Roundtable zum Thema Geschäftsprozess-Management

Was bringt Software für das Business?

07.06.2002
MÜNCHEN (ave) - Über die IT-Infrastruktur hinaus sollen künftig auch Geschäftsprozesse in Unternehmen mit System-Management-Tools verwaltet werden. Das versprechen zumindest die Hersteller. In der Praxis sieht das so aus, dass nicht mehr wie bislang einzelne IT-Komponenten getrennt voneinander überwacht werden, sondern komplexere Prozesse, die auf Basis der geschäftlichen Abläufe in den Firmen zu definieren sind. Um das einwandfreie Funktionieren dieser Prozesse sicherzustellen, werden Dienstevereinbarungen (Service-Level-Agreements = SLAs) getroffen. Im Rahmen eines Service-Level-Managements (SLM), das über etablierte System-Management-Lösungen erfolgen soll, wird kontrolliert, ob die Betriebswerte der an einem Prozess beteiligten Komponenten innerhalb dieser Vereinbarungen liegen. Die Sichtweise ist dabei in der Regel die des Anwenders, der eine bestimmte Aktion ausführen möchte. Anschließend besteht die Möglichkeit, die Performance geschäftskritischer Prozesse zu optimieren. SLM hat den Vorteil, IT-Bereiche zusammenzuführen, die in Unternehmen normalerweise getrennt sind. Statt zwischen Netzwerk, Datenbank, Servern und Applikationen zu unterscheiden, die oft von unterschiedlichen Abteilungen im Unternehmen betreut werden, kann der Administrator alle diese Faktoren gemeinsam betrachten. Werden zuvor gesetzte Schwellenwerte, die noch unterhalb der Werte der SLAs liegen sollten, für bestimmte Dienste überschritten, löst das System einen Alarm aus und informiert den Administrator über das Problem. Zwar steht Deutschland im Hinblick auf SLA und SLM noch am Anfang, doch stößt das Thema unter Anwendern auf reges Interesse. Die COMPUTERWOCHE hat mit Branchenvertretern (siehe Kasten "Roundtable-Teilnehmer") über Chancen und Probleme dieses Ansatzes diskutiert.

CW: Wie realistisch sind die Versprechen, über Service-Level-Management (SLM) auch die geschäftlichen Prozesse in Firmen in den Griff zu bekommen?

FRANK: Wir bei CA wollen unseren Kunden das Management der internen und externen Prozesse und Services ermöglichen. Das spielt ja gerade im Umfeld von E-Business und Internet eine große Rolle. Ich denke da an B-to-B-Lösungen, aber auch an Web-Services, die es zu managen gilt. Dabei geht es darum, tatsächlich alle Geschäftsprozesse im Unternehmen abzubilden.

SENGER: Um ein ganzheitliches Service-Level-Management zu betreiben, ist aber eine korrekte und aktuelle Informationsbasis und -verarbeitung entscheidend. Wir von Peregrine sehen hier die Kombination von Problem-Management, Change-Management und einem Lifecycle-Asset-Management von strategischer Bedeutung, die dazu beiträgt, die entsprechenden Prozesse effizient zu überwachen.

HABERSTROH: HP beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit dem Thema SLM vor dem Hintergrund der Verbindung zum Business. Man definiert, wie das Verhältnis zwischen IT und dem eigentlichen Geschäft des Unternehmens aussieht, und schließt darüber Servicevereinbarungen ab. Es gilt vor allem, die gesamte Kette abzubilden, über die ein Business-Prozess läuft, vom Verhalten des Anwenders bis hin zur Transaktion.

CW: Wie verbreitet ist das Thema SLM in deutschen Unternehmen?

RICHTER: In Bezug auf die Realisierung von SLAs steht Deutschland noch ganz am Anfang. Wir bei BMC stellen fest, dass die Anwender erst jetzt zu begreifen beginnen, wie wichtig das Management von Applikationen ist. Momentan konzentriert sich System-Management zumindest hierzulande noch auf das Überwachen von einzelnen IT-Komponenten. Das ist wenig hilfreich, wenn ich über Service-Levels spreche.

ROß: Genau, auch für Tivoli geht es vor allem um eine Betrachtungsweise, die die Prozesse und das Funktionieren des Geschäfts unserer Kunden in den Vordergrund stellt.

CW: Wie steht die Meta Group zu diesem Thema?

ROGERS: Die Technik muss funktionieren. Mir hat mal ein CEO gesagt, dass die IT wie ein Taschenrechner sein muss, genauso gut und genauso billig. Das ist die Sicht des CEO, denn er muss Profit machen. Er ist daher daran interessiert, dass die Geschäftsprozesse, also der Verkauf, die Buchhaltung, egal was auch immer, so effizient wie nur möglich laufen.

Die IT ist der Schlüssel dazu. Was im Einzelnen hinter den Prozessen steckt, interessiert weder den Endanwender noch den CEO. Sie wollen wissen, wie schnell eine Verkaufsprozedur abgewickelt werden kann. Der Vertreter ist beim Kunden, der Vertrag wird geschlossen, ins System übertragen, die Bestellung wird ausgeliefert, die Dienstleistung beginnt. Dieser Zyklus wird erwartet.

