Web 2.0 erreicht den Arbeitsmarkt

10.07.2006
Von Constantin Gillies 
Soziale Netzwerke ersetzen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz die klassischen Stellenausschreibungen. Bewerber müssen künftig an ihrem Image im Internet arbeiten.

Lebenslauf kopieren, Foto einkleben, Mappe heften - mit diesen klassischen Bewerbungsformalitäten kennt sich Andreas Uhsemann nicht aus. "Ich habe mich immer auf persönliche, informelle Kontakte verlassen", erzählt der Wirtschaftsinformatiker. Mit Erfolg: Seit fünf Jahren arbeitet der 30-Jährige als Softwareentwickler für Web-basierende Anwendungen. Und auch sein aktueller Job kam zu ihm: Mitte Januar fand der auf die Scriptsprache PHP spezialisierte Profi in seinem Postfach eine Nachricht von einem gewissen Björn Schotte vor. Der Geschäftsführer des Münchner Systemhauses Mayflower war über Uhsemanns Profil auf der Networking-Plattform Open Business Club (Open-BC) gestolpert - und bot ihm eine Stelle an. "Alles klang richtig", erinnert sich der Entwickler. Endgültig überzeugt war Uhsemann, als er in Open BC entdeckte, dass sein zukünftiger Chef und er einen gemeinsamen Bekannten hatten: "Das hat sofort eine Vertrauensbasis hergestellt." Seit März programmiert nun Uhsemann bei Mayflower in Würzburg.

Selbst-Marketing im Web

Nutzen Sie soziale Netzwerke wie Open BC, um Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern zu knüpfen. Studien aus den USA zeigen: Die Chancen, über eine Empfehlung einen Job zu landen, stehen 30 zu eins. Bei einer normalen Bewerbung liegt der Wert bei 500 zu eins.

Aktualisieren Sie Ihr Online-Profil regelmäßig.

Abonnieren Sie E-Mail-Alerts. Einige Stellenbörsen schicken auf Wunsch passende Stellenangebote per E-Mail zu. In Zukunft werden solche Jobticker auch als RSS-Feed zur Verfügung stehen.

Lesen Sie Blogs. Immer mehr Unternehmen schreiben Stellen in fachspezifischen Blogs aus. Das Kalkül: Wer sich für das Thema interessiert, ist auch ein potenzieller Mitarbeiter. Bei Microsoft gibt es über 2000 Mitarbeiter-Blogs.

Schreiben Sie ein Blog. Viele Personaler googeln mittlerweile Kandidaten. Nutzen Sie Ihr eigenes Internet-Tagebuch, um ein persönliches Bild von sich zu vermitteln. Hier gehört allerdings nur hinein, was dem professionellen Image nicht schadet.

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Empfehlung statt Bewerbung

Der Fall zeigt: Das so genannte Web 2.0 hat unter dem Stichwort Jobsuche 2.0 den Arbeitsmarkt erreicht. Soziale Netzwerke ersetzen auch bei der Jobsuche zunehmend Datenbanken. "Empfehlungen - und nicht Jobbörsen - sind die Zukunft", sagt Kevin Wheeler, Chef des Beratungsunternehmens Global Learning Resources und führender amerikanischer Experte zum Thema E-Recruitment.

Für ihn steht fest: Erste Anlaufstelle für Stellensucher sind in Zukunft nicht Marktplätze wie die Jobdatenbanken Monster oder Stepstone, sondern Plattformen wie Linked In, Open BC, oder Oneview: "Junge Kandidaten nutzen für alles ihre Netzwerke - und die nächste Generation von Recruitern muss auf die gleiche Technologie bauen."

Eine aktuelle Studie bestätigt diese Einschätzung: So gibt die international tätige Personalberatung Cátenon an, in den ersten fünf Monaten dieses Jahres ein Fünftel aller Stellen in Europa über Blogs und professionelle Kontaktnetze gefunden zu haben.

