Digital Leadership

Was die Digitalisierung mit uns Menschen macht

16.01.2021
Von 
Dr. Oliver Janzen ist Geschäftsführender Gesellschafter des Beratungshauses FAKTOR D consulting. Er schreibt er zu den Themen Digitalisierung, Transformation, IT Strategie und Digitalisierung im Gesundheitswesen und der Industrie.
Welche Anforderungen an Führung ergeben sich aus den anstehenden Veränderungen? Warum wird eine neue Führungskultur benötigt? Um dies zu entschlüsseln, ist es notwendig, zuerst zu betrachten, was genau Digitalisierung mit uns Menschen macht.
  • Um die Führung in der digitalen Transformation ist es in deutschen Betrieben schlecht bestellt.
  • Unternehmen benötigen "Transformationszünder", die auch in der Führungsebene verankert sein müssen.
  • Die Lösung komplexer Aufgaben erfordert Teams, die übergreifend an Lösungswegen arbeiten.
Führungskräfte müssen alte "Denksilos" einreißen, um das bereichsübergreifende Arbeiten zu fördern. Das funktioniert am besten durch die Einrichtung von Communities und Netzwerken.
Führungskräfte müssen alte "Denksilos" einreißen, um das bereichsübergreifende Arbeiten zu fördern. Das funktioniert am besten durch die Einrichtung von Communities und Netzwerken.
Foto: ESB Professional - shutterstock.com

Unternehmen müssen flexibel sein, um nicht von neuen digitalen Wettbewerbern vom Markt verdrängt zu werden. Neben Geschwindigkeit machen Digitalisierung und folgende anstehende drastische Veränderungen die Betriebe unsicher:

• Routinetätigkeiten werden in Zukunft aus unserem Arbeitsalltag verschwinden, weil sie digitalisiert und durch künstliche Intelligenz übernommen werden.

• Jobgruppen und sogar ganze Branchen werden wegfallen. Zum Beispiel ist die Berufsgruppe "Fahrer" durch autonomes Fahren stark bedroht. Die Kfz-Versicherung wird voraussichtlich durch reine Produkthaftung ersetzt, denn das Fahren wird Teil des Produktes.

• Veränderungszyklen werden sich weiter beschleunigen. Denn durch Technologien wie künstliche Intelligenz und 3D-Druck können neue Produkte und Dienstleistungen noch schneller entstehen.

• Durch Digitalisierung steigt die Vernetzung. Nicht nur unternehmensinterne Systeme werden miteinander verbunden, weil die Ausprägung von digitalen Plattformen auch für eine Vernetzung mit Partnern sorgt. Dadurch werden Problemstellungen, die früher kompliziert waren, heute komplex. Komplizierte Probleme lassen sich durch Algorithmen lösen, während bei komplexen die hohen Abhängigkeiten einzelner Bereiche untereinander die Herausforderung darstellen. Sie lassen sich nicht durch Automatismen lösen, sondern benötigen eine neue Art der Lösungsfindung.

Auf uns alle kommen massive Veränderungen zu, und zwar schnell und weltweit. Wir haben jetzt die Wahl zwischen Selbstmitleid und Resignation oder dem Mitgestalten der mit Spaß und visionärem Handeln. Die Entscheidung hängt in großem Maße von den Führungsteams ab. Schaffen sie es, Ängste zu nehmen und mit ihren Teams die Zukunft zu gestalten?

• Um Stabilität in unsicheren Zeiten zu schaffen, brauchen wir Visionen und Visionäre in der Führung. Am besten ist der CEO selbst ein Visionär und agiert auch so.

• Um die neuen, jetzt komplexen Aufgaben zu bewältigen, müssen neue Lösungswege gefunden werden. Da diese nicht mehr unbedingt geradlinig sind, ist der Weg nicht mehr vorhersehbar. Daher braucht es Teams, die übergreifend zusammenarbeiten. Lösungen werden also zu Gemeinschaftslösungen.

• Um gemeinsam Lösungen zu finden, ist es notwendig, hierfür das Klima zu schaffen beziehungsweise die Menschen einzubeziehen. Einzubeziehen nicht im Sinne des Aufgabenverteilens, sondern bei der Erarbeitung der Lösung und der Entwicklung von Aktionsplänen. Jeder Einzelne muss einerseits verstehen, worum es geht und was die wichtigen Aufgaben sind. Andererseits muss er aber auch sehen, wie er persönlich seinen Beitrag leisten kann. Darüber hinaus steigen Motivation und Beteiligung, wenn dieser Beitrag eigenverantwortlich ausgestaltet werden kann.

Mitarbeiter müssen aber auch in der Lage und bereit sein, zu vergessen. Wenn sie in alten Mustern verharren, ist die notwendige Veränderung nicht zu schaffen. Neue Wettbewerber streben auf den Markt und verdrängen die Unternehmen, die den Wandel nicht schnell genug schaffen.

• Wir brauchen Transformationszünder, die ebenfalls in der Führung zu verankern sind: Ein gemeinsames Gefühl von Not, ein gemeinsames Feindbild und am besten eine gemeinsame Vision sind drei wichtige Transformationszünder.

Die wichtigen Zutaten im Bereich Führung lassen sich in drei Bereiche gliedern: Führungskräfte, Organisationen und Mitarbeiter.

Aspekte der Führungskultur
Aspekte der Führungskultur
Foto: Dr. O. Janzen

Diese Führungsqualitäten werden gebraucht

Im Bereich der Führungskräfte braucht es Visionäre, Moderatoren und Netzwerker:

• Visionäre, denn in Zukunft geht es nicht darum, zu managen, sondern zu führen. Das heißt voranschreiten, die Richtung aufzeigen, Sicherheit vermitteln. Management und Führung unterscheiden sich nach Stephen R. Coveys "The Seven Habits of Highly Effective People" deutlich: Während Management sich darauf konzentriert, gesetzte Ziele bestmöglich zu erreichen, beantwortet Führung die Frage, was erreicht werden soll.