CW: Welche Bedingungen müssen dazu erfüllt sein?

ROGERS: Es muss eine Infrastruktur vorhanden sein, die es erlaubt, das zu verwalten. Ob das ein Framework oder sonstwas ist, spielt keine Rolle, solange ich damit die outgesourcten und die noch im Haus verbliebenen Business-Prozesse kontrollieren kann. Die IT-Abteilung muss klar belegen, welche Bedeutung sie für das Unternehmen hat, und darf sich nicht hinter der Technik verstecken.

HABERSTROH: Letztendlich geht es immer darum, die Prozesse sauber zu integrieren. Wir haben viele Projekte im Bereich Service-Management gemacht, bei denen wir uns an einem Referenzmodell orientieren, das wir auf Basis von Itil (IT Infrastructure Library) erstellt haben. Unsere Projekte laufen zumeist darauf hinaus, die Prozesse gemäß Itil zu definieren und anschließend die Leute zu schulen, und zwar so, dass sie es auch wirklich verstehen. Das ist die Voraussetzung, um dann das Produkt darauf abzustimmen und ein Service-Management-Konzept zu realisieren.

ROß: Was das Bewusstsein für das Prozess-Management angeht, so gibt es gewaltige Unterschiede zwischen den Anwendern. Unternehmen wie die Deutsche Bank oder die Dresdner Bank besitzen da einen Vorsprung. Die leben System-Management bereits auf der technischen Ebene und sind auch bereit, den nächsten Schritt zu gehen. Der Mittelstand in Deutschland ist in der Regel noch nicht so weit, da bedarf es noch einiger Unterstützung.

CW: Ist das denn heute überhaupt schon technisch machbar?

RICHTER: Prinzipiell schon. Wenn es aber hier heißt, dass die großen Unternehmen bereits Business-Process-Management betreiben, deckt sich das nicht mit unseren Erfahrungen. Nehmen Sie mal die größten Rechenzentren Deutschlands und schauen Sie, was dort passiert. Die einzelnen IT-Abteilungen reden überhaupt nicht miteinander, wie wollen die denn einen Prozess abwickeln?

FRANK: Ich gebe Ihnen Recht. Aus technologischer Sicht sind wir zwar schon ziemlich weit. Bei der Integration von Standardanwendungen in Management-Lösungen haben wir relativ wenig Probleme. Die verbreiteten ERP- oder SCM-Lösungen stellen kaum Herausforderungen dar. Was die unternehmensspezifischen Prozesse angeht, ist es jedoch für uns als Hersteller sehr schwierig, Einfluss zu nehmen. Es gibt Werkzeuge, um die Modellierung oder das Design zu vereinfachen. Wir fragen uns aber vor allem, was beim Kunden vorhanden ist, was gemanagt werden muss.

SENGER: Eine ganze Reihe unserer Kunden ist bereit, alte Zöpfe abzuschneiden und das Thema Service-Management neu anzugehen. Die orientieren sich an Itil und Best-Practice-Solutions und sind bereit, diesen Vorgaben zu folgen, weil sie der Überzeugung sind, im Hinblick auf Servicequalität für den Endkunden und Total Cost of Ownership (TCO) auf lange Sicht deutliche Vorteile zu bekommen.

HABERSTROH: Laut einem kürzlich erschienenen Analystenreport werden in den nächsten Jahren der Hauptgrund für Probleme in CRM-Projekten in 25 bis 45 Prozent aller Fälle mangelhaft implementierte oder fehlende Management-Funktionen sein. Das liegt daran, dass diese Projekte oftmals nur mit den CRM-Funktionen im Blick gestartet werden. Es macht sich aber niemand Gedanken um die zusätzlichen Management-Ressourcen. Wenn es dann jedoch hakt, kommen die Klagen. Eine nachträgliche Implementierung als reaktive Maßnahme im Problemfall ist stets schmerzhafter als die Berücksichtigung des Managements von Anfang an.

ROGERS: Weil man die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat. Das passiert leider sehr oft: Es werden große Erwartungen geweckt, ein Budgetrahmen abgesteckt, wobei leider die laufenden Kosten vergessen werden. Der Lebenszyklus-Gedanke bleibt auf der Strecke. Vorab sollte doch überlegt werden: Was habe ich bereits? Was muss ich integrieren? Was sind die laufenden Kosten?

SENGER: Und das wiederum muss mit einem sauberen Problem-Management vernetzt werden und der Fähigkeit, Change-Management so schnell und so effektiv wie möglich umzusetzen. Wenn ein Projekt erst einmal aufgesetzt wird, wandeln sich Projekte und Projektumfänge unweigerlich.

