US-Anbieter loben den IT-Standort Deutschland

"Was fehlt, ist die Aufbruchstimmung"

24.01.2003
MÜNCHEN (sp) - Auch wenn die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen nicht für Begeisterung sorgen: Für die hiesigen Töchter US-amerikanischer IT-Anbieter gilt Deutschland nach wie vor als strategisch wichtiger Standort. Ihrer Ansicht sollten die Deutschen ihn nicht kaputtreden, sondern endlich die Ärmel hochkrempeln.

Der Unmut über den Wirtschaftsstandort Deutschland ist groß. Unisono fordern Branchenverbände Maßnahmen zur Deregulierung des Arbeitsmarkts, wirtschaftsfreundlichere Mitbestimmungs- und Kündigungsschutzgesetze, die Aufhebung des Gesetzes zur Scheinselbständigkeit, die Senkung der Lohnnebenkosten und Steuern sowie konkrete Schritte zur Förderung des Mittelstands.

Auch die IT-Branche bemängelt die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die den krisengeschüttelten Markt zusätzlich schwächen. Dem Verband der Softwareindustrie Deutschlands e.V. (VSI) zufolge müssen die derzeitigen Markthemmnisse gestoppt werden, "bevor Deutschland in ein unaufhaltsames Wirtschaftsdesaster fällt". Besorgnis herrscht zudem hinsichtlich des Kapitalzuflusses aus anderen Ländern: In der ersten Jahreshälfte 2002 haben ausländische Firmen branchenweit nur 27 Milliarden Euro in Deutschland investiert. Und es sieht so aus, als ob die 60 Milliarden Euro des Vorjahres im Gesamtjahr nicht erreicht werden.

Lage ist besser als die Stimmung

Der Bundesbeauftragte für Auslandsinvestitionen, Hilmar Kopper, hält solche Bedenken allerdings für übertrieben. Seiner Ansicht nach erfüllen Ausbildung und Motivation deutscher Arbeitskräfte auch künftig "höchste Standards". Das Label "Made in Germany" gelte nach wie vor als Zugpferd im Wettbewerb um Unternehmensinvestitionen. Auch nach Einschätzung der hiesigen Niederlassungen ausländischer IT-Anbieter ist die derzeitige Lage besser als die Stimmung.

"Die Deutschen können wesentlich mehr, als sie momentan zugeben wollen", meint etwa Ralph-Peter Quetz, Vorstand von Dimension Data Deutschland, einem IT-Dienstleister mit Hauptsitz in Südafrika. "In den Bereichen Forschung und Wirtschaft besteht zwar noch Nachholbedarf, aber in Bezug auf Software, Ingenieurleistung und Kreativität ist Deutschland ein nicht zu unterschätzender Standort." Ähnlich sieht es Walter Fertl, Geschäftsführer des US-amerikanischen Sicherheitsspezialisten Network Associates (NAI): "Dank der hervorragenden Infrastruktur und Qualifikation der Leute und angesichts der Vielzahl von Industrien ist die Bundesrepublik für IT-Anbieter durchaus attraktiv."

Natürlich leiden die vorwiegend in den USA ansässigen IT-Unternehmen unter der anhaltenden Investitionszurückhaltung in Deutschland. "Die Wachstumsraten, die wir uns im Abflauen des 11.-September-Schreckens vor zwölf Monaten vorgestellt hatten, konnten wir in diesem Jahr nicht erreichen", bringt es Stefan Höchbauer, Geschäftsführer der rund 160 Mitarbeiter starken Peoplesoft-Niederlassung, auf den Punkt. Vielen anderen IT-Firmen geht es ähnlich.

Doch die zum Teil massiven Umsatzeinbußen spiegeln lediglich die weltweite Geschäftsentwicklung wider: "In Deutschland ist die Lage nicht schlechter als in den anderen Ländern, in denen wir vertreten sind", bilanziert Josef Narings, Geschäftsführer der hiesigen Borland-Niederlassung. Der Softwarehersteller, der etwa zehn bis zwölf Prozent seiner Gesamteinnahmen in Deutschland erzielt, verzeichnete in diesem Jahr in der Region Deutschland/Österreich/Schweiz 15,8 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr. 2001 hatte die Steigerung im Jahresvergleich noch bei 45 Prozent gelegen.

Wachstum in Deutschland war ordentlich

Auch der Dokumenten-Management-Anbieter Filenet, der in Deutschland und der Schweiz in diesem Jahr rund zehn Prozent seines Gesamtumsatzes (340 Millionen Euro) erwirtschaftet hat, hat die erwarteten Wachstumsraten von 20 bis 25 Prozent nicht erreicht. Deutschland-Geschäftsführer Rudolf Gessinger rechnet für 2002 allerdings in keinem Land mit einem Plus von mehr als fünf bis sieben Prozent.