Die Idee, das eigene Beziehungsgeflecht per Internet zu erweitern, ist freilich nicht neu. Hierzulande hat Open BC das Konzept bekannt gemacht. Drei Jahre nach der Gründung zählt diese Plattform weltweit eine Million Mitglieder, und für viele Personaler gehört eine Recherche hier schon zum Standardrepertoire. "Über Open BC können Sie die Passivsucher ansprechen, also Menschen in fester Anstellung, die eben nicht ihren Lebenslauf in den Jobboards hinterlegen", lobt Tim Ackermann, Senior Recruitment Manager bei Microsoft, Unterschleißheim.

Fingerspitzengefühl gefragt

Personaler greifen vor allem auf die Suchfunktion dieser Plattform zurück, wenn es darum geht, interessante Talente zu identifizieren. Dass ein potenzieller Kandidat dann unvermittelt angesprochen wird, kommt allerdings selten vor. "Da brauchen Sie viel Fingerspitzengefühl", so Ackermann, "es ist immer besser, eine Verbindung zu haben." Alle Social-Networking-Seiten können mit einem Mausklick anzeigen, über welche Stationen zwei Personen verbunden sind.

Freilich haben die Vitamin-B-Börsen ihre Grenzen. "Auf solchen Plattformen sind vor allem Vertriebsmitarbeiter, Spezialisten, Berater und Dienstleister vertreten", schildert Sörge Drosten, Mitglied der Geschäftsführung der Kienbaum Executive Consultants, Düsseldorf. Der Personalberater sieht Dienste wie Open BC als einen Informationskanal unter vielen: "Die Mitglieder solcher Netzwerke stammen überwiegend aus dem unteren und mittleren Management - Leute für die oberen Etagen finden sie auf diesem Weg nicht."

Vorbild Facebook aus den USA

Soziale Netzwerke sind in Deutschland nach wie vor ein Randphänomen. Welches riesige Potenzial in ihnen steckt, zeigt ein Beispiel aus den USA: Dort heißt der derzeitige Renner Facebook. Auf dieser Seite sind bereits sieben Millionen Studenten zu Hause. Innerhalb von nur zwei Jahren hat sich dieses Netzwerk wie eine Krake über die Colleges ausgebreitet. An manchen Universitäten sind 80 Prozent der Studenten registriert. Facebook ist längst zum Allzweck-Kommunikationsmittel geworden: Studenten versenden über die Plattform Nachrichten, tauschen Fotos aus und berichten über Erfahrungen mit Praktika. Für Unternehmen ist Facebook zur Rekrutierungsquelle schlechthin geworden. Experten schätzen den Wert des Unternehmens deshalb auf zwei Milliarden Dollar.

Nicht Mails mit der Gießkanne verteilen, sondern gezielt Kontakte nutzen, so lautet die Vorgabe bei der Jobsuche 2.0. Eine große Rolle spielen dabei in Zukunft auch Weblogs. Kandidaten nutzen das eigene Internet-Tagebuch, um ihre Online-Präsenz zu polieren - schließlich überprüfen die meisten Rekrutierer potenzielle Kandidaten längst via Google - auch wenn das nur die wenigsten zugeben. Unternehmen ihrerseits fahnden unter den Lesern ihrer Mitarbeiter-Blogs nach gesuchten Experten für Fachthemen.

Darüber hinaus dürften Jobsucher in Zukunft viele neue Werkzeuge verwenden, die heute noch im Betastadium stecken. Ein Beispiel: Auf der amerikanischen Seite Jobby können sich Bewerber darstellen, indem sie sich aus einer Tag-(Stichwort-)Wolke einige Eigenschaften aussuchen, etwa "Ajax-Erfahrungen" oder "PHP". Arbeitgeber wiederum suchen sich gewünschte Tags aus und bekommen einschlägige Spezialisten per RSS-Feed genannt. Im Prinzip macht Jobby nur das, was die Fotoseite Flickr schon seit längerer Zeit erfolgreich anwendet.

