Prozessmanagement

Warum Prozesslandkarten wichtig sind

17.03.2015
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Prof. Dr. Komus – Leiter des BPM Labors – ist Professor für Organisation und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Koblenz. Er ist außerdem wissenschaftlicher Leiter der Rechenzentren der Hochschule Koblenz und Mitbegründer der Modellfabrik Koblenz. Prof. Komus promovierte am Institut für Wirtschaftsinformatik, Prof. Dr. Dr. h.c.-mult. August-Wilhelm Scheer. Vor seiner Tätigkeit als Hochschullehrer war Prof. Komus 10 Jahre lang als Unternehmensberater mit Fragestellungen wie Organisationsgestaltung, IT-Strategien, SAP-Einführung und -optimierung betraut. Herr Komus ist Certified Scrum Master und ECM Master.
Die Prozesslandkarte ist das einfachste und schwierigste Werkzeug, wenn es um die Optimierung von Prozessen und IT geht. Oft werden sie verkannt oder unterschätzt. Dabei sind sie die Grundlage für ein gutes Prozessmanagement.

"Das haben wir gleich - Personalkapazitäten auf Ebene der Prozesslandkarte zuordnen; das kann ich Ihnen sofort sagen. … Aber Moment, das sind ja eigentlich die abteilungsbezogenen Zahlen - das stimmt ja so gar nicht. Müller, kommen Sie doch mal schnell rüber…"

So oder ähnlich beginnen viele Gespräche, wenn es darum geht, gemeinsam mit der Unternehmensführung die Basis für Optimierungsmaßnahmen festzulegen. Im Ergebnis bedarf es dann oft mehrerer Tage, bis die gewünschten Informationen, bezogen auf die Prozessstruktur des Unternehmens, zur Verfügung stehen. Eine prozessorientierte Zuordnung der gebundenen Kapazitäten, kunden- oder qualitätskritischer Elemente ist oft nicht bekannt und das Fehlen derselben den Führungskräften nicht einmal bewusst.

Prozesslandkarte mit zugeordneten Personalkapazitäten in Vollzeitäquivalenzen („FTEs“) – Projektbeispiel anonymisiert
Prozesslandkarte mit zugeordneten Personalkapazitäten in Vollzeitäquivalenzen („FTEs“) – Projektbeispiel anonymisiert
Foto: Ayelt Komus

Die Prozesslandkarte: Visualisierung des Status Quo

Ein gutes Verständnis der Prozesse auf oberster Ebene ist die Grundlage praktisch aller Maßnahmen, wenn es darum geht, Prozesse und IT-Unterstützung zu verbessern. Nur wenn bekannt ist, welche Personalkapazitäten, Kosten oder kundenbezogene Erfolgsfaktoren in welchen Prozessabschnitten angesiedelt sind, können Maßnahmen effektiv und effizient positioniert werden.

Schließlich sollen kostenintensive Optimierungsmaßnahmen nicht bei den Prozessen ansetzen, die gar keine oder nur geringe Kosten verursachen und daher nur wenig zur Optimierung beitragen können. Analoges gilt, wenn es darum geht, Prozesse und IT mit dem Ziel der Verbesserung der Kundenzufriedenheit oder der Qualität zu optimieren.

Praktische Erfahrungen zeigen, dass viele Unternehmen auf eine Analyse der möglichen Optimierungshebel auf Basis der Prozesslandkarte verzichten. Oft scheint diese Möglichkeit gar nicht bekannt beziehungsweise verstanden zu sein. Im Ergebnis werden Optimierungsmaßnahmen nach unklaren oder gar unsinnigen Maßgaben priorisiert. Dort, wo am lautesten geschrien wird, wohin sich der Blick der Geschäftsführung zufällig oder in Verfolgung aktueller Trends richtet, werden Energie und Ressourcen investiert; auch wenn eine Analyse der Wettbewerbsrelevanz der beeinflussbaren Kosten, der Wirkung auf Qualität und Kundenzufriedenheit eigentlich zu anderen Ergebnissen führen müsste.

Prozesslandkarten erstellen und bewerten

Die Erstellung der vermeintlich einfachen Prozesslandkarte ist eine diffizile Aufgabe; muss die Prozesslandkarte doch das Geschäftsmodell genauso abbilden wie die operativen Herausforderungen der Leistungserbringung. Sie soll einfach wirken, möglichst ansprechend aussehen und zugleich einen ersten Eindruck der Wirkzusammenhänge in der Leistungserstellung aufzeigen.

Entsprechend ist die Entwicklung ein Prozess, für den ausreichend Zeit und Expertise eingeplant werden soll. Erfolgsentscheidend ist dabei ein gutes Verständnis des Ansatzes der Prozesslandkarte und der damit verbundenen Möglichkeiten und Konsequenzen.

