Dokumenten-Management/Tips zu Archiven, Cold, DMS und Workflow

Was sich Anwender vor dem Projektbeginn fragen sollten

03.09.1999
Der Markt für Dokumenten-Management-Systeme (DMS) weist derzeit ein kontinuierliches Wachstum von rund 25 Prozent pro Jahr auf. Während in diesem Geschäft immer mehr Anbieter auftreten, erscheinen nahezu wöchentlich Ankündigungen über Firmenfusionen in den Medien. Die Auswahl des richtigen DM-Systems erscheint vor diesem Hintergrund sehr schwierig. Volker Halstenbach* beschreibt, worauf man bei der Systemauswahl achten sollte.

Mit der Auswahl eines bestimmten Dokumenten-Management-Systems trifft der Anwender eine Entscheidung von langfristiger Bedeutung. Aufbau und Betrieb eines DMS sind zudem häufig mit hohen Kosten verbunden, die durch die Systemnutzung innerhalb möglichst kurzer Zeit wieder amortisiert werden sollen. Eine Fehlentscheidung führt in der Regel zu überhöhten Einrichtungs- und Betriebskosten und Projektverzögerungen; zudem kann es die Arbeitsbedingungen für die DMS-Nutzer verschlechtern. Im Extremfall scheitert das gesamte Projekt.

Die auf dem DMS-Markt angebotenen Systeme weisen funktionale Schwerpunkte auf und lassen sich grob in vier Kategorien einteilen:

- Elektronische Dokumentenarchive stellen eine ideale Infrastruktur für die Ablage des eingehenden Papiers bereit und werden sowohl zu reinen Archivierungszwecken als auch im Umfeld der Steuerung der damit verbundenen Geschäftsprozesse verwendet.

- DM-Systeme unterstützen Arbeitsgruppen und Organisationsbereiche bei der Erstellung, Verwaltung und Verteilung der im Unternehmen elektronisch erzeugten Dokumente.

- Mit Cold (Computer Output on Laserdisk) wird eine ständig wachsende Funktionalität im Bereich der elektronischen Übernahme zumeist zentral erzeugter Massen- und Druckdaten (Belegdaten, Ausgangsschreiben, Dokumente, Drucklisten) bezeichnet; einzelne Cold-Systeme unterstützen erweiterte Analysen der abgelegten Daten, das sogenannte Report-Mining.

- Die Steuerung der Geschäftsprozesse, die zumeist von Dokumenten angestoßen werden und innerhalb derer ebenso häufig weitere Dokumente entstehen, erfolgt über Workflow-Systeme.

Doch damit nicht genug: Innerhalb jeder der genannten Kategorien buhlt eine schier unübersichtliche Vielzahl von Anbietern um die Gunst der Anwender. Viele davon erwecken den Eindruck, das von ihnen angebotene System weise alle oben genannten Funktionen gleichermaßen auf. In den Marketing- Broschüren hat sich hierfür bereits der Begriff "Integriertes Dokumenten-Management" (IDM) etabliert.

Tatsächlich erreicht man aber IDM vor allem in Großprojekten nur über die kundenspezifische Integration verschiedener Systeme. Im Bereich der unteren Leistungsklasse sind zwar die ersten Anbieter integrierter Lösungen erkennbar, die Skalierbarkeit läßt hier aber noch zu wünschen übrig.

Eines der größten Probleme bei der Produktauswahl ist, die zunächst nur schwer erkennbare Abgrenzung der oben genannten Funktionseinteilung den hauseigenen Aufgabenstellungen zuzuordnen. Es besteht die Gefahr, daß eine konkrete Aufgabe trotz geringen Umfangs dazu verleitet, den funktionalen Rahmen unnötig groß zu stecken. Hier gilt es, sich zurückzuhalten und statt dessen die tatsächlichen Anforderungen im Detail herauszuarbeiten. Experten verfügen über die passenden Methoden und Werkzeuge, um solche Analysen innerhalb weniger Tage durchführen und den benötigten DMS-Typ ermitteln zu können.

Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Auswahlkriterien, anhand derer sich der Anwender zunächst selbst im DMS-Dschungel orientieren kann. Allgemeine fachliche Aspekte sind dabei die flexible Organisation von Objekten und Indexdatenbank, Zugriffsschutz-Konzepte, Werkzeuge zur Systemanpassung, die unterstützten Internet-Techniken (Java, Active X, XML, Webdav) sowie die Netzwerkservices (SNMP, LDAP etc.).

Soweit der Einsatz des Systems in einem R/3-Umfeld geplant ist, sollte die zertifizierte Unterstützung der Archivelink-Schnittstelle (beziehungsweise "Content Server HTTP-Schnittstelle") eingefordert werden. Hierbei ist darauf zu achten, daß die Zertifizierung auch die eingesetzte SAP-Version umfaßt.

Was die Standards betrifft, muß der Anwender zunächst klären, welche Vorteile er sich davon verspricht. Möglicherweise hat der Anbieter gute Gründe, einzelne Standards nicht zu unterstützen. Noch vor kurzer Zeit schien zum Beispiel die Definition der Open Document Management Alliance (ODMA) eine wesentliche Rolle bei der Integration von Office-Anwendungen in DM-Systeme zu spielen. Heute ist dieser Standard aufgrund fehlender Flexibilität in den Hintergrund gerückt, die Ablösung durch Webdav (Web Distributed Authoring and Versioning) ist absehbar.

Im Folgenden werden einige Auswahlkriterien genannt, die sich speziell auf eine der vier oben genannten Einsatzkategorien beziehen. Wer sich zum Beispiel mit dem Thema Archivierung auseinandersetzt, findet in der Praxis meist einen Ablauf vor, bei dem Originale vernichtet werden, sobald sie erfaßt und als digitale Dokumente in elektronischen Archivsystemen abgelegt sind - eine eventuell gesetzlich vorgeschriebene Dokumentenaufbewahrung findet lediglich innerhalb des Systems statt. Jede DIN-A4-Seite belegt dort einen Speicherplatz von rund 50 KB und muß zum Zweck der Dokumentenspeicherung und -anzeige mehrmals über das hauseigene oder öffentliche Netzwerk transportiert werden, was gerade bei häufigen Zugriffen deutliche Netzbelastungen hervorrufen kann.

Spezielle Anforderungen ergeben sich deshalb in bezug auf die revisionssichere Archivierung von Dokumenten, die Skalierbarkeit des Systems und vor allem auf die Migrationswerkzeuge. Bedenkt man, daß die Aufbewahrungsfrist für papiergebundene Dokumente häufig zehn Jahre übersteigt, dann wird schnell klar, daß im elektronischen Bereich eine Migration auf neuere Technik unerläßlich ist. Gerade bei Archiven fällt noch ins Gewicht, ob das System geografisch verteilte Benutzer unterstützt und wie es die Zugriffsrechte verwaltet.

In das Archivumfeld fällt thematisch auch der Scanner, der nach Performance-Kriterien und Zusatzfunktionen wie Barcode, Patchcode, Bildverbesserung und Formatflexibilität beurteilt werden sollte. Vorsicht ist hier bei "Twain" geboten: Die Schnittstelle bietet zwar ein hohes Maß an Freiheit bei der Produktauswahl, weist aber nur eine geringe, auf den Hobbybetrieb ausgerichtete Scan-Funktionalität auf.

Alles in einem elektronischen Postkorb

Für den laufenden Archivbetrieb werden unter Umständen Mechanismen benötigt, die eine Erfassung und Klassifizierung von Dokumenten anderer Herkunft (PC, E-Mail, Drucklisten etc.) ermöglichen. Hier muß sichergestellt sein, daß diese in derselben elektronischen Akte wie die Eingangspost bereitstehen.