• Moderatoren, die den Lösungsweg moderieren, aber die Lösungsfindung im Team belassen. Keine Besserwisser, die ihren Mitarbeitern zeigen wollen, "wie es richtig geht". Eher Coaches, die als Katalysatoren wirken. Sie sollten Wege nicht vorgeben, denn diese sind nicht mehr vordefiniert, sondern Hindernisse für ihre Teams aus dem Weg räumen.

• Netzwerker, die über den Tellerrand schauen, mehr als ihren eigenen Bereich kennen und offen mit Kollegen interagieren. Sie müssen sich auf Methoden und Ideen anderer einlassen und ihre Mitarbeiter auch in übergreifende Teams einbringen.

Die Veränderung der Organisation

Übergreifendes Teaming muss in der Organisation verankert werden: Christoph Keese beschreibt in seinem Buch "Digital Germany", dass Deutschland im Bereich Digitalisierung hinten liege. Die großen Erfolge von Unternehmen aus dem Silicon Valley seien unter anderem auf die starke horizontale Vernetzung und den bereichsübergreifenden Austausch zurückzuführen. Organisationen müssten flexibel werden. Das Stichwort "liquid" steht hier für die Anpassungsfähigkeit von Organisationen auf sich verändernde Umstände.

Es gibt zwei Möglichkeiten, Organisationen flexibler zu gestalten, das heißt Silos aufzubrechen und das bereichsübergreifende Arbeiten zu fördern: nämlich die Einrichtung von Communities und Netzwerken. Communities werden meist zu einem bestimmten Thema von Mitarbeitern verschiedener Bereiche gegründet, um gemeinsam das gewählte Thema zu bearbeiten. Typischerweise handelt es sich bei Communities um virtuelle Organisationseinheiten, die mit den hierarchischen Strukturen des Unternehmens koexistieren. Netzwerke stellen eine noch flexiblere Organisationseinheit dar, da in ihnen die Mitarbeit freiwillig ist und Netzwerke von ihrer variierenden Zusammensetzung leben.

Die folgende Abbildung stellt die traditionelle hierarchische Organisation der Community und dem Netzwerk gegenüber und zeigt, dass Mitarbeiter in Communities und Netzwerken mehr Eigenverantwortung übernehmen. Diese Formen schaffen Freiraum für Innovation, steigern die Eigenmotivation und auch die Effizienz in der Kommunikation, da die Mitglieder von Communities und Netzwerken selbständig Lösungswege erarbeiten.

Organisationsformen
Organisationsformen
Foto: Dr. O.Janzen/H. Schirmer

Anforderungen an jeden Einzelnen

Was muss Führung aber hinsichtlich der Mitarbeiter anders machen? Welche Anforderungen bestehen hier durch Digitalisierung? "Das machen wir so, weil wir es immer schon so gemacht haben!" ist ein Satz, der aus den Köpfen verbannt werden muss. Alte Glaubenssätze müssen durch neue, bessere Wahrheiten ersetzt werden. Einer der Glaubenssätze in der deutschen Kultur ist sicher, dass wir alles immer richtig und sehr genau machen möchten.

Gerade diese Einstellung wird sich in der digitalen Transformation umkehren: Neues erfindet nur, wer sich auch traut, Fehler zu machen. Daher müssen Mitarbeiter dazu ermutigt werden, auszuprobieren. Fehler zu machen - am besten schnell, um sie dann zu korrigieren. "Fail fast" lautet hier die Devise. Das Arbeiten sollte eine spielerische Kultur annehmen, denn hierdurch wird ausprobiert und experimentiert. Es kommt ein Wettbewerbsgedanke auf, und eine hohe Problemlösungsfähigkeit entsteht.

Daneben sind Soft Skills in Zeiten der Digitalisierung mindestens genauso wichtig wie das reine Wissen. Die benötigten Skills sind Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Persönlichkeit, Erfahrung, Improvisation und hohe emotionale Intelligenz.

Fazit

Die Lage bezüglich der Führung in der digitalen Transformation erschreckt: Einer Studie des Instituts für Führungskultur im Digitalen Zeitalter (IFIDZ) zufolge empfinden nur 13 Prozent der befragten Mitarbeiter ihre Chefs als kreativ und innovativ. Innovation, so 74 Prozent der Befragten, scheitere an der Unternehmenskultur.

Es gibt also viel zu tun, um Unternehmen im Bereich Führung für die digitale Transformation zu rüsten. Wie genau sich diese neue Führungskultur auf die Struktur der Organisation der Unternehmen und die im Führungsteam geforderten Rollen auswirken wird, muss sich noch zeigen. Hierarchien werden sich verändern. Unternehmen werden weniger hierarchisch organisiert sein. Eine Expertenrunde auf der 5. digital excellence conference sprach vom "Ende der Hierarchie in Unternehmen", dem Übergang zur Holokratie.

Eines ist sicher: Die Faktoren Mensch und Kultur werden in den Unternehmen über den Erfolg in der digitalen Transformationen entscheiden, und es werden klare Visionen gebraucht. Gesucht sind Visionäre, die Sicherheit geben und aufzeigen können, wo es hingeht. Aber auch darin liegt ein Paradoxon: Wir benötigen Visionen - möglichst klare Zielbilder, um Stabilität zu vermitteln. Andererseits müssen wir beginnen, bevor wir das Zielbild genau kennen.