Capgemini IT-Trends und -Flops

Was IT-Entscheider 2023 (nicht mehr) beschäftigt

23.02.2023
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Zero Trust, Multi-Cloud und Machine Learning stehen bei IT-Entscheidern oben auf dem Zettel. Quanten Computing, Virtual Reality und Graph-Datenbanken nicht mehr.
  • Der Ukraine-Krieg hat große Unsicherheit geschaffen, weshalb Zero Trust als Konzept viele CIOs interessiert.
  • Unternehmen möchten mehrere Cloud-Umgebungen nutzen, doch Capgemini warnt vor dem administrativen Aufwand.
  • Intelligente Automatisierung mit Software-Bots als Helfer sind überall ein Thema.
Capgemini hat untersucht, welche Technologietrends IT-Chefs im Jahr 2023 interessieren - und welche nicht (mehr) so sehr.
Capgemini hat untersucht, welche Technologietrends IT-Chefs im Jahr 2023 interessieren - und welche nicht (mehr) so sehr.
Foto: Ground Picture - shutterstock.com

Der IT-Dienstleister Capgemini hat auch für 2023 die wichtigsten IT-Trends sowie die größten Flops ermittelt. Dazu wurden 132 Manager aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt - aus Unternehmen und Behörden. Untersucht wurden technologische, wirtschaftliche und organisatorische Aspekte, darunter auch die Entwicklung der IT-Budgets, die Aufstellung der IT-Einheiten, Zukunftstechnologien und Standortfaktoren. Befragungszeitraum war zwischen dem 5. September und dem 16. Oktober 2022.

In diesem Jahr sollten die teilnehmenden CIOs die Bedeutung von 27 Technologien aus den Bereichen Anwendungen, Daten, Infrastruktur, Interaktion, Prozesse, Sicherheit und Zusammenarbeit für ihre Organisation bewerten und angeben, ob sie diese nutzen wollen oder Projekte dazu planen. Einige Themen aus dem Vorjahr finden sich nicht mehr auf der Liste, nämlich:

Entweder sind diese Technologien inzwischen im alltäglichen Einsatz, also keine neuen Trends mehr, oder sie sind in anderen Bereichen aufgegangen.

Relevante Technologietrends für IT-Entscheider: Top 5

Hier nun also ein Blick auf die fünf wichtigsten Trendthemen:

Platz 1: Zero Trust

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich die IT-Sicherheitslage in Unternehmen und Behörden weiter zugespitzt. Auch die vielen Sicherheitslücken, die sich immer wieder in Hard- und Software finden, sind ein Grund dafür. Die größte Bedrohung besteht derzeit in Ransomware: Angreifer versuchen, Lösegeld zu erpressen. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen ist das Sicherheitskonzept Zero Trust nach einem bereits starken Bedeutungszuwachs im vergangenen Jahr noch einmal wichtiger geworden.

Zero Trust, Multi Cloud und Machine Learning stehen bei IT-Entscheidern oben auf der Agenda, Blockchain, Graph-Datenbanken und Quanten Computing dagegen unten.
Zero Trust, Multi Cloud und Machine Learning stehen bei IT-Entscheidern oben auf der Agenda, Blockchain, Graph-Datenbanken und Quanten Computing dagegen unten.
Foto: Capgemini

Der Zero-Trust-Ansatz sieht vor, dass alle Dienste, Geräte und Anwender im Netzwerk wie Externe behandelt und ihre Rechte eingeschränkt werden. Darüber hinaus wird ihr Verhalten analysiert. So müssen Angreifer nicht nur eine, sondern gleich eine ganze Reihe von Hürden überwinden, um Daten zu erbeuten oder Schaden anzurichten.

Obwohl Zero Trust schon länger als wichtiger Trend gilt, verlief die Umsetzung in den betrieben bislang eher schleppend. 2021 hatten knapp fünf Prozent der Umfrageteilnehmer Zero Trust in ihrer Organisation etabliert, bei der jüngsten Umfrage waren es immerhin gut elf Prozent. Jeder dritte Befragte ist momentan mit der Umsetzung beschäftigt, weitere 20 Prozent gedenken, Zero Trust zu implementieren.

Platz 2: Multi-Cloud

In den vergangenen zwölf Monaten haben Multi-Cloud-Lösungen an Bedeutung gewonnen. Verschiedene Faktoren treiben die CIOs in diese Richtung, darunter die Sorge vor einem Vendor-Lock-in, der Wunsch nach bestimmten innovativen Services einzelner Cloud-Anbieter oder auch die geografische Diversifizierung. Beispielsweise werden Daten, die für den chinesischen Markt relevant sind, meistens separat von allen anderen Daten gespeichert und verarbeitet.