Im Gegensatz zur unveränderlichen Aufbewahrung inhaltlich abgeschlossener Informationseinheiten in Archivsystemen sollen DM-Systeme einen durchaus komplexen Entstehungsprozeß von Dokumenten unterschiedlichster Art (Office-Dokumente, Broschüren, CAD-Pläne etc.) unterstützen. Solche Dokumente werden nach ihrer Erstellung von mehreren Personen häufig geändert und liegen daher in verschiedenen Versionen vor. Hinzu kommt, daß je nach Aufgabenschwerpunkt der einzelnen Beteiligten verschiedene Perspektiven auf den Dokumentenbestand benötigt werden.

Wesentliche Anforderungen an DM-Systeme sind daher die Verwaltung unterschiedlicher Versionen von Dokumenten und Ordnern sowie die Sicherstellung eines konsistenten Bestandes, wobei sich parallele Überschreibungen durch Check-Out/Check-In-Verfahren verhindern lassen.

Bei der Auswahl eines DM-Systems ist gerade dem Aufbau und der Flexibilität der Client-Umgebung besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Hier kommt es zum Beispiel darauf an, daß DM-Funktionen wie Übergabe, Indexierung, Volltextfilterung, Rendition, Suche und Anzeige in die vom Endbenutzer typischerweise verwendeten Oberflächen (MS-Office, Notes/Outlook, Win- dows Explorer etc.) integriert werden können. Von zentraler Bedeutung für DM-Projekte ist daneben die Art der Objektverwaltung innerhalb des Systems. Anwender sollten sich folgende Fragen stellen:

- Wie ist die Versionsverwaltung organisiert. Unterstützt das System Unterversionen (1.a, 1.b) und Varianten (deutsch, englisch) von Objekten?

- Wer bestimmt auf welche Weise (explizit, automatisch), wann eine neue Version entsteht?

- Wie ist die Indexstruktur im Standard aufgebaut, welche Objekttypen können attributiert werden und welche Erweiterungen sind möglich?

- Welche Restriktionen müssen beim Einrichten von Ordnerstrukturen beachtet werden?

Aufgrund der elektronischen Herkunft der DM-Objekte lassen sich Volltextdatenbanken einfacher in diese Systeme integrieren als in reine Dokumentenarchive. Deshalb sollte hier auch grundsätzlich das Zusammenspiel zwischen Volltext- und Indexelementen geklärt werden. Hier zeigt sich, wie Index- und Volltextdatenbanken konsistent gehalten werden und ob der Client bei einer Volltextrecherche innerhalb der gefundenen Dokumente automatisch zur gesuchten Textpassage führt. Auch wird ersichtlich, ob das System den Aufbau unternehmensweiter Thesauri- und Taxonomie-Anwendungen unterstützt, um sicherzustellen, daß die Dokumente auch einheitlich bezeichnet (indexiert) und wiedergefunden werden.

Wer sich mit einem Cold-Projekt beschäftigt, hat es in der Regel mit der Archivierung von Massendrucksachen oder mit der Aufbewahrung von Drucklisten, Datenbankreports etc. zu tun. Die Produkte sind entweder als Stand-alone-Lösungen oder als Erweiterung der Archiv- beziehungsweise DM-Systeme verfügbar. Naheliegende Cold-Kriterien sind die unterstützten Druckdaten-Formate (Line-Printer-Datenstrom, AFP, HPGL, PDF usw.) und die Import-Laufzeiten. Unterschiede gibt es auch in der Art, wie Suchkriterien automatisiert übernommen werden können. Wer über die Ablage hinaus Report-Mining-Funktionen benötigt, sollte diese hinterfragen.

Workflow organisiert das DM-Umfeld

Schließlich sollen noch einige Kriterien bezüglich des Workflows genannt werden, da es im DM-Umfeld nicht selten Anforderungen gibt, Dokumente weiterzuleiten oder komplette Vorgänge zu steuern, die von Dokumenten angestoßen wurden. Klassische Beispiele sind: Eine Rechnung aktiviert die Rechnungsprüfung oder eine Schadensmeldung initiiert die Schadensbearbeitung. Für solche Anforderungen gibt es zahlreiche Workflow-Produkte, ebenfalls als Stand-alone-Lösungen, die mit einem DMS integriert werden kann, oder als Bestandteil eines DMS. Workflow-Software selbst verwaltet daher typischerweise keine Dokumente, sondern lediglich die Verweise auf Dokumente beziehungsweise die Metainformationen der angestoßenen Prozesse.