Es gibt nicht die eine richtige Prozesslandkarte für ein Unternehmen und auch kein "Best Practice", die einfach übernommen werden kann. Vielmehr gilt es, das individuelle Konstrukt des Unternehmens mit seinen Kernwertschöpfungen und wettbewerbsrelevanten Leistungen zu verstehen und zu visualisieren. Grundlegende Wertschöpfungsflüsse, aber auch unterschiedliche Kompetenzfelder sollten berücksichtigt werden. Dabei können dann notwendige Kompetenzen, differenzierte regulatorische Vorgaben oder die Bedeutung für das Kundenerlebnis relevant sein. Keine Rolle spielen sollten hingegen die aufbauorganisatorischen Strukturen (Abteilungen); diese sind praktisch stets vorhanden und ausreichend differenziert mit den zugehörigen Personalkapazitäten in Organigrammen dargestellt. Im Endeffekt geht es schließlich um eine Abbildung der Prozesse. Insgesamt ist die Anfertigung einer aussagekräftigen, ansprechenden und intuitiv verständlichen Prozesslandkarte alles andere als trivial. Aber der damit verbundene Aufwand ist gut investiert, bildet doch das resultierende Arbeitsergebnis die Grundlage für die Priorisierung, Planung und Durchführung aller Aktivitäten rund um Geschäftsprozesse und IT-Landschaft.

Die Prozesslandkarte anreichern

Ist die Prozesslandkarte definiert, kann die resultierende Wertschöpfungsstruktur in vielerlei Hinsicht "angereichert" werden.

Die Zuordnung, der in den Prozessen gebundenen Personalkapazitäten ist ein erster wichtiger Schritt. Wie eingangs dargestellt, wird diese Phase oft unterschätzt. Bekannte Personalkapazitäten der aufbauorganisatorischen Einheiten ("Abteilungen") sind nur der Ausgangspunkt der Diskussion. Es gilt, anteilige Inanspruchnahme der abteilungsbezogenen Kapazitäten in den verschiedenen Prozessen zu ermitteln und so die prozessbezogenen gebundenen Kapazitäten zu benennen.

Weitere typische Informationen, die anhand der Prozesslandkarte dargestellt werden, sind Abschnitte mit besonderer Relevanz für die Kundenwahrnehmung und die Qualität der erbrachten Leistungen, typische Flaschenhälse in der Leistungserbringung, Abschnitte mit hoher Kritikalität für regulatorische Anforderungen, Reifegrad oder Ausfallzeiten unterstützender IT-Systeme.

Prozesslandkarte als Basis zur Planung der IT-Landschaft

Die Prozesslandkarte sollte nicht nur die Basis für Optimierungsmaßnahmen und das Prozessmanagement darstellen. Auch die Planung der IT-Landschaft muss im Wesentlichen auf der Qualität der Unterstützung der jeweiligen Prozesse bzw. Prozessabschnitte beruhen. Mit Hilfe der Prozesslandkarte finden Fachabteilung und IT-Experten eine gemeinsame Plattform für den Austausch. Anhand der Prozessabschnitte können die Fachabteilungen ihre Wünsche und Anforderungen darstellen. Aus Sicht der IT können den Fachabteilungen anhand der den Prozessabschnitten zugeordneten IT-Systeme technische Erfordernisse wie End-of-Life, Wartungs- und Integrationsprobleme verdeutlicht werden.

Die mit IT-Systemen hinterlegte Prozesslandkarte stellt somit die Grundlage für Diskussion und Planung für die IT-Systeme dar, die sowohl von IT-Experten als auch von Fachabteilungen verstanden wird.

Von der Reiseplanung lernen

Planen wir eine längere Autoreise, so ist es selbstverständlich, dass wir nicht nur die Stadtpläne von Ausgangspunkt und Ziel sichten. Der Gesamtüberblick mithilfe einer Überblickskarte sowie die Bewertung der Strecken anhand von Kilometer-Entfernungen und Fahrtdauer für die jeweiligen Routenoptionen sind selbstverständliche Hilfsmittel um die Reise zu planen und die Wunschstrecke zu bestimmen.

Diese grundlegenden Schritte sollten auch Unternehmen durchlaufen bevor sie die Reise der Prozess- und IT-Optimierung antreten. Nur wer die grundlegenden Zusammenhänge der Abläufe kennt und die jeweiligen Bereiche entsprechend bewertet hat, kann fundierte Entscheidungen treffen und ineffiziente Optimierungsmaßnahmen vermeiden.Ein Management, wie das eingangs dargestellte, das seine eigenen Prozesse und die dazugehörigen Prozesskennzahlen nicht kennt und als Entscheidungsbasis nutzt, sollte die Ausnahme sein.

Gehen Sie nicht ohne eine aussagekräftige Landkarte auf die Reise!