Was Anwender auf ERP-Suche erleben

13.06.2006
Die Fritzmeier Group erfuhr während des Auswahlprozesses, wie unterschiedlich sich Anbieter bei Ausschreibungen verhalten.

Die Fritzmeier Group aus dem bayerischen Großhelfendorf war auf der Suche nach einem neuen ERP-System, das längerfristig für die Niederlassungen in Belgien, Tschechien, Frankreich und Deutschland eingeführt werden sollte. Zunächst hatte man vor, die Zweigstelle in Frankreich mit dem neuen ERP-System auszustatten, da das bestehende Produkt dort zu alt und unflexibel geworden war. Fritzmeier produziert hauptsächlich Kabinen für Baumaschinen, Gabelstapler und Landmaschinen sowie Systemkomponenten für Nutzfahrzeuge und Baumaschinen.

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Im Gegensatz zu anderen Konzernen genießen bei diesem Unternehmen die Landesgesellschaften viele Freiheiten, was IT betrifft. Eine weitere Besonderheit war die geforderte Funktion des produktionssynchronen Abrufs von Fahrzeugteilen durch die Lastwagenhersteller unter Fritzmeiers Kunden. Firmen wie Daimler-Chrysler und MAN rufen Produkte wie Windabweiser und Dachablagen elektronisch ab, wenn ein bestimmtes Fahrzeug gefertigt wird. Die Disposition erfolgt auf Grundlage der Serien- und Fahrzeugnummer. Solche Funktionen bieten nur wenige ERP-Lösungen.

Die Franzosen sollten selbst das Projekt leiten, allerdings unter Berücksichtigung der in der Gruppe herrschenden Vorgaben. Aus diesem Grund musste der Softwarelieferant sowohl in Deutschland als auch in Frankreich vertreten sein.

Für eine erste Auswahl verwendete Fritzmeier den "IT-Matchmaker" der Trovarit AG aus Aachen, eine Website, die eine datenbankgestützte Recherche nach ERP-Lösungen ermöglicht.

Grobe Vorauswahl im Internet

Damit identifizierte das Projektteam Anbieter, die Eigenschaften wie Multisite, Intercompany-Geschäfte sowie internationale Projektabwicklung erfüllen konnten. Laut Michael Sandweg, IT-Leiter von Fritzmeier, eignet sich der IT-Matchmaker jedoch nur für eine grobe Vorauswahl. Und nicht mit allen Abfragefunktionen des Online-Werkzeugs war Sandweg zufrieden. "Man wird gefragt, wie viele Mahnstufen das ERP-System unterstützen soll. Wir haben drei angegeben, aber dann kam SAP in der Ergebnisliste nicht vor, weil der Hersteller neun Mahnstufen bietet." Für den IT-Manager wenig nachvollziehbar ist, warum manche Anbieter ihre auf IT-Matchmaker vorgehaltenen Daten nur unzureichend pflegen. Teilweise verfügten die Produkte heute über Funktionen, die dort noch nicht hinterlegt seien.

Detaillierte Anforderungsliste als Grundlage

Sandweg und sein Team schrieben dann verschiedene Hersteller an und schickten eine Excel-Tabelle mit den Anforderungen. Dabei sollten die Firmen auch angeben, ob sie die Funktionen im Standard bieten oder dafür Anpassungen erforderlich sind. Bei den Rückläufen stellte das Projektteam fest, dass viele Anbieter in Frankreich keine Niederlassungen unterhalten.

Schließlich wurden fünf Hersteller zu Präsentationen eingeladen: ein Microsoft-Partner ("Dynamics AX", vormals "Axapta)"), SAP ("Mysap ERP"), IFS ("Applications 2004"), Intentia ("Movex") und Infor Global Solutions ("Mapics"). Die Teilnehmer der Präsentationssitzungen konnten ihr Votum über die Systeme in Bewertungsbögen festhalten, diese Bögen wurden ausgewertet. Die Projektmitglieder fragten auch nach Referenzkunden und setzten sich mit diesen in Verbindung.