Gerade der Markt für Workflow-Systeme weist eine besonders hohe Anbieterzahl auf. Auch hier gilt: Der erste Schritt zur Produktauswahl besteht in der Feststellung der eigenen Anforderungen. Dazu zählen die Arbeitsschritte, die gesteuert werden sollen, die Integration der Steuerung in bestimmte Anwendungen und das Mengengerüst (Dokumente, Vorgänge, Personen) der einzelnen Vorgangsarten.

Mit diesen Vorgaben läßt sich häufig eine erste Einstufung des Workflow-Projekts erzielen und festlegen, ob ein mehr Group- ware-orientierter oder ein transaktionsorientierter Ansatz zu wählen ist. Soll die Workflow-Lösung einer bereits hausintern eingesetzten Groupware aufgesetzt werden, ist das Spektrum der angebotenen Produkte allerdings schon deutlich eingeschränkt. Bei der Auswahl der verbleibenden Produkte muß sichergestellt sein, daß keine projektbezogene Integration in die Groupware-Umgebung benötigt wird. Das Personenverzeichnis der Groupware muß auch für die Workflow- Benutzer gelten, und außerdem sollte das Workflow-System die Group-ware-Infrastruktur für die eigene Datenverwaltung nutzen können.

Ein Nachteil dabei: Die enge Verzahnung der Workflow-Lösung in die Groupware-Umgebung bedeutet auf Dauer, daß man immer erst dann einen Release-Wechsel der Groupware vornehmen kann, wenn das Update auch vom gewählten Workflow-Produkt unterstützt wird.

Transaktionsorientierte Workflow-Produkte benötigen immer kundenspezifische Integrationen. Hier ist die Flexibilität der Werkzeuge zur Integration von besonderer Bedeutung. Daneben sollte darauf geachtet werden, daß über das Workflow-Produkt nicht eine grundsätzlich neue Systemlandschaft in der DV-Umgebung aufgebaut wird. Ideal - aber nur selten anzutreffen - ist, wenn das Workflow-Produkt die Steuerungsdaten direkt in der DMS-Datenbank hinterlegt und zudem die dort oder in offenen Directory-Services definierten Benutzerprofile verwendet. Dieses Kriterium ist am ehesten erfüllt, wenn der DMS-Anbieter gleichzeitig der Workflow-Lieferant ist.

Die genannten Kriterien zur Systemauswahl sind nur einige, allerdings wesentliche Punkte eines umfangreichen Fragenkatalogs. Wer nach diesem Muster vorgeht, hat den Vorteil, daß seine Entscheidung herleitbar ist, sowohl gegenüber dem eigenen Management als auch gegenüber den Endbenutzern.

Angeklickt

Die Auswahl eines geeigneten DMS stellt ein eigenes Projekt dar und bedarf entsprechender Kenntnisse. Nach der ersten Aufnahme der konkreten Anforderungen ist zunächst der benötigte DMS-Typ zu ermitteln. Im Rahmen einer Grobanalyse ist eine Projektbeschreibung nebst Anforderungskatalog zu erstellen und an ausgewählte Anbieter zu versenden. Dieser Katalog beinhaltet organisatorische, technische und kaufmännische Fragestellungen zu allgemeingültigen und speziellen DMS-Themen. Hinzu kommen subjektive Auswahlkriterien, die über den Fragenkatalog nicht geklärt werden können. Erst die konsolidierte Auswertung aller Kriterien führt zur erfolgreichen Systemauswahl.

*Volker Halstenbach ist Partner bei der Zöller & Partner GmbH, einer Technologie- und Management-Beratung für DMS mit Sitz in Sulzbach (vhalstenbachzoeller.de).