Berufsbild im Wandel

Was CIOs heute können müssen

13.05.2013
Von 
Dietmar Müller ist freier Journalist in München.
Lohnt sich noch die Plackerei als IT-Chef? War früher tatsächlich alles besser? Und welches sind heute die Anforderungen an den Job? Die COMPUTERWOCHE hat dazu sechs langgediente CIOs befragt.
Die Zeiten der RZ-Könige sind vorbei, erwünscht sind kommunikative Strategen.
Die Zeiten der RZ-Könige sind vorbei, erwünscht sind kommunikative Strategen.
Foto: Computerworld

Vor 20 Jahren, im Jahr 1993, veröffentlichten Michael Hammer und James Champy ihr Buch "Business Reengineering: Die Radikalkur für das Unternehmen". Es gab ein völlig neuartiges Leitbild für die Organisation und Führung von Unternehmen vor: Arbeitsteilung, ausgeklügelte Kontrollen und Führungshierarchien sollten der Vergangenheit angehören, dafür musste die Prozessorientierung - also die Konzentration auf neu konzipierte Unternehmensabläufe, die für den Kunden Wert erzeugen - herhalten. Das sei die Voraussetzung, um Betrieben auch in den kommenden 20 Jahren das Überleben zu sichern, erklärten die Autoren damals ihrem schnell wachsenden Publikum.

Heute, 20 Jahre später, muss die Frage erlaubt sein: Hatten Hammer und Champy recht? Wie haben sich Unternehmen und ihre IT gewandelt - in technischer, arbeitsorganisatorischer sowie menschlicher Hinsicht? Welche neuen Einflussgrößen haben sich hinzugesellt?

Sechs CIOs ziehen Bilanz

  • Karl-Heinz Lager, CIO bei Dr. Otto Suwelack Nachf. GmbH & Co. KG, ist seit über 20 Jahren als Leiter IT/CIO in verschiedenen Branchen tätig. Er leitete diverse Projekte im IT-Umfeld, darunter Outsourcing-Vorhaben, Prozessanalysen, Einführung von ERP-Systemen und die Komplettablösung von Altanwendungen.

  • Markus Grimm ist bei der Gema in München als Direktor des Bereichs IT und Organisation tätig. Der gebürtige Heilbronner ist ein ausgewiesener Spezialist für komplexe internationale Abrechnungssysteme. Nach seiner Promotion arbeitete er unter anderem bei der Württembergischen Hypothekenbank, Xella International und DKV Euro Service.

  • Andreas Reuter, CIO der Senator GmbH & Co. KGaA, verantwortlich für die operative Leitung der Konzern-IT, begann seine Karriere als Offizier bei der Bundeswehr, bevor er bei der CWS-boco GmbH das technische Produkt-Management leitete. 2008 wechselte er zu seinem jetzigen Arbeitgeber und übernahm dort 2009 die IT-Verantwortung.

  • Werner Scherer, CIO der Döhler GmbH, begann seine Karriere nach seinem Studium in den 70er Jahren als Programmierer und Projektleiter. Seitdem hat der "CIO des Jahres" von 2007 mehrere Unternehmen erfolgreich reorganisiert und auf zeitgemäße "IT Füße" - vorrangig SAP - gestellt.

  • Auch Thomas Rössler (45), Interims-CIO sowie Coach und vormals unter anderem IT-Chef des Medienhauses Südhessen, war 2009 und 2010 unter den Preisträgern zum CIO des Jahres.

  • Bernd Hilgenberg ist Gründer des CIO Consulting Teams, eines Netzwerks von IT-Managern. Er ist seit über 20 Jahren im Handel als verantwortlicher IT-Manager tätig, zuletzt als CIO von Fressnapf. Seine Schwerpunkte liegen in der Standardisierung von IT und der Erstellung international multiplizierbarer IT-Konzepte.