Mapics fiel nach der Präsentation heraus, da das Produkt die Automobilfunktionen nicht liefern konnte. Dynamics AX konnte mit einer modernen Architektur punkten, allerdings waren viele gewünschte Funktionen nicht im Standard verfügbar. Nur SAP und Movex boten Mechanismen wie den produktionssynchronen Abruf von Haus aus. Allerdings schied Mysap ERP aus, weil es sich aus Sicht von Fritzmeier als zu komplex und zu unflexibel erwies. Zudem haben sich Sandwegs Vermutungen durch Gespräche mit Referenzkunden bestätigt, dass die Folgekosten für das Produkt hoch sind. Mit Erstaunen stellte der IT-Leiter darüber hinaus fest, dass es im Hintergrund zu Reibereien zwischen dem SAP-Partner und dem Softwarekonzern kam, da nicht klar war, welche Partei das Projekt übernehmen dürfen sollte. Der Grund: Einerseits gehörte das Projekt in Frankreich eher in die Kategorie Mittelstand und damit ins Partnergeschäft, andererseits handelt es sich bei Fritzmeier um einen Konzern, und die bedient der Hersteller gern direkt.

Einblick in die Systemarchitektur ist ein wunder Punkt

Intentia gefiel dem Team insgesamt ganz gut. Von Vorteil war auch, dass der Hersteller bereits Kunden in Belgien hat, wo die Fritzmeier-Niederlassunge zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls mit ERP ausgestattet werden sollte. Allerdings war es bei dem mittlerweile zum US-amerikanischen ERP-Anbieter Lawson gehörenden Softwarehaus nicht wie gewünscht möglich, Einblick in die Systemarchitektur zu nehmen. "Wir konnten lediglich die Bildschirmmasken in Augenschein nehmen. Das war mir nicht genug."

Trotz fehlender Features erhielt IFS den Zuschlag

Gerade dies war ein Pluspunkt von IFS. Sandweg hat sich Applications 2004 bis auf Datenbankebene zeigen lassen und war von der modularen Architektur überzeugt. Positives Feedback von Referenzkunden und ein gutes Preis-Leistungsverhältnis bestätigte die Eignung des Produkts. Zwar konnte IFS nicht alle geforderten Funktionen abdecken, der Hersteller hat sich aber vertraglich verpflichtet, diese Eigenschaften nachzuprogrammieren. Das Projekt hat erst begonnen, so dass eine abschließende Bewertung der Lösung noch garnicht möglich ist.

Mancher Hersteller hatte keine Zeit für das Projekt

Schon jetzt lässt sich aber sagen, dass Sandweg und sein Team sehr unterschiedliche Erfahrungen mit ERP-Herstellern gemacht haben. Alle Markteilnehmer waren willens, detaillierte Produktinformationen zu liefern. Allerdings war nicht jeder bereit, sich näher mit dem Kunden zu befassen: "Die Oxaion AG teilte uns mit, man habe in den nächsten Monaten keine Zeit für eine Präsentation." Mit der Semiramis Software AG kam zwar ein Präsentationstermin zustande, und die Firma gab sich auch sehr selbstbewusst. Danach schien das Softwarehaus jedoch ebenfalls keine Zeit mehr für das Projekt zu haben. "Grundsätzlich hätten sowohl Oxaion als auch Semiramis zu uns gepasst."

Auch die Verkaufsstrategien divergierten stark. Sandweg: "Manche verkaufen lieber auf der persönlichen Schiene und laden einen zu sich ein. Als ob ich allein die Entscheidung treffen würde."

Französischer Vertriebspartner spielte nicht mit

Die Firma Abas war sehr interessiert, jedoch galt dies nicht in gleicher Weise für den französischen Vertriebspartner des deutschen Softwarehauses. Mitunter lag es an einzelnen Vertriebspersonen, dass keine ernsthafteren Gespräche zustande kamen.

Bei Angaben zu typischen Projekten, dem Aufwand und Dauer der Einführung sowie der Komplexität des Release-Wechsels mauerten nach Worten Sandwegs vor allem große Anbieter. Die kleineren Firmen und solche, die über Partner verkaufen, haben den Überblick nicht. "Natürlich will keiner zugeben, wo es schlecht gelaufen ist."

Vor allem aber kritisiert Sandweg, dass manche Hersteller sich nicht eingehend auf die Eigenheiten des Anwenderunternehmens bezüglich der Konzernstruktur sowie der speziellen Funktionen einstellen wollten.