Was sich Münchener Rück und SAP zu sagen haben

16.04.2008
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.

Termintreue ist wichtiger als Softwarequalität

JANSSEN: Ich will Ihnen gern zugestehen, dass SAP hier besser ist als viele Unternehmen, die nach dem Industriestandard entwickeln. Außerdem muss man sich schon fragen: Sind nicht vielfach die Kunden selbst schuld? Am Ende des Tages zählt oft nur der Termin. Die Qualität ist leider das Erste, was hinten herunterfällt. Und wie Sie sicher wissen, wollen die Kunden trotzdem immer noch zusätzliche Features. Manche - wie die Münchener Rück - berechtigte, andere völlig überzogene (lacht).

KAGERMANN (stimmt ein): Und das dann noch auf den letzten Drücker! Aber tatsächlich achten die Teams auch bei großen und komplexen Projekten häufig zu sehr auf den Termin. Das liegt wohl daran, dass der Termin das ist, worauf der Vorstand vor allem schaut. Manchmal spielen auch vertragsrechtliche Aspekte dabei eine Rolle. Das gilt sogar, wenn die Wahrscheinlichkeit bei über 50 Prozent liegt, dass das Projekt wegen bestimmter Versäumnisse scheitert. Bei großen Projekten muss man einfach einen Volumentest machen, bei einer Mission-critical-Anwendung ist schon mal ein ganz trivialer Praxistest notwendig - ausprobieren, was passiert, wenn jemand aus Versehen einen Stecker zieht. Aber so etwas ist aus Zeitgründen oft nicht vorgesehen. Manche Abteilungen überschätzen ihre Fähigkeiten da wohl auch.

JANSSEN: Aber die Frage, die mich beschäftigt, lautet: Bemühen wir uns als Industrie eigentlich, dahin zu kommen, wo die Ingenieurwissenschaften heute schon stehen?

KAGERMANN: Ich denke, ja. Es dauert ein wenig, und die Produktivität in der Software ist deutlich niedriger als in der Hardware, aber das Bewusstsein ist auf alle Fälle geweckt. In den vergangenen Jahren haben wir uns zumindest bei der SAP in dieser Hinsicht erheblich verbessert.

JANSSEN: Bei der Prozesstreue gelten ja die Inder mittlerweile als Leuchtturm der Branche (siehe auch: "Prozessgüte heißt Wettbewerbsvorteil"). Sind sie wirklich besser?

KAGERMANN: Früher glaubte man, dort würde schlechter entwickelt als hier. Doch das ist trügerisch. Was aus Indien kommt, ist gut, und man bekommt es preiswerter. Das Offshoring ist schwierig, aber am Ende zahlt es sich aus. Einige Sachen können aber andere Leute besser. So machen wir die ganz tiefe Integration in Walldorf, und das User Interface entsteht in Palo Alto. Im Silicon Valley ist einfach mehr Sizzle. Da kommen dann die netten Dinge hinein, die alle begeistern. Aber auch da geht es nicht nur um Schönheit, sondern um einheitliche UI-Standards.

Rechnungswesen fällt nicht unter Lifestyle ...

JANSSEN: Als SAP vor einigen Jahren begann, auch in Palo Alto zu entwickeln, hat mir das, ehrlich gesagt, Sorgen bereitet. Ich hatte an der SAP vor allem das relativ ordentliche Engineering geschätzt, dass sie eben keine Computer-Hacker des MIT Software Science Department beschäftigte. Und ich fürchtete, dass diese Entwicklungskultur im Silicon Valley den Bach hinunter würde. Aber das ist offenbar doch nicht passiert. Allerdings stelle ich es mir schwierig vor, die unterschiedlichen Communities zusammenzubringen.

KAGERMANN: Das ist tatsächlich nicht einfach. Aber wenn es gut läuft, ergibt sich daraus ein Mehrwert. Und wenn man Weltklassesoftware entwickeln will, muss man diese Ressourcen anzapfen; man kann ja nicht nur das Know-how der weltweiten Kunden nutzen. Damit der Spagat gelingt, muss man jedoch eine Kultur des gegenseitigen Respekts schaffen. Sie dürfen um Himmels willen nicht den Fehler begehen, in Kategorien wie besser oder schlechter zu denken. Man muss ständig betonen, dass Engineering Excellence auch weiterhin in unseren Unternehmenswerten verankert ist. Andererseits muss man denen, die das längst verinnerlicht haben, klarmachen, dass das allein nicht reicht. Ein über-engineertes Produkt ohne Appeal verkauft sich eben nicht.

... aber an Web 2.0 kommt auch die SAP nicht vorbei

JANSSEN: SAP steht nun mal weniger für Lifestyle, Rechnungswesen ist ja auch nicht wirklich fancy. Und als CIO habe ich eigentlich sowieso keine Lust auf all das Web-2.0-Zeug, das aus dem privaten Umfeld in die Unternehmen eingedrungen ist. Ich glaube auch nicht, dass das alles besonders effizient ist, sondern nur eine Möglichkeit, noch mehr Zeit zu verschwenden. Aber wir werden uns diesen Dingen öffnen müssen, weil wir unsere private Lebensweise schon darauf abgestimmt haben.

Auf der anderen Seite wurde ich kürzlich gefragt, wie ich mir meinen Job im Jahre 2014 vorstelle. Und meiner Ansicht nach wird der gar nicht so viel anders sein als heute. Wahrscheinlich (lacht) mache ich gerade den Windows-2014-Rollout. Was mich künftig beschäftigen wird, ist wohl vor allem die firmenübergreifende Vernetzung. Welche Neuerungen sehen Sie schwerpunktmäßig auf sich zukommen?

KAGERMANN: Selbstverständlich beschäftigt uns das Thema Web 2.0 ebenfalls. Ich sehe das auch unter dem Vorzeichen des War for Talents. Wir haben nicht genug junge High Potentials in der IT-Branche. Und wer sie hat, versucht, sie zu halten. Wenn dann ein neues Lebensgefühl aufkommt, können wir uns dem schon deshalb nicht verschließen. Also beschäftigen wir uns auch mit sozialen Netzen und anderen neuen Formen des Miteinander-Umgehens. Aber wir setzen diese Techniken nur dort ein, wo es sinnvoll ist, also die Produktivität oder das Teambuilding fördert. Ich stimme Ihnen insofern zu, als es aus meiner Sicht momentan keine Technik gibt, die die IT in den kommenden sechs Jahren fundamental verändern wird. Es gibt vielleicht solche Quantensprünge, beispielsweise den extremen Parallelismus in den Rechnerarchitekturen, aber ich weiß nicht, ob es 2014 schon Anwendungen dafür geben wird. Ich stelle mir vor, dass man damit beispielsweise eine Realtime-Produktionsoptimierung machen könnte. Die Frage ist, ob man das braucht. Aber damit verhält es sich wohl wie mit Video übers Handy: Ist es State of the Art, wird es genutzt.