Die Sun Microsystems Deutschland GmbH, die mit rund 1600 Mitarbeitern inzwischen zur größten Landesorganisation in Europa aufgestiegen ist, hat nach Angaben von Geschäftsführer Helmut Wilke in diesem Jahr rund eine Milliarde Euro Umsatz erzielt. Das sei ein Wachstum von über zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr, und damit könne man zufrieden sein. Auch bei der Computer Associates Deutschland GmbH liegt das Geschäft nach den Worten von Geschäftsführer Peter Rasp leicht über Plan "und auch etwas besser als der weltweite Schnitt". Mit 130 Millionen Euro Umsatz (weltweit: 2,96 Milliarden Dollar) habe seine Niederlassung im Ende März abgeschlossenen Geschäftsjahr 2002 acht Prozent mehr eingenommen als im Vorjahr. "Viele US-Firmen machen ihre europäischen Töchter zu Sündenböcken, wenn die Zahlen nicht den Erwartungen entsprechen. Bei uns ist es momentan eher umgekehrt", freut sich Rasp.

Die meisten deutschen Filialen US-amerikanischer IT-Unternehmen konzentrieren sich auf den Vertrieb und die zugehörigen Aktivitäten: Service und Support, Consulting sowie regionale Marketing-Kampagnen. Um Software noch im Nachhinein kundenspezifischen Bedürfnissen beziehungsweise landesweiten Bestimmungen anpassen zu können, verfügen manche Anbieter - etwa der ERP-Softwarehersteller Peoplesoft - über zusätzliche lokale Entwicklungsteams. Auch NAI entwickelt grundsätzlich nicht nur im Heimatland USA, sondern teilweise auch in Österreich und Großbritannien, um lokale Faktoren berücksichtigen zu können. "Außerdem sind komplexere Supportfälle, leichter zu handhaben, wenn man den zuständigen Entwickler nicht extra aus Kalifornien einfliegen muss", so Deutschland-Geschäftsführer Fertl.

Allen Niederlassungen gemeinsam ist, dass sie sich am globalen Kurs der Konzernmutter orientieren müssen - schon allein deshalb, weil es sich bei vielen ihrer Kunden um weltweit operierende Unternehmen handelt. Den Vorwurf, dass der damit verbundene Bürokratismus den deutschen Managern kaum Luft für eigene Entscheidungen lasse, wollen diese jedoch nicht stehen lassen. "Ich habe die größte Freiheit, die man sich vorstellen kann - sogar in Bezug auf die Mitarbeiter", behauptet etwa Rolf Schwirz, Geschäftsführer von Oracle Deutschland. Beispielsweise habe er vor einiger Zeit die Vier-Tage-Woche für Consultants eingeführt, um krisenbedingte Entlassungen zu vermeiden. "Solche Maßnahmen stimme ich natürlich mit unserem CEO in den USA ab, das ist guter Stil", so Schwirz. "Aber letztlich fälle ich die Entscheidung - und muss dafür geradestehen."

Unterschiedliche Marktbedingungen

Ansonsten erschöpft sich der Spielraum der deutschen Töchter vor allem auf die Anpassung der Unternehmensstrategie an regionale Marktgegebenheiten: "Überlegungen wie: in welche Märkte will ich rein, auf welche Produkte beziehungsweise Zielgruppen lege ich stärkere Schwerpunkte - das wird in der Regel lokal entschieden", beschreibt CA-Manager Rasp.

Vor allem beim Vertrieb weichen die deutschen Marktbedingungen von den US-amerikanischen ab: Während die Amerikaner grundsätzlich mehr vom direkten Vertrieb halten, wird angesichts der mittelständisch geprägten Unternehmensstruktur in Deutschland das klassische Account-Modell über Partner präferiert: Um Kundennähe bieten zu können, muss der Vertrieb dezentral organisiert werden, da die Kunden übers ganze Bundesgebiet verteilt sind. Und das geht nur mit Partnern.

Im Softwaregeschäft können unter Umständen die jeweiligen gesetzlichen Anforderungen dafür sorgen, dass die Märkte unterschiedlich bearbeitet werden müssen. So ist der hiesige Markt für Dokumenten-Management-Systeme laut Filenet-Geschäftsführer Gessinger wegen der strengen Aufbewahrungspflichten "archivlastiger" als in anderen Ländern. Außerdem gebe es mehr Anbieter, und der Preisdruck sei stärker.

Ein weiterer Unterschied, den die hiesigen Niederlassungen US-amerikanischer IT-Anbieter beachten müssen: Während es in den USA vorrangig um einzelne Produkte geht, sind in Deutschland eher Gesamtlösungen inklusive Consulting gefragt. Kundenbetreuung hat hierzulande einen wesentlich höheren Stellenwert: "Umfassende Beratung ist wichtig, weil die Kunden mehr Fachkompetenz haben und die Einkaufsprozeduren komplexer und stärker auf Qualität ausgelegt sind", erläutert Borland-Manager Narings.

Grundsätzlich gilt der deutsche Anwender als in besonderem Maße technisch versiert und faktenorientiert. "Mit den amerikanischen Marketing-Folien kann man die Deutschen nicht überzeugen", bringt es Sun-Chef Wilke auf den Punkt. Da die Kunden Produkte und Dienstleistungen gründlicher und kritischer begutachten, bevor sie einen Vertrag unterschreiben, müssen die Anbieter bereit sein, unter Umständen nicht nur Standardinstallationen aufzubauen, sondern projektspezifische Testszenarien, die der Kunde vor dem Kauf ausprobieren kann.

