Warten auf Kondratieff

18.12.1992

Man kennt das Szenario einer Zukunft, die eigentlich längst begonnen haben sollte: Ein neuer Konjunkturzyklus wird ausgelöst durch Basisinnovation auf dem Chip-Sektor, durch Mikroprozessor-Entwicklungen, die zu effizienter, preiswerter, Arbeitsplatzzentrierter Informationstechnik führen. Ein Wachstumsschub, gestützt auf IT: Die Wirtschaftswissenschaftler sprechen vom "fünften Kondratieff", nach dem russischen Ökonomen Nikolai Kondratieff, der als erster auf den Zusammenhang zwischen Innovation und Konjunktur hingewiesen hat. Noch ist von den vermeintlichen Segnungen des "Information Age", des postindustriellen Zeitalters, freilich wenig zu spüren - weder wirtschaftlich, noch gesellschaftlich oder gar kulturell.

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Ätsch, Batch! Eine früher bewußt unmündig gehaltene Kundschaft rechnet ab mit einer DV-Industrie, die den fünften Kondratieff nicht abwarten konnte, die es deshalb mit der Wahrheit nie so genau nahm, was die Möglichkeiten und Grenzen der vorhandenen Mainframe-Systeme Von-Neumannscher Provenienz betrifft. Potemkin läßt grüßen. So warten etwa die Repository-Dorfältesten immer noch auf SAA-Eingebungen. Derweil lassen die Anwender MIS-Euphorie MIS-Euphorie sein. DOS-PCs tun's auch - aber bitte mit Windows.

Doch jetzt hat es die DV-Industrie eilig mit dem Aufräumen: In den kommenden ein, zwei Jahren, so eine Diebold-Prognose, sei Null-, wenn nicht gar Minuswachstum angesagt, erst ab 1994/95 sollen Anwendungen wie Multimedia, Pen Computing oder Imaging für neue Marktimpulse sorgen (Seite 6). Den Aufschwung werden laut Diebold nicht mehr alle Hersteller erleben, insbesondere unter den reinen Hardwareproduzenten werde es in den kommenden Jahren erhebliche Ausfälle geben. Die etablierten DV-Anbieter haben es eilig mit dem Aufräumen. Doch wie die potemkinschen Altlastenprobleme lösen?

Was über DV-Hersteller mit Vergangenheit gesagt wurde - und wem fiele da nicht die IBM ein trifft auch auf die DV-Abteilungen in großen Anwenderunternehmen zu. Man tolerierte die Komplexität, die durch überladene, schwerfällige Host-Rechner hervorgerufen wurde. Downsizing-Konzepte hielten viele IBM-370-Kunden bisher für Hirngespinste, die sie nichts angingen. Doch nun erklären die Analysten der Marktforschungsgesellschaft The Yankee Group unmißverständlich: "Die Einsparung durch Downsizing ist real" (Seite 1).

Für Unruhe bei den DV-Profis ist gesorgt. Dazu ein Statement aus dem "Diebold Report", der das Topmanagement anspricht: "In vielen Unternehmen gibt es Leute, die von der Komplexität leben. Sie ausfindig zu machen ist beinah ebenso wichtig wie die Analyse der Geschäftsprozesse."