Das Team nach vorne bringen

Was der Psychologe der Nationalmannschaft Digital Leadern rät

03.08.2017
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Der Chef von heute muss mehr coachen als führen, und er muss jedem im Team das Gefühl geben, dass er wichtig ist und dazu gehört – so das Fazit eines CW-Gesprächs mit dem Sportpsychologen der deutschen Fußballnationalmannschaft Hans-Dieter Hermann und der Microsoft-Managerin Ines Gensinger.
Der Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann rät Digital Leadern, ein motivierende Sozialklima im Team zu schaffen.
Der Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann rät Digital Leadern, ein motivierende Sozialklima im Team zu schaffen.
Foto: wavebreakmedia - shutterstock.com

Der Wissenschaftler - Professor an der Hochschule Heidelberg und Praktiker - seit 2006 Mitglied im Betreuungsteam der deutschen Nationalmannschaft - hat eine sehr klare Meinung darüber, wie ein Team zu führen ist. Und seine Erkenntnisse aus der Welt des Leistungssports lassen sich sehr wohl auch auf die beruflichen Realitäten in Unternehmen übertragen. So laute eines der wichtigsten Prinzipien in der Nationalmannschaft, dass jeder im Team wichtig ist, dass die Arbeit eines jeden wertzuschätzen ist - unabhängig davon, was er tut. Als Beispiel nennt Hermann die Gruppenfotos der Nationalmannschaft nach einem Turnier. Dort wird darauf geachtet, dass alle - von den Ersatzspielern bis zu den Betreuern - auf das Bild kommen. Sein Credo lautet: "Ein gutes Team entsteht nicht, indem jeder sein Bestes gibt, sondern wenn einer für den anderen einsteht."Ein zweites wichtiges Kriterium ist für den Psychologen, ein motivierendes Sozialklima im Team zu schaffen. Das heißt, Haltung und Einstellung des Chefs und der Mitarbeiter müssen stimmen - und zwar in dreierlei Hinsicht. Einmal hinsichtlich der praktischen Unterstützung ("ich helfe dir, pack gleich mit an"), dann der fachlichen Hilfe ("du kannst mich immer Inhaltliches fragen"), und schließlich in Bezug auf die emotionale Unterstützung, sprich "ich höre mir deine Sorgen an". Ziel einer Führungskraft sollte sein, die Motivationskiller ausfindig zu machen und sie zu minimieren. Es bringe zum Beispiel nichts, Mitarbeiter immer zu 100 Prozent auszulasten. Der Chef sollte schon genau hinschauen, was jeder leisten kann und "wo die Egos" sitzen. Er erwähnt dabei eine gern zitierte Studie, wonach 70 Prozent der Mitarbeiter das Unternehmen wegen ihres direkten Vorgesetzten verließen.

Eigenmotivation ist Grundvoraussetzung

Auf die Frage, was nun ein Mitarbeiter benötigt, damit dass Team garantiert zum Fliegen kommt, nennt Hermann drei Kriterien. Erfolgsgrundlage sei für ihn in erster Linie, dass die Eigenmotivation stimme und dass man auch unbedingt Spaß an dem verspüre, was man tut. Als Sportpsychologe sagt er natürlich, dass man sich zweitens ehrgeizige Ziele setzen sollte. Mit solchen Aussagen wie "Hier haben wir noch nie gewonnen", oder "Das wird heute nix", kann er sich beim besten Willen nicht anfreunden.

Drittens sollte das, was man tut, sinnvoll sein, zumindest sollte man dieses Gefühl haben. "Wenn man nicht mit ganzem Herzen bei der Sache ist, wird sich der Erfolg nicht dauerhaft einstellen", ist der Professor überzeugt und erzählt ein Beispiel aus seiner Praxis. Er betreute vor Jahren einen sehr erfolgreichen 400-Meter-Läufer. Technisch zählte er zwar zu den besten der Welt, aber bei Wettkämpfen machte er immer mal wieder Fehler oder verletzte sich. In den Gesprächen mit Hermann wurde ihm dann klar, dass Laufen einfach nicht mehr "sein Ding" war und entschied sich, seine Sportlerkarriere zu beenden.