ROß: Noch ein Hinweis zum Thema SLAs. In einer Studie von IDC heißt es, dass 87 Prozent der größeren Unternehmen in Europa SLAs definieren, aber nur 35 Prozent diese auch überprüfen. Obwohl die Vereinbarungen existieren, kümmert man sich nicht wirklich darum. Und selbst wenn es geschieht, kommunizieren nur 15 Prozent die Ergebnisse an andere Geschäftsbereiche. SLAs sind aber häufig bezogen auf Geschäftsprozesse, dienen also den Lines of Business, und gerade hier wird der Informationsaustausch vernachlässigt.

CW: Ist es möglich, einen "goldenen Weg" für Unternehmen aufzuzeigen, die Business-Process-Management einführen wollen?

SENGER: An erster Stelle sollte die Bestandsaufnahme im Rahmen des Asset-Managements stehen, damit die Anwender wissen, was sie besitzen, wo sich diese Güter befinden und wie sie optimal eingesetzt werden können.

ROGERS: Als nächstes muss ich Produktkataloge erstellen, die dann zu den IT-Zielen passen und Lösungen und Services beinhalten, die helfen, die mir genannten Geschäftsziele zu erreichen Dann brauche ich natürlich die Möglichkeit, diese Dienstleistungen zu überwachen, um nachzuweisen, dass ich meinen Teil zur Erreichung der Ziele erfülle.

CW: Wie oft kommen denn Unternehmen beispielsweise auf CA zu und fragen konkret nach einer Lösung, um SLAs einzuführen?

FRANK: Das geschieht noch relativ selten. Die Seminare, bei denen es um das Thema geht, sind immer ziemlich voll, viele Anwender interessieren sich dafür. Bei der konkreten Umsetzung sieht es aber ganz anders aus, die meisten beschäftigen sich doch eher mit den klassischen Desktop-Themen oder Performance-Management. Was das Definieren von SLAs angeht, fehlt häufig noch das Verständnis, wie man das macht und wie sich so etwas im Unternehmen umsetzen lässt.

HABERSTROH: Obwohl der Begriff Service-Management schon seit ein paar Jahren diskutiert wird, stellen auch wir fest, dass viele Unternehmen jetzt erst beginnen, solche Lösungen ernsthaft zu implementieren.

ROß: Wir sollten auf keinen Fall vergessen, dass wir es bei solchen Projekten immer mit einem Kreislauf zu tun haben. Angefangen bei den Geschäftszielen, müssen auf deren Grundlage die kritischen Erfolgsfaktoren definiert werden, die für das Erreichen dieser Ziele wichtig sind. Daraus leiten sich Geschäftsprozesse ab, die diese Faktoren unterstützen. Die IT und die von ihr zur Verfügung gestellte Infrastruktur definiert sich aus diesen Prozessen. Wenn ich das erreicht habe, ergeben sich aus der IT wiederum Anforderungen an die Geschäftsprozesse, aus diesen wieder Bedingungen für die Erfolgsfaktoren, die ihrerseits erneut die Geschäftsziele beeinflussen. Das Spiel beginnt von vorn.

CW: Das bedeutet für SLAs, dass sie nicht einmal definiert und die beteiligten Bereiche dann nie wieder angefasst werden, sondern dass sämtliche Faktoren in einem kontinuierlichen Prozess immer wieder kritisch betrachtet und gegebenenfalls verändert werden müssen.

ROGERS: Korrekt.

CW: In den vergangenen Jahren lag die Erfolgsquote bei der Implementierung von System-Management-Lösungen laut Meta Group bei 20 Prozent, viele waren nur teilweise erfolgreich oder scheiterten komplett. Wie wollen Sie die Anwender jetzt dazu bringen, sich auf Business-Process-Management einzulassen?

HABERSTROH: Wir empfehlen den Leuten, erst einmal die Prozesse zu implementieren, die ihnen die momentan größtmögliche Verbesserung bringen.

ROGERS: Dafür muss sich aber das Management mit der IT verständigen, denn nur die Entscheider auf der Geschäftsebene können die Prozesse priorisieren. Wenn das geschehen ist, können wir den Prozess in der IT starten.

RICHTER: Wichtig ist, dass der Kunde nie das Ziel aus dem Auge verlieren darf. Er muss seinen "Generalplan" realisieren, aber er muss das scheibchenweise tun. Anfangen sollte er mit den geschäftskritischen Prozessen, denn da kann er am meisten Geld verdienen.

Roundtable-Teilnehmer

Jürgen Richter, Geschäftsführer, BMC Software GmbH;

Gerhard Haberstroh, Market Impact Manager Software & Solutions, Hewlett-Packard GmbH;

Thomas Senger, Geschäftsführer, Peregrine Systems GmbH;

Werner Roß, Marketing Manager Central Region Tivoli Software, IBM Deutschland GmbH;

Brian Rogers, Manager Consultant, Practice Leader Service-Management Strategies, Meta Group Deutschland GmbH;

Martin Seiler, Redakteur CW

Matthias Frank, Business Development Manager, Computer Associates GmbH.

(siehe Foto oben von links nach rechts)