Wirecard, Bürgerportal, Corona-Bekämpfung

Warum viele am Prozessmanagement scheitern

Kommentar  10.05.2021
Von 
Gero Decker ist Gründer und CEO von Signavio, einem Anbieter von Business-Transformation-Lösungen.
Prozesse analysieren, verstehen und gestalten: Gutes Business Process Management ist eigentlich ganz einfach. Aber warum passieren so viele haarsträubende Fehler? Eine Spurensuche.
Prozesse analysieren, verstehen und gestalten - eigentlich ganz einfach. Wieso passieren dann so viele haarsträubende Fehler? Der CEO von Signavio hat sich auf eine Spurensuche begeben.
Prozesse analysieren, verstehen und gestalten - eigentlich ganz einfach. Wieso passieren dann so viele haarsträubende Fehler? Der CEO von Signavio hat sich auf eine Spurensuche begeben.
Foto: K.E.V - shutterstock.com

Wenn bei der Beschäftigung mit dem insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard das Wort "Prozess" fällt, dann liegt das nicht nur an der mutmaßlich kriminellen Energie der Manager, die sich vor Gericht verantworten werden müssen. Die Verantwortlichen haben offensichtlich auch die Geschäftsprozesse im Unternehmen sträflich vernachlässigt: Der Ausfall sämtlicher Kontrollinstrumente und Notfallsysteme deutet darauf hin, dass mangelndes Prozessmanagement auf dem Weg zur Insolvenz vermutlich eine gewichtige Rolle gespielt hat.

Anderes Beispiel, gleiches Thema: Schon im Jahr 2016 hat die Bundesregierung das Ziel ausgegeben, die Online-Portale von Bund, Ländern und den Kommunen in einem Bürgerportal zu integrieren. So sollte der Zugriff von Bürgern und Unternehmen auf die Verwaltungsleistungen verbessert werden. Auch wenn seitdem zahlreiche Initiativen ergriffen und viele Einzelprojekte gestartet wurden: Ein einheitliches Bürgerportal gibt es bis heute nicht. Dafür gibt es natürlich keine monokausalen Ursachen. Aber auch hier spielt schlechtes Prozessmanagement augenscheinlich eine wichtige Rolle.

Fehler bei der Corona-Bekämpfung

Fehler im Prozessmanagement finden nicht nur im Großen statt, sondern oft auch im ganz Kleinen: Im August 2020 hat die Bayerische Staatsregierung versäumt, 44.000 Befunde aus Corona-Tests an die getesteten Menschen weiterzugeben, darunter 900 Ergebnisse, die auf eine Covid-19-Erkrankung hindeuteten. Als Grund für die starke Verzögerung nannte die inzwischen abgelöste Gesundheitsministerin des Freistaats "die händische Erfassung von 60.000 Tests".

Es ist wichtig zu klären, wie schlecht definierte und ausgeführte Prozesse entscheidend zum Scheitern dieser Projekte beigetragen haben. Die (ehemalige) bayerische Gesundheitsministerin hat dafür nach der Corona-Panne ein wichtiges Stichwort geliefert: Sie macht völlig zu Recht manuelle Prozesse für die Panne verantwortlich, denn das ist eine der wichtigsten Fehlerquellen für schlechte Prozesse. Ein zweiter wichtiger Grund ist das schon erwähnte Fehlen oder Missachten von Kontrollmechanismen in der Prozessausführung. Eine dritte Ursache liegt in der mangelnden Transparenz vieler Prozesse begründet. Wer einzelne Schritte nicht nachvollziehen kann, ist auch nicht in der Lage, gezielt einzugreifen, wenn es hakt.

Prozessmanagement braucht Stärke

Wer sich darauf einlässt, Prozesse zu analysieren und an aktuelle Anforderungen anzupassen, muss stark sein - und weitgehend schmerzunempfindlich. Process Mining, also die systematische Analyse vorhandener Geschäftsprozesse, deckt gnadenlos Schwächen auf, und zwar auf jeder Ebene eines Unternehmens. Darüber hinaus bringt das Modellieren neuer Prozesse liebgewonnene Abläufe und Angewohnheiten zu Fall. Das ist nicht immer leicht zu ertragen.

Wer Prozessmanagement ernsthaft betreibt, muss zudem bereit sein, sich selbst zurückzunehmen und stattdessen auf seine Kunden zu hören. Die Ausrichtung von Prozessen auf die Bedürfnisse der Kunden impliziert die Bereitschaft, sich zu ändern, wenn sich die Kunden ändern - nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder. Prozessmanagement ist kein großes, einmaliges Veränderungsprojekt, sondern selbst ein fortlaufender, sich dabei ständig verändernder Prozess.

So schmerzhaft das alles ist: Zu einem konsequent angewandten Prozessmanagement gibt es keine vernünftige Alternative. Das hätten die Manager von Wirecard, der Öffentlichen Verwaltung und in den Corona-Stäben wissen können, es hätte viel Schaden abgewendet - von den Bürgerinnen und Bürgern und am Ende auch von ihnen selbst. (mb)