Starke technische Veränderungen

Thomas Rössler, Interims-CIO: "Cloud erfordert ein tiefes Umdenken der IT-Führungskräfte."
Thomas Rössler, Interims-CIO: "Cloud erfordert ein tiefes Umdenken der IT-Führungskräfte."
Foto: Rössler

Die Anforderungen an die IT hätten sich grundlegend verändert, ist Rössler überzeugt. Die Reise sei von einer "Technikschmiede" hin zu "Technik-Management und Innovationsberatung" gegangen. Diese neue, für das Überleben des Unternehmens wichtige Aufgabe stelle jedoch eine große Herausforderung für IT-Abteilungen und CIOs dar. Oftmals würden noch 80 bis 90 Prozent des IT-Budgets für den IT-Betrieb ausgegeben. Gema-CIO Grimm bestätigt: "Technisch hat sich in dieser Zeit viel geändert, von den Legacy-Systemen auf Mainframes über Client-Server-Architekturen, hin zu Browser-basierenden Systemen. Und nun überrollen uns die Apps auf mobilen Endgeräten."

Andreas Reuter, Senator: "Wir haben es heute mit Digital Lemmings zu tun, die dem Mainstream nachlaufen."
Andreas Reuter, Senator: "Wir haben es heute mit Digital Lemmings zu tun, die dem Mainstream nachlaufen."
Foto: Senator

Für den IT-Leiter bedeutet dies, dass heute eine Vielzahl von unterschiedlichen Sys-temen und Prozessen beherrscht werden müssen. Die IT muss dafür flexibel sein, meint Andreas Reuter, CIO bei Senator: "Es ist ihre Aufgabe, neue Techniken ins Unternehmen zu integrieren." Das bestätigt Karl-Heinz Lager, CIO beim Lebensmittelhersteller Dr. Suwelack. Neue Themen gehörten zum Tagesgeschäft des CIO. Die Kunst bestehe darin, "für das Unternehmen das jeweils passende herauszusuchen".

Werner Scherer, CIO der Döhler GmbH mit Sitz in Darmstadt, erinnert sich an die Arroganz, die SAP-Berater Anfang der 90er Jahre an den Tag gelegt hätten. Das habe sich - von Ausnahmen abgesehen - zum Besseren gewendet. "Was jedoch geblieben ist, ist das Erkennungsmerkmal eines SAP- ERP-Users: Der Notizzettel auf seinem Schreibtisch mit mehrstelligen Zahlenreihen, die er braucht, um die nächste Bildschirmmaske bedienen zu können."

Mittlerweile habe SAP sein ERP "ordentlich abgerundet", und nun sei Big-Data-Know-how wegen SAPs neuem Produkt HANA zum unabdingbaren Erfolgsfaktor geworden. Aber nicht nur SAP hielt die Anwender in Atem, auch Microsoft sei in den vergangenen 20 Jahren ein zentrales Thema gewesen. Neben Windows hätten die IT-Abteilungen mit immer neuen Updates zu kämpfen gehabt. In diesem Zusammenhang bedauert Scherer das Scheitern von OpenOffice. Man hätte sich viele aufwendige Diskussionen mit den CFOs sparen können, in denen es meist um die Lizenzpolitik von Microsoft gegangen sei.

Mittelstand: Handgemachte IT noch stark verbreitet

Und schließlich habe die Virtualisierung praktisch alle IT-Abteilungen aufgerollt, wobei Rössler zu bedenken gibt, dass die IT im klassischen deutschen Mittelstand vielerorts noch immer "handgemacht" sei. Standardisierung und Virtualisierung hätten in den letzten Jahren zwar stark zugelegt, von echten Standards auf Basis von Cloud Computing seien viele Firmen jedoch noch weit entfernt. Noch weiter entfernt für viele Mittelständler ist zudem das Thema Mobile Computing, für das die Virtualisierung erst die Basis geschaffen habe.

"Interessant ist auch, wie langsam das Umschalten von der Techie-Rolle auf den Business-Partner vonstatten geht", beobachtet Scherer. "Dabei ist etwa in produzierenden Unternehmen die Darstellung von Prozessen - ob damals mit Aris oder heute mit BPMN - eine gelungene Methode, um gemeinsam mit den Fachbereichen konstruktiv und abteilungs- beziehungsweise firmenübergreifend Optimierungspotenziale zu erarbeiten."

Bernd Hilgenberg vom CIO Consulting Team sieht die letzten 20 Jahre der CIO-Arbeit von drei wichtigen Phasen geprägt: der Computerisierung (von Prozessen), der Konsolidierung (von IT-Systemen) und der Standardisierung (der IT-Systemlandschaft). "Aktuell befinden wir uns auf dem Weg in die vierte Phase, die der Virtualisierung (der gesamten IT). Der CIO von morgen wird ein Manager von IT-Services werden", glaubt Hilgenberg.