Den höchsten Bedeutungszuwachs im Vergleich zum Vorjahr gab es für Multi-Cloud und Predictive Maintenance. Edge Computing fällt überraschend stark ab - vielleicht weil derzeit grundsätzlich weniger in IT investiert wird.
Den höchsten Bedeutungszuwachs im Vergleich zum Vorjahr gab es für Multi-Cloud und Predictive Maintenance. Edge Computing fällt überraschend stark ab - vielleicht weil derzeit grundsätzlich weniger in IT investiert wird.
Foto: Capgemini

Aber es gibt auch profanere Gründe für Multi-Cloud: Beispielsweise nutzen die einen Business-Abteilungen die Services von Anbieter A, andere das Angebot von B, und so entsteht schnell eine Multi-Cloud-Umgebung, mit der die IT-Abteilungen zurechtkommen müssen. Die Anzahl der Unternehmen, die Services bei verschiedenen Anbietern nutzen, hat zwar in den vergangenen zwölf Monaten nur geringfügig zugenommen, doch es fällt auf, dass die Zahl derjenigen, die Multi-Cloud-Umgebungen planen, stark steigt.

Multi-Cloud-Umgebungen haben große Vorteile, etwa dass der jeweils beste Service verschiedener Anbieter genutzt werden kann oder sich das Risikos diversifizieren lässt. Andererseits warnt Capgemini vor dem erhöhten administrativen Aufwand und der zunehmenden Komplexität. Beides könne auf Kosten der Flexibilität gehen.

Platz 3: Machine Learning

Die Bedeutung maschinellen Lernens hat im Vergleich zum Vorjahr abgenommen. Mehr CIOs als zuvor sind jetzt sicher, dass sie die Technologie nicht einsetzen werden (plus rund fünf Prozentpunkte), gleichzeitig ist aber die Zahl der aktiven Anwender um rund neun Prozentpunkte gestiegen. Capgemini schließt daraus, dass die Entscheider heute die Voraussetzungen für die Nutzung der Technologie genauso wie die möglichen Einsatzbereiche besser einschätzen können.

Beim Machine Learning erkennen Computer Muster und Gesetzmäßigkeiten und entwickeln auf der Basis von empirischen Daten oder Trainingsdaten automatisch Algorithmen. Das senkt den Entwicklungsaufwand deutlich. Durch Lernen werden die Ergebnisse beziehungsweise Vorhersagen besser.

Besonders schnell etabliert haben sich neben Machine Learning auch RPA und Multi-Cloud.
Besonders schnell etabliert haben sich neben Machine Learning auch RPA und Multi-Cloud.
Foto: Capgemini

Maschinelles Lernen wird in verschiedenen Branchen eingesetzt wie im Handel, im Finanz- und Gesundheitswesen sowie in der Logistik und Fertigung mit unzähligen Use-Cases. Seine Bedeutung ist vor allem für die Automobilbranche, das produzierende Gewerbe, Logistikunternehmen und die Versicherungswirtschaft hoch.

Platz 4: Robotic Process Automation (ohne KI)

Erstmals unter den fünf wichtigsten Technologien findet sich Robotic Process Automation (RPA) wieder. Mehr als 40 Prozent der Unternehmen setzen die Technologie ein, weitere 20 Prozent werden in den nächsten ein bis zwei Jahren hinzukommen. Das zeigen die Zahlen zu den geplanten Projekten.

Wenn Schnittstellen fehlen, ist RPA als Workaround-Technologie beliebt, um kleine Automatisierungsschritte an der Oberfläche umzusetzen oder ältere Systeme zu optimieren, bis diese dann in einigen Jahren neu aufgesetzt werden. Prozesse können später dann mithilfe stabiler und sicherer Schnittstellen durchgängig und ohne RPA automatisiert werden.

Platz 5: Schutz IoT-fähiger Geräte

Während der Pandemie vor zwei Jahren nahmen Malware-Angriffe auf Geräte, die an das Internet of Things (IoT) angeschlossen waren, stark zu. CIOs begannen, in deren Schutz zu investieren. Inzwischen lässt das Interesse am Thema wieder etwas nach, obwohl erst knapp 13 Prozent der Befragten in diesem Bereich gut aufgestellt sind.

Allerdings planen jetzt mehr CIOs Projekte zu diesem Thema als im Vorjahr. Dazu gehören beispielsweise die automatische Analyse von Netzwerkprotokollen, das Einschränken der Kommunikation von intelligenten Geräten, das Ändern aller Passwörter und die Verbesserung des Update-Managements. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die von den Herstellern entwickelten Schutzmechanismen allein nicht ausreichen, um eine Organisation abzusichern.

