ist vorbei. Das klingt paradox, beschreibt jedoch treffend, dass digitales Lernen und Wissens-Management längst nicht mehr in die enge Schublade "E Learning" passen. Zwei Vordenker der Branche erklären auf der Bildungsmesse Learntec in Karlsruhe (siehe Kasten "Learntec 2007") warum. Hermann Maurer ist Vorstand und Professor am Institut für Informationssysteme und Computermedien der Technischen Universität Graz, und Joachim Hasebrook arbeitet als wissenschaftlicher Direktor und Professor an der International School of New Media an der Universität zu Lübeck.

Lernen als Jobziel Nummer eins

"Lernen wird immer weiter mit den täglichen Arbeitsprozessen von Unternehmen verschmelzen", prognostiziert Hasebrook. "Die Powerpoint-Methode, bei der Experten vorstrukturiertes Wissen in leicht verdaulichen Häppchen darreichen, wird den Anforderungen der modernen Arbeitswelt nicht mehr gerecht." Informationen würden so aus dem Arbeitsprozess herausgelöst und zu nutzlosen Brocken zerlegt. Außerdem lasse sich aufgrund immer kürzerer Innovationszyklen kaum mehr absehen, mit welchem Produkt oder Service ein Unternehmen in fünf Jahren den Markt bedient. "Die vorsorgliche Aneignung von Wissen, Kernelement des klassischen E Learning, ist damit hinfällig", betont Hasebrook. "Arbeiten wird künftig zum größten Teil aus selbst gesteuertem, informellem Lernen bestehen, gestützt durch moderne digitale Technologien."

Erste Schritte in diese Richtung zeichnen sich bereits ab. Studien zeigen, dass digitale Lösungen der Generation Web 2.0 wie Wikis oder Weblogs im Unternehmensalltag Fuß fassen. Informelles Lernen in sozialen Netzwerken gewinnt damit an Bedeutung. Jedoch nicht ohne Risiko: "In offenen Enzyklopädien wie Wikipedia werden Fehler zwar in spätestens vier Stunden gefunden, weil auch viele Experten darauf zugreifen", meint Hasebrook. "Allerdings handelt es sich dabei nicht mehr um stabiles Expertenwissen, sondern um eine Vielzahl von Anschauungen und Diskussionen, die die Informationen ständig verändern." Die entscheidenden Informationen hätten in Zukunft daher nicht mehr einzelne Experten, sondern selbstorganisierte Expertennetzwerke.

Hypercomputer als Dreh- und Angelpunkt

Joachim Hasebrook: "Lernen nach der Power.Point-Methode wird den Anforderungen der modernen Arbeitswelt nicht gerecht."
Joachim Hasebrook: "Lernen nach der Power.Point-Methode wird den Anforderungen der modernen Arbeitswelt nicht gerecht."
Foto: Joachim Hasebrook

Dass Lernen und Wissensvermittlung nie allein über Computernetzwerke laufen können, betont auch Hermann Maurer: "Lernprozesse nach dem Trial-and-Error-Verfahren, wie sie im menschlichen Hirn stattfinden, wird der Computer nie ganz ersetzen können. Das merkt man spätestens dann, wenn man ohne GPS nicht mehr den Weg zum Bäcker um die Ecke findet." Die Fäden zwischen einzelnen Informationen müsse der Mensch zusammenhalten. "Allerdings werden Hypercomputer im Handy-Format künftig in einem Maße unser Leben prägen, dass sich die Frage aufdrängt, was der Mensch überhaupt noch lernen muss", ist sich Maurer sicher.

Hermann Maurer: "Lernen kann nie allein nur über Computernetzwerke laufen."
Hermann Maurer: "Lernen kann nie allein nur über Computernetzwerke laufen."

Der Hypercomputer werde alles in einem sein: Mobilfunkgerät, Kamera, Tonträger, Rechner und Projektor. Bald könne man jederzeit für Dritte unbemerkbar jede beliebige Information abrufen. "Wir fragen per Stimmerkennung, der Computer projiziert die Antwort ausschließlich für unsere Augen: entweder unmittelbar durch die Pupillen auf unsere Retina oder direkt vor uns, nämlich als Bild, das nur für die eigene Brille sichtbar ist. Dabei ist es ganz gleich, ob wir gerade Arzt im OP oder Wanderer durch die Botanik sind", erklärt der Informatiker. Maurers Visionen, die er als Science-Fiction-Autor zum Stoff vieler Romane gemacht hat, sind bereits auf dem Weg in die Realität: So entwickeln etwa Mitarbeiter am Department of Electrical and Computer Engineering der Universität Toronto den Eye Tap, eine winzige Linse, die direkt vorm Auge getragen wird und Kamera und Display in einem ist. In Europa entstand ein erster Prototyp an der Königlichen Technischen Hochschule Stockholm.

Tabula rasa am Arbeitsplatz

"Unser Arbeitsumfeld wird sich aufgrund der technischen Möglichkeiten drastisch verändern", prognostiziert Maurer weiter. "Monitore und Papier werden von unseren Schreibtischen verschwinden und durch elektronisches Papier ersetzt." Auf E-Paper aus elektrisch leitendem Kunststoff lasse sich per Knopfdruck bequem durch jedes noch so dicke Dokument blättern. Anbieter wie Sony oder Seiko-Epson bieten bereits erste Modelle an. "Langfristig wird man deshalb auch davon abkommen, Kindern überhaupt noch das Schreiben per Hand beizubringen", nimmt Maurer an. "In Untersuchungen mit Schülern haben wir festgestellt, dass viele Kinder schon heute nicht mehr in der Lage sind, einen Bleistift vernünftig zu halten. Sie sind dafür längst Profis im Bedienen einer Maus."

Hier lesen Sie

Vorspann...
  • warum die Zeit des klassischen Lernens vorbei ist;

  • wie Lernen und Arbeiten zusammenwachsen werden;

  • warum das Papier endgültig von unseren Schreibtischen verschwinden wird.

Die Expertenstimmen machen deutlich: Das Ende des E-Learning mag in Sicht sein, die Entwicklung intelligenter Wissens-Management- und Lerntechnologien, die auf die Herausforderungen der technisierten und globalisierten Welt zugeschnitten sind, steht noch am Anfang. Die neuen Hardwarelösungen werden dieser Entwicklung Schub verleihen.

Learntec 2007

Vorspann...

Die Learntec 2007 findet vom 13. bis 15. Februar in der Messe Karlsruhe statt und steht unter dem Thema "Lernfähigkeit von Unternehmen". Gegründet 1992, ist sie die bundesweit älteste und größte Kongressmesse für Informations- und Bildungstechnologie sowie für Wissens-Management. Das Kongressprogramm bringt unter anderem mit Fallstudien Anregungen für die Optimierung von Geschäftsprozessen durch E-Learning und Wissens-Management. Auf der Fachmesse können sich die Anwender über Trends und Entwicklungen des E-Learning-Marktes informieren.