Im Gegensatz zu den begeisterungsfähigen Amerikanern, die neue Technologien möglichst zeitnah testen wollen, warten deutsche Anwender jedoch in der Regel lieber ab, bis sich eine Lösung bewährt hat. "Die Risikobereitschaft, etwa ein Produkt im Rahmen eines Pilotprojekts zu testen, ist hierzulande wesentlich geringer", bemängelt Andreas Dohmen, Vice President und Geschäftsführer von Cisco Deutschland.

Diese Vorsicht entspricht der deutschen Mentalität und mittelständisch geprägten Firmenlandschaft, wurde aber durch die Wirtschaftskrise noch verstärkt. Oberste Priorität bei Invesitionen in die IT hat in Deutschland derzeit der Return on Investment (RoI): "Ein Anbieter kann hierzulande nichts mehr verkaufen, wenn er nicht über Testinstallationen und Referenzen nachweisen kann, dass er das Thema RoI im Griff hat", ist Schwirz überzeugt. Er persönlich hält diesen Umstand aber nicht unbedingt für einen Nachteil: "Warum sollte ein deutscher CIO eine schlechtere Entscheidung treffen als sein US-Kollege?"

Ähnlich sieht es Sun-Deutschland-Chef Wilke. Seinen Erfahrungen nach geht es den hiesigen Kunden nicht in erster Linie um schnelle Einsparungen, sondern um strukturelle Entscheidungen, die längerfristig zu einer wirtschaftlicheren Arbeitsweise führen - etwa Konsolidierungsmaßnahmen im Rechenzentrum. "Für innovative Konzepte dieser Art sind die Unternehmen nach wie vor bereit, Geld auszugeben", so Wilke. "Auch wenn wir unterm Strich weniger an solchen Projekten verdienen - der Kunde erwartet sie von uns."

Nach Ansicht von Cisco-Deutschland-Chef Dohmen dagegen bremst die reine Fixierung auf den Kosten-Nutzen-Aspekt das Geschäft und behindert Innovationen. "Das Pendel hat in Deutschland extrem von links nach rechts geschlagen: Nach der Euphorie der vergangenen Jahre legen viele Firmen zurzeit eine regelrechte Verweigerungshaltung an den Tag", bemängelt der Manager. "Die Dinge haben sich zu stark auf die Controller-Seite verschoben."

Trotz der vielerorts als hinderlich bezeichneten politischen Rahmenbedingungen: Unterm Strich schneidet der Standort Deutschland bei den ausländischen Hightech-Firmen gut ab."Als einer der größten IT-Märkte der Welt ist die Bundesrepublik strategisch enorm wichtig", fasst Mathias Schädel, Deutschland-Geschäftsführer des PC-Herstellers Dell, zusammen. "Das Problem ist, dass die Deutschen mehr Zeit mit Jammern verbringen, als potenzielle Chancen zu nutzen," kritisieren die Führungskräfte hiesiger US-Töchter einhellig. Statt in Selbstmitleid zu zerfließen, sollten die Unternehmen hierzulande für eine Wende sorgen, appelliert etwa Peoplesoft-Chef Höchbauer: "In anderen Ländern geht es der Wirtschaft auch nicht viel besser, aber die Aufbruchstimmung, die dort wieder zu spüren ist, fehlt hier noch völlig."

Treue Kundschaft

Der deutsche Anwender gilt nicht nur als besonders kritisch und vorsichtig. Das Gros der Kundschaft ist nach den Erfahrungen der Firmenlenker auch wenig flexibel, was die Auswahl von Anbietern und Lösungen betrifft. "In Deutschland gilt die Devise: Kauf bei der Nummer eins, dann bist du auf der sicheren Seite", hat Oracle-Manager Rolf Schwirz beobachtet. Eine Haltung, die zum Beispiel angesichts der Marktmacht des deutschen ERP-Giganten SAP nicht nur Oracle zu schaffen macht. "Viele Kunden entscheiden sich für SAP, ohne die Produkte anderer Hersteller überhaupt angeschaut zu haben", kritisiert etwa Peoplesoft-Chef Höchbauer, der es sich dennoch zum Ziel gesetzt hat, im kommenden Jahr zweistellige Wachstumsraten in Deutschland zu erzielen.

"Typisch deutsch" sind zudem die langfristigen und oft sehr persönlichen Beziehungen zwischen den Geschäftspartnern. Wenn sich der Kunde nach reiflicher Überlegung einmal für einen Anbieter entschieden hat, bleibt er ihm auch treu - selbst wenn der Zufriedenheitsgrad schwankt. So praktisch das einerseits für den auserwählten Hersteller ist - er muss sich auch darüber im Klaren sein, "dass es meist sehr lange anhält, wenn ein deutscher Kunde verärgert ist", gibt Sun-Chef Wilke zu bedenken.