Infrastructure-as-Code und Serverless Computing sind wichtige aufkommende Trends.
Infrastructure-as-Code und Serverless Computing sind wichtige aufkommende Trends.
Foto: Capgemini

Weniger relevante Technologien für IT-Chefs: Flop 5

Die folgenden Technologien finden sich am Ende des Capgemini-Rankings, werden also von CIOs momentan als weniger relevant eingestuft:

Platz 23: Virtual & Augmented Technology

Überraschend weit hinten im Ranking der bedeutsamen Technologien findet sich immer noch Virtual & Augmented Technology. Die Position hat sich gegenüber dem Vorjahr kaum verändert, allerdings ist die Nutzungsquote von 15 Prozent auf 21 Prozent gestiegen. Andererseits gibt es jetzt mehr Unternehmen, die sich gegen den Einsatz der Technologien entschieden haben.

Laut Capgemini kristallisiert sich die aktuelle Zielgruppe klar heraus. Das sind Organisationen, bei denen Teams an unterschiedlichen Standorten gemeinsam an physischen Objekten arbeiten. Einsatzgebiete sind Konstruktion und Entwicklung sowie Schulung und Wartung in vielen Branchen. In Zukunft könnten sich neue Einsatzbereiche im E-Commerce ergeben. Das hängt aber stark vom Erfolg der Endgeräte für Consumer und der Attraktivität virtueller Marktplätze ab.

Platz 24: Mobile Wallets

Obwohl seit der Corona-Pandemie häufiger bargeldlos gezahlt wird, haben sich Mobile Wallets in Europa noch nicht durchgesetzt - anders als etwa im chinesischen Markt. Sie werden auch noch relativ selten für Ticketing und Zugangskontrolle eingesetzt.

Dementsprechend ist das Interesse an mobilen Geldbörsen nach einem kurzen Anstieg im Vorjahr wieder abgeflaut. Wie es weitergeht, hängt auch von der Entwicklung und Verbreitung der Distributed-Ledger-Technologie ab. Derzeit interessieren sich in erster Linie Großkonzerne und Start-ups für Mobile Wallets.

Nischenthemen bleiben High Performance Computing, Graph-Datenbanken und Edge Computing.
Nischenthemen bleiben High Performance Computing, Graph-Datenbanken und Edge Computing.
Foto: Capgemini

Platz 25: Distributed-Ledger-Technologie

Fast die Hälfte der Studienteilnehmenden hat derzeit keine Pläne für den Einsatz der Distributed-Ledger-Technologie, und 24 Prozent können mit dem Begriff wenig anfangen oder haben sich noch keine Gedanken darüber gemacht. Die Zahlen zeigen, dass sich die Technologie immer noch in einem frühen Stadium befindet.

Es gibt zwar viele Start-ups und Communities, die an Lösungen basierend auf einem dezentralen, nachvollziehbaren und zertifizierten Datenaustausch und einer dezentralen Datenhaltung arbeiten. Allerdings bilden diese häufig Altbekanntes mit einer neuen Technologie ab.

Interessant ist Distributed Ledger für die Authentifizierung von Produkten aller Art, die Überwachung und das Monitoring von Lieferketten. Wann und wie schnell die Technologie Verbreitung findet, ist ungewiss. Unternehmen sollten prüfen, ob sie für ihr Geschäftsmodell oder ihre Branche interessant sein könnte. Sie sollten die aktuellen Entwicklungen verfolgen und Chancen und Risiken verschiedener Szenarien analysieren.

Platz 26: Graph-Datenbanken

Graph-Datenbanken haben aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit die Hoffnung geweckt, stark vernetzte Daten besser verwalten und komplexe Abfragen effizienter vornehmen zu können. Viele Interessenten mussten im vergangenen Jahr aber erkennen, wie komplex der Umgang mit Graph-Datenbanken ist, und sind von ihrem Vorhaben wieder abgerückt: 72,5 Prozent der Befragten haben derzeit keine Pläne damit oder können mit dem Begriff nichts anfangen.

Übrig geblieben sind rund 19 Prozent der Teilnehmenden, die das Geld und die Zeit investieren, um von den Vorteilen der Technologie zu profitieren. Dazu gehört es beispielsweise, die Metadaten verschiedener Datensilos zu verknüpfen, zu erkennen, welche Datenpunkte zu welchem Kunden oder Produkt zur Verfügung stehen, und dadurch umfassende Analysen erstellen zu können.

Platz 27: Quanten-Computing

Die Quanteninformatik stößt in der Wissenschaft und Technik ebenso wie in der Industrie auf großes Interesse und wurde deshalb vor zwölf Monaten in die Themenliste aufgenommen. Ihr Potenzial ist riesig. Sie soll beispielsweise mehr Rechenleistung für intelligente Anwendungen bieten, so dass diese robuster und leistungsfähiger werden.

