Autarke Mitarbeiter und Teams

Warum Manager Macht abgeben sollten

03.05.2017
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Dr. Carsten Busch ist seit 2012 für die Lumesse GmbH tätig und bekleidet dort seit 2015 die Position des CEO Business Unit ETWeb. Zuvor war er als Geschäftsführer für Zentral- und Osteuropa verantwortlich. Zu seinen Kernkompetenzen zählen alle Bereiche des Talent Management sowie Business Process Engineering mit webbasierten Technologien. An der Universität Essen und der Universität St. Gallen in der Schweiz studierte Dr. Carsten Busch Betriebswirtschaftslehre.
Der Wandel der Arbeitswelt im Zuge der digitalen Transformation erfordert mehr Autonomie der Mitarbeiter und Teams. Führungskräfte müssen erkennen, dass im partiellen Machtverzicht Führungsstärke liegt.
  • Die klassische Linienhierarchie ist out und wird zum Gegenentwurf von guter Führung stilisiert.
  • Manager reichen ihren Führungsanspruch ein Stück weit an Mitarbeiter weiter.
  • Mit der herkömmlichen Personalakte ist kein zeitgemäßes Talent Management möglich.

In der international geprägten IT-Branche sind virtuelle Teams bereits gang und gäbe. Der für Zentraleuropa verantwortliche Marketingchef sitzt beispielsweise in London, seine Vertreter in Kopenhagen und München. Der Rest seines Teams verteilt sich über den gesamten europäischen Kontinent. Man trifft sich primär virtuell über Videokonferenzen, arbeitet dank moderner Collaboration-Software sehr teamorientiert, und nur noch alle zwei Monate fliegen die Mitarbeiter in die Münchner Firmenzentrale ein. Aber es funktioniert. Willkommen im Zeitalter der Digitalisierung!

Zusammen sind wir stark: Dieses Motto sollten Führungskräfte beherzigen und ihren Mitarbeitern im Team mehr Verantwortung übertragen.
Zusammen sind wir stark: Dieses Motto sollten Führungskräfte beherzigen und ihren Mitarbeitern im Team mehr Verantwortung übertragen.
Foto: fotogestoeber - shutterstock.com

Die digitale Transformation bringt es mit sich, dass sich auch die Arbeitswelt massiv wandelt, ja ändern muss. Die meisten Führungskräfte stimmen darin überein, dass Steuerung und Regelung angesichts der Komplexität und Dynamik der zukünftigen Arbeitswelt nicht mehr angemessen sind. Zunehmende Volatilität und abnehmende Planbarkeit verringern die Tauglichkeit ergebnissichernder Managementwerkzeuge wie Zielemanagement und Controlling. Überwiegend wird die klassische Linienhierarchie klar abgelehnt und geradezu zum Gegenentwurf von guter Führung stilisiert. Dieses Fazit zog der mittlerweile verstorbene Psychologe und Professor Peter Kruse in seiner wegweisenden Führungskräftestudie.

Die klassische Personalakte hat ausgedient

Was aber bedeutet die Aussage des Organisationspsychologen Kruse hinsichtlich junger Mitarbeiter und Talente? Ältere Kollegen sind es ja noch gewöhnt, in hierarchischen Strukturen zu arbeiten. Sie empfänden einen Umschwung zu moderneren Führungsstrukturen sicher als Bereicherung. Für junge High Potentials gilt aber, dass es heute Pflicht ist, anders mit ihnen umzugehen.

Angesichts des Fachkräftemangels können sich die Top-Manager von morgen die Rosinen herauspicken. Ein Unternehmen bewirbt sich bei ihnen und nicht mehr nur vice versa. Aus Kruses Studie ergeben sich deshalb zwei Aspekte. Mit der klassischen Personalakte, in der die Mitarbeiter "verwaltet" werden, ist kein zeitgemäßes Talent Management mehr möglich. Schnelle, flexible Teams, die in Zeiten der Digitalisierung eine kurze Time-to-Market erreichen sollen, brauchen andere Werkzeuge und Umgebungen, mit und in denen sich ihre Arbeitskraft sinnvoll strukturieren lässt. Darüber hinaus muss ein anderes Hierarchieverständnis greifen.

Kruse meint dazu: "Führungskräfte gehen davon aus, dass die motivierende Wirkung von Gehalt und anderen materiellen Anreizen tendenziell abnimmt. Persönliches Engagement wird mehr mit Wertschätzung, Entscheidungsfreiräumen und Eigenverantwortung assoziiert. Autonomie wird wichtiger als Statussymbole, und der wahrgenommene Sinnzusammenhang einer Tätigkeit bestimmt den Grad der Einsatzbereitschaft."

Partiell autarke Mitarbeiter sind motivierter

In die Praxis umsetzen lassen sich sowohl die Arbeitsumgebungen als auch das modernere Hierarchieverständnis durch das sogenannte Empowerment und IT-Lösungen, die dieses Prinzip verinnerlicht haben. Diese bewirken, dass HR-Abteilungen und leitende Manager ihren Führungsanspruch ein Stück weit abgeben und an den Mitarbeiter weiterreichen; dieser wird also partiell autark.

Das findet zum Beispiel dergestalt Ausdruck, dass der Mitarbeiter nun sieht, welche Weiterbildungsmöglichkeiten es gibt, damit er den Ansprüchen auch tatsächlich genügen kann, und welche Kompetenzen und Erfahrungen er sammeln muss. Es wird also nicht mehr in alter Gewohnheit quartalsweise willkürlich manifestiert, wer etwa ein Vertriebstraining verordnet bekommt, sondern das Teammitglied selbst kann auf Grundlage seiner für ihn stets sichtbaren Beurteilung ein Training anstoßen. Der Mitarbeiter kann also Bedarf anmelden und bestenfalls sogar selbsttätig darüber entscheiden. Diese partielle Autarkie kommt vielen Unternehmen noch wie ein Wagnis vor, da dadurch mitunter die Autonomie und Mitbestimmungsmöglichkeiten von Beschäftigten rund um ihren Arbeitsplatz deutlich erweitert werden. Aber der Gewinn daraus lässt sich sehen: weniger Bürokratie, Leistungsoptimierung und deutlich motiviertere Mitarbeiter. Die Zeit, in der Angestellte beim Jahresendgespräch aus allen Wolken fielen, ist somit vorbei.

Leistungspunkte durch Kooperation im Team

Das heißt, fortlaufend erfolgt ein für alle Beurteilten nachvollziehbares Spiegeln der Leistungen des einzelnen Mitarbeiters. Auf diese Weise sind seine Befähigungen erkennbar, ebenso Bereiche, in denen er sich noch verbessern muss. Und: Diese Methodik richtet sich nicht nur an Einzelkämpfer, sondern auch an Teams. Hier ist die Idee, nur durch Kooperation Leistungspunkte erreichen zu können, so dass das ganze Team für ein gemeinschaftliches Ziel motiviert ist.

Das Ergebnis dieses Empowerments: Auf den ersten Blick profitiert hier nur der Mitarbeiter. Denn, wenn etwa Leistungsbeurteilungen deutlich transparenter gehandhabt werden als in Zeiten der Personalakte, ist es für ein Unternehmen im Gegenzug einfacher, echte Talente zu erkennen und entsprechend zu fördern. Das bedeutet, dass Leistungsbereitschaft und Wettbewerb der Mitarbeiter untereinander ebenfalls gefördert werden. "Unter dem Radar zu fliegen" und dennoch Karriere zu machen wird deutlich schwieriger. (pg)