Das Systemhaus sd&m und sein kollektives Gedächtnis

Warum Wissens-Broker manchmal auch Wachhunde sein müssen

03.12.1999
von Ingrid Weidner* Beim Münchner Softwarehaus sd&m sorgen zehn Wissens-Broker für den optimalen Durchblick. Die Gespräche in der Kaffeeküche und am Kopierer reichen bei einer bestimmten Unternehmensgröße für einen optimalen Wissensaustausch nicht mehr aus. Deshalb bilden größere Firmen eigene Abteilungen für das Wissens-Management.

"Wir wollen das gesamte Unternehmen mit dem Wissen aus den Projekten versorgen und so Fehler bei der Entwicklung vermeiden", hat sich Peter Brössler, Leiter und Erfinder des Wissens-Managements bei sd&m, vorgenommen. Das Softwarehaus beschäftigt momentan zirka 700 Mitarbeiter in fünf Niederlassungen. Die Unternehmensgröße erfordert professionelle Strukturen, die den Wissensaustausch an allen Standorten sicherstellen. Die täglichen Anforderungen bei der Projektarbeit wachsen, und die Konkurrenz schläft nicht. Mehrere Projekte in kürzeren Zeitspannen verlangen andere Arbeitsweisen. "Unsere Software-Entwickler sind sehr ehrgeizig und möchten am liebsten alles neu erfinden und entwickeln", so Brössler, "allerdings ist das nicht die effektivste Methode."

Aus diesen Überlegungen entstand 1996 die Idee, das Wissen des einzelnen und die Projekterfahrungen der Teams für alle zentral abzulegen. Mit viel Elan setzte sich Brössler für ein professionelles Knowledge-Management ein und entwickelte 1997 ein Konzept für sd&m.

Wissenslandkarte hilft Mitarbeitern weiter

Als Mitglied der Geschäftsleitung konnte er seine Kollegen von seinem Projekt überzeugen und startete 1998 mit einem eigenen Team. Anfang dieses Jahres stand die unterstützende Technik zur Verfügung. Wissens-Management heißt bei sd&m "Technologie-Management". Hinter diesem nüchternen Begriff versteckt sich das Kernstück des Unternehmens, das kollektive Wissensreservat.

"K-Web" steht für "Knowledge-Netz" und funktioniert wie das kollektive Gedächtnis des Systemhauses. Dort finden die Mitarbeiter alles Wissenswerte über abgeschlossene und laufende Projekte, Literatur und Weiterbildungsvorschläge. Sie können selbständig zu bestimmten Themen recherchieren, konkrete Lösungsvorschläge oder Ansprechpartner finden. Der Wissensspeicher ist für Berufsanfänger besonders hilfreich, wenn sie in ein laufendes Projekt einsteigen, denn sie können die einzelnen Entwicklungsstufen besser nachvollziehen. "Manchmal agieren die Wissens-Broker auch als Wachhunde, denn sie müssen bei den Projektleitern nachfragen, wenn die Projekte nicht ausreichend dokumentiert sind." Schließlich ist die Projektdatenbank nur dann hilfreich, wenn sie möglichst gut gepflegt wird.

"Skill-Management" ist ein weiteres Datenbanksystem, bei dem die Mitarbeiter selbst ihre Fähigkeiten und Talente eintragen. Diese Wissenslandkarte ist so angelegt, daß alle Mitarbeiter nach einem Ansprechpartner suchen können, der ihnen bei einem bestimmten Thema weiterhilft. "Wenn wir beispielsweise einen spanisch sprechenden C++-Experten suchen, dann werden wir vielleicht hier fündig", sagt Brössler. Allerdings kann sich niemand den kompletten Inhalt und ein vollständiges Profil eines Kollegen ansehen.

Die Mitarbeiter haben durch die beiden Datenbanken im Intranet konkrete Suchmöglichkeiten. Um den Service abzurunden, stehen die Wissens-Broker als Berater für weiterführende oder spezielle Fragen am Telefon, per Mail oder persönlich zur Verfügung. Das Technologie-Management arbeitet wie ein interner Dienstleister von der Projektakquisition bis zur Qualitätssicherung auf allen Ebenen.

Im Büro von Oliver Schoett sind zwei der drei Schreibtische leer. Die beiden Wissens-Broker, die dort mit dem Informatiker arbeiten, sind gerade unterwegs, beraten Kollegen bei Projekten oder halten Vorträge. Insgesamt beschäftigt sd&m zehn Wissens-Broker. Jeder kümmert sich um ein Spezialthema, pflegt die Datenbank, hält Vorträge und recherchiert, falls dazu genügend Zeit bleibt. "Für mich war es eine Chance, nach sechs Jahren bei sd&m selbst zu entscheiden, wo ich tätig sein möchte. Außerdem bedeutete es eine Abwechslung zur Projektarbeit", erklärt Schoett, warum er sich jetzt als Wissens-Broker engagiert.

Die Wissens-Broker bei sd&m sind weder Berufsanfänger noch Neueinsteiger, sondern erfahrene Projektmitarbeiter, die für ein bis zwei Jahre die Möglichkeit nutzen, sich intensiver mit ihrem Schwerpunktthema zu beschäftigen. Allerdings stehen die Bewerber für diese Stellen nicht unbedingt Schlange. "Es kann ein Karrieresprung sein, muß aber nicht", meint Brössler lapidar. Es gibt keine Garantie, daß nach der Zeit als Broker eine Beförderung winkt, zumal in dem Softwarehaus flache Hierarchien zur Unternehmenskultur gehören. Die Wissens-Broker gehen anschließend wieder in die Projektarbeit zurück. Manche nutzen die Chance, sich während ihrer Zeit als Wissensarbeiter selbst im Unternehmen bekannt zu machen.

Die Anfragen an Schoett reichen von kleineren Nachfragen über Rechercheaufträge und Analysen bis hin zur Projektarbeit und Mitarbeiterschulung. "Es kann schon vorkommen, daß ich über Tage oder Wochen in einem Projekt mitarbeite, wenn dort mein Wissen gefragt ist. Grundsätzlich muß ich sehr flexibel sein." Sein Spezialgebiet ist Software-Architektur und Design, eines von insgesamt 14 Spezialthemen der Wissens-Broker.

Das Wissen der Experten ist nicht umsonst zu haben. Jede längere Anfrage und ausführlichere Recherche wird dem jeweiligen Projektteam in Rechnung gestellt. Diese Umstellung ist inzwischen akzeptiert. Die Wissens-Broker unterstützen ihre Kollegen auch bei der Akquisition von neuen Kunden und bei der Präsentation. "Bei meiner Arbeit lerne ich viele Projekte kennen, aber die direkte Verantwortung dafür fällt oft weg. Das verschafft mir auch eine gewisse Unabhängigkeit", so Schoett. Weiß er bei einer Anfrage nicht weiter, dann schickt der Informatiker eine E-Mail an sein virtuelles Arbeitsteam oder sucht selbst einen kompetenten Ansprechpartner.

"Unsere Firmenkultur erleichterte die Einführung des Wissens-Managements", ist Brössler überzeugt. "Wir sind ein junges Unternehmen, und es ist jedem klar, daß keiner sein Wissen horten kann. Die Leute geben ihr Können gern weiter." Jetzt müssen die ehrgeizigen Software-Entwickler nur noch lernen, erst systematisch in der Datenbank nachzusehen, bevor sie mit der Entwicklung für ein neues Projekt beginnen. "Hier müssen wir noch auf eine gewisse Bewußtseinsbildung hinarbeiten."

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.