Eine der wichtigsten Eigenschaften des Quanten-Computers ist seine Fähigkeit, unzählige Situationen gleichzeitig zu analysieren und eine Lösung zu finden. Inzwischen bieten zwar verschiedene Unternehmen Quanten-Computing als Cloud-Service an, dennoch bleibt die Technik ein Nischenthema und ist nur für zirka jeden zehnten Teilnehmenden interessant.

Die Auf- und Absteiger des Jahres 2023

In diesem Jahr haben die Befragten die Bedeutung der meisten Technologien ähnlich eingeschätzt wie im Vorjahr. Es gab nur wenige und meist nur moderate Veränderungen. Die größten Zuwächse erzielten die Themen Multi-Cloud und Preventive/Predictive Maintenance (Rang sechs).

Vorausschauende Wartung ist kein neues Thema mehr, aber häufig stehen erst jetzt die entsprechenden Daten und Dienste dafür zur Verfügung. Die Gründe sind zum einen die zunehmende Digitalisierung der Produktion, zum anderen neue Services von Cloud-Anbietern. Sie vereinfachen Preventive und Predictive Maintenance deutlich. Dementsprechend ist nicht nur die Bedeutung des Themas stark gestiegen, sondern auch die Anzahl der Anwender. Sie hat sich verdreifacht und liegt jetzt bei knapp 19 Prozent. Weitere rund 20 Prozent implementieren derzeit und rund 24 Prozent stecken in der Planung.

In einem Radar-Chart ordnet Capgemini die IT-Trends 2023 ein.
In einem Radar-Chart ordnet Capgemini die IT-Trends 2023 ein.
Foto: Capgemini

Stark an Bedeutung verloren hat überraschend Edge Computing. Die Anzahl der Anwender ist seit dem vergangenen Jahr nicht gestiegen und liegt deutlich unter zehn Prozent. Edge Computing ermöglicht es, Daten direkt an der Quelle - beispielsweise an einem Produktionsstandort - zu verarbeiten. Es gibt vorkonfigurierte, einsatzbereite Lösungen und man könnte erwarten, dass sowohl das produzierende Gewerbe als auch die Automobilindustrie Interesse zeigen. Der Bedarf ist aber offenbar gering, denn bei rund 45 Prozent der Studienteilnehmenden steht Edge Computing nicht auf der Liste der geplanten Projekte. Eventuell warten sie darauf, dass die Energiepreise wieder sinken und Geld für solche Vorhaben zur Verfügung steht.

Auch der Schutz vor Angriffen, die von Quanten-Computern ausgehen, ist kein wichtiges Thema mehr. Viele CIOs sind offenbar zu dem Schluss gekommen, dass sie sich erst in einigen Jahren mit neuen Verschlüsselungstechnologien und Zertifikaten auseinandersetzen müssen, um solche ausgefeilten Angriffe abwehren zu können. Denn derzeit gibt es weltweit nur wenige dieser Hochleistungsrechner, die für Angriffe genutzt werden könnten. Dennoch sollten CIOs das Thema im Auge behalten und die wichtigsten Systeme rechtzeitig umrüsten.

Die wichtigsten Vorhaben 2023

In den kommenden Monaten wollen rund 56 Prozent der CIOs das Zero-Trust-Konzept umsetzen. Jeder zweite plant zudem, Low-Code-App-Plattformen zu nutzen. Ein Grund dafür ist, dass es eine immer größere Auswahl an Plattformen und immer mehr Anbieter gibt.

Low-Code-Entwicklung bietet Vorteile wie kürzere Projektlaufzeiten, geringere Kosten und die Möglichkeit, fachfremde Menschen an das Programmieren heranzuführen. Die Entwicklung eignet sich vor allem für weniger komplexe, selten genutzte oder temporäre Lösungen - vorausgesetzt, die Software wird professionell dokumentiert, versioniert und kann gewartet werden.

Bei gut 47 Prozent der Befragten stehen Multi-Cloud-Umgebungen auf dem Projektplan, etwas mehr als 46 Prozent werden Prozesse mit Software-Bots automatisieren. Dazu tragen zum einen die Erfahrungen mit RPA sowie neue Services von Cloud-Anbietern bei. Sie vereinfachen es, Robotern intelligente Services vorzuschalten, die Entscheidungen treffen oder Berechnungen anstellen. Das trägt auch dazu bei, alte Backend-Systeme länger und effizienter einzusetzen. Derzeit nutzen aber nur wenige CIOs intelligente Roboter. Wenn alle geplanten Projekte umgesetzt werden, sollte sich die Technologie 2023 stark verbreiten.