Jobs über Instant Messaging

Neue Bedeutung könnte auch Instant Messaging (IM) gewinnen. Wie schnell und effizient sich damit rekrutieren lässt, zeigt Hollywood. Um die Rekrutierung abzukürzen haben die Freelancer in der Traumfabrik ihre IM-Programme um eine Funktion erweitert: Statt nur "online" oder "offline" geben sie ihren derzeitigen Auftragsstatus ein, etwa "bis Oktober gebucht" oder "suche Auftrag". Diese Angabe erscheint dann automatisch auf den Bildschirmen aller Bekannten. Vorteil für potenzielle Auftraggeber: Sie können auf einen Blick erkennen, welcher Freelancer Zeit hat, und sofort Kontakt aufnehmen. Der bisher nötige Anruf "Bist du frei?" entfällt. Einige Produzenten vergeben mittlerweile bis zu 90 Prozent aller Aufträge über Instant Messaging, und so mancher Freelancer hat sich ein mobiles Zugangsgerät angeschafft, um jederzeit erreichbar zu sein.

Neben Casting-Agenturen greifen auch Firmen, Behörden und Personalvermittler, die Ferienjobs besetzen, zu Instant Messaging - zum Beispiel Universitätsverwaltungen. Überall dort, wo die Einstellungsphase kurz und die Fluktuation hoch ist, verbreitet sich die Praxis. Prognose: Auch deutsche Freelancer-Börsen wie Gulp werden die Technik schon bald in ihr Angebot integrieren.

Bleibt die Frage: Wie kommt man auf die Buddylists der Personaler? Kandidaten sollten sich vor allem darauf einstellen, dass Unternehmen in Zukunft verstärkt Personen-Suchdienste wie Zoom-Info nutzen. Das Prinzip: Die Robots dieser Suchmaschine durchforsten rund um die Uhr das Netz nach Menschen. Eine spezielle Software sichtet sämtliche Netzquellen wie Lebensläufe, Werdegänge, Wohnortinfos, Tagungsprogramme oder Zeitschriften-Artikel. Aus diesem Sammelsurium von Informationen erstellt der Computer Personenprofile - mit erstaunlicher Präzision. Dabei erfasst der Suchroboter jede Person und nicht nur Jobsucher oder Nutzer einer bestimmten Stellenbörse.

Personalverantwortliche, die die kostenpflichtige Profisuche von Zoom-Info abonniert haben, sind in der Lage, im Netz nach Kandidaten mit speziellen Qualifikationen oder bestimmten ehemaligen Arbeitgebern zu fischen. Selbst Suchmuster wie: "Ich suche ehemalige Marketing-Mitarbeiter von Siemens" werden möglich. Teilweise spuckt die Datenbank zum Personenprofil auch ein Foto aus. "Vergleichs-Shopping nach Mitarbeitern" nennt Zoom-Info das in der Werbung. Das scheint Anklang zu finden: Rund 20 Prozent der 500 größten US-Unternehmen nutzen bereits den Dienst, übrigens auch Google selbst. 70 Millionen Personen hat Zoom-Info nach eigenen Angaben schon erfasst - selbst ohne die sicher vorhandenen Dubletten ein beeindruckender Wert.

Der wohl wichtigste Pfeiler der Jobsuche 2.0 ist das Reputations-Management: Bewerber müssen sicherstellen, dass alle im Netz über sie sichtbaren Informationen korrekt - und natürlich vorteilhaft sind. Und dazu gehört auch, Profile in Suchmaschinen wie Zoom-Info regelmäßig zu überprüfen.

Reputations-Management - das Wort deutet schon an, in welche Richtung sich der Arbeitsmarkt entwickelt: Künftig sind Menschen die knappe Ressource. Kandidaten ziehen sich auf die Rolle des Gesuchten zurück, managen ihr Online-Selbst. Der Personaler auf der anderen Seite muss sich strecken, um seine Vakanzen zu besetzen: "Talente sind in Zukunft wieder hart umkämpft", prognostiziert HR-Stratege Ackermann von Microsoft. (hk)