Schließlich nennt der Sportpsychologe noch einen letzten wichtigen Aspekt, den einen guten Teamchef auszeichnet: Als Führungskraft sollte man für ein vertrauensvolles Umfeld sorgen. Fairness, Wertschätzung, aktives Zugehen auf die Mitarbeiter und Handeln im Einklang mit den eigenen Werten trugen dazu wesentlich bei. "Führungskräfte müssen ebenso inspiriert wie inspirierend sein, sie müssen ihren Mitarbeitern Freiräume lassen", ist er überzeugt. Die Formel "Können x Wollen x Dürfen = Leistung" bringe nur ein Ergebnis, wenn das Dürfen nicht gleich null sei.

Ein Digital Leader hinterfragt sich ständig

Als Vertreterin eines weltweit agierenden Hightech-Konzerns versucht die Microsoft-Managerin Ines Gensinger den Brückenschlag zwischen der alten und neuen Welt und betont gleich zu Beginn des Gesprächs, dass die von Hermann genannten Werte sehr wohl auch in der digitalen Welt ihre Gültigkeit besitzen. Richtig sei aber auch, dass "einer disruptiven Veränderung der Arbeit eine Veränderung in den Köpfen von Entscheidern" erfolgen müsse. Das neue Führen, Digital Leadership, wie sie es nennt, bedeute für sie "den eigenen Führungsstil sowie Strukturen, Prozesse und Werte einer Organisation kontinuierlich zu hinterfragen." Transparenz, Flexibilität und Teamorientierung seien dabei die Grundprinzipien mit dem übergeordnete Ziel: "Das Team und auch jeden einzelnen nach vorn zu bringen." Dem Digital Leader komme so die Aufgabe zu, "flexibel, agil und durchlässig zu führen, um so Innovationen zu ermöglichen und Entscheidungen zu beschleunigen".

Ines Gesinger ist Managerin bei Microsoft. Hans-Dieter Hermann ist Sportpsychologe.
Ines Gesinger ist Managerin bei Microsoft. Hans-Dieter Hermann ist Sportpsychologe.
Foto: Microsoft

Gensinger hat fünf Leitideen für diesen digitalen Chef formuliert:

  1. Coach statt Chef: Das klassische Bild eines Chefs, der top-down Aufgaben ver- und Befehle erteilt sei überholt. Sie zitiert eine Studie des Instituts TNS Infratest, wonach sich Mitarbeiter mehr Selbstbestimmung und Verantwortung wünschten. Digital Leader nähmen daher die Rolle eines Mentors oder Coaches ein, der mit Rat und Tat zur Seite steht.

  1. Teamgeist statt Einzelkämpfer: Ein guter Coach handele teamorientiert und immer im Sinne der Mannschaft - weil er sich als einen Teil davon versteht. "Entscheidungen von Digital Leadern orientieren sich so an der Überlegung, was alle voranbringt und wie die Zusammenarbeit verbessert werden kann", so die Münchner Managerin. Individuelle Bedürfnisse dürften dabei nicht außer Acht gelassen werden, der Teamgedanke bleibe aber ausschlaggebend.

  1. Interdisziplinäres Netzwerk statt abgeschotteter Silos: "Dank der Digitalisierung können wir das Wissen und die Kreativität unterschiedlichster Personen zusammenbringen", freut sich Gensinger. Digital Leadership habe die Aufgabe, genau dieses kreative Klima zu schaffen und den Austausch und Wissenstransfer zwischen verschiedenen Standorten, Fachbereichen und Hierarchieebenen zu ermöglichen.

  1. Prozess statt Aufgabe: Noch vor wenigen Jahren wurde mit Führung vornehmlich das Delegieren von Aufgaben und das Prüfen der Ergebnisse assoziiert, erinnert sich die Microsoft-Managerin. Digital Leadership sollte sich aus ihrer Sicht vielmehr darauf konzentrieren, die Art, wie man heute zusammenarbeitet, zu verbessern: Prozesse und Transparenz statt Micro-Management einzelner Aufgaben.

  1. Selbstkritisches Hinterfragen statt Allwissenheit: "Meiner zehnjährigen Erfahrung als Führungskraft nach ist die Grundhaltung eines Digital Leaders das beständige Hinterfragen des eigenen Selbstverständnisses", so Gensinger. Diese Führungskraft der neuen Generation müsse vor allem die Fähigkeit mitbringen, "sich schnell an den beständigen Wandel anzupassen und nicht nur zu reagieren, sondern proaktiv voranzugehen".