Noch haben nicht alle Firmen die Bedeutung von e-commerce begriffen

Warten auf das große Geschäft

22.02.2000
Von VON Veronika
Nur halbherzig entwickeln traditionelle Handelsunternehmen Konzepte und Strategien für den E-Commerce - häufig angesiedelt in den Abteilungen für Marketing und Vertrieb. Die Nachfrage nach IT-Experten ist eher verhalten. Lediglich die Großen der Branche wie Karstadt und der Otto Versand haben das Potenzial erkannt und heuern Fachleute an.

Noch im Laufe dieses Jahres soll Deutschland beim Electronic Commerce erstmals europäischer Spitzenreiter werden. Eine Studie der Lufthansa AirPlus Servicekarten GmbH geht davon aus, dass dann rund sieben Milliarden Mark mit dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen über das Internet umgesetzt werden. Damit hätte Deutschland in Europa erstmals die Führungsrolle beim E-Commerce inne, knapp vor Großbritannien (6,8 Milliarden Mark), den skandinavischen Ländern (3,6 Milliarden Mark) und Frankreich (3,2 Milliarden Mark).

Das große Geschäft mit dem Netz machen aber nach wie vor die Amerikaner. Nach einer Studie der Uni Texas entfallen rund 85 Prozent aller Internet-Jobs auf die USA. Sie haben 1998 rund 300 Milliarden Dollar umgesetzt, der jährliche Zuwachs lag zwischen 1994 und 1998 bei fast 175 Prozent. Der überwiegende Teil der Umsätze im Netz entfällt heute auf die Geschäfte der Firmen untereinander.

Doch auch der Verkauf an Privathaushalte blüht, vor allem, weil die Produktpalette immer bunter wird. Längst ordern die Verbraucher nicht mehr nur Hard- und Software per Mausklick, sondern auch Eintrittskarten, Mode, Haushaltsgeräte und sogar Nahrungsmittel.

Der Bundesverband des Versandhandels (BVH) meldet, dass sich der Internet-Umsatz seiner Mitglieder im vergangenen Jahr gut verdreifacht hat. Gemessen am Gesamtumsatz von knapp 41 Milliarden Mark ist der Web-Anteil von 100 Millionen Mark zwar noch gering, aber die Branche rechnet mit einem weiteren starken Wachstum. So können die Kunden der Mülheimer Handelsgruppe Tengelmann künftig auch in München und Frankfurt am Main ihre Lebensmittel über das Internet bestellen. Den Lieferservice ins Haus gab es bisher nur in Berlin und Düsseldorf. Allein in der Hauptstadt konnte Tengelmann damit 1998 einen Umsatz von zehn Millionen Mark erzielen. Das Hamburger Online-Auktionshaus Ricardo hat seine virtuellen Pforten zwar erst im August 1998 geöffnet, registriert inzwischen aber bereits 180 000 Kunden. Die monatliche Umsatzwachstumsrate liegt bei 30 Prozent, so dass Ricardo im ersten Geschäftsjahr einen Umsatz von sechs Millionen Mark erwartet, im Jahr 2004 sollen es bereits 100

Millionen Mark sein.

Trotz dieser Erfolgsbeispiele haben viele Handelsunternehmen - insgesamt ein Viertel von ihnen betreibt E-Commerce - ein Problem: Sie erwirtschaften damit bisher keine Gewinne. Der über die neuen Medien eingefahrene Umsatz beträgt nach Angaben des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels derzeit gerade mal ein halbes Prozent des Gesamtumsatzes. So hat beispielsweise das 1996 von Karstadt gegründete Internet-Kaufhaus "my-world" 1998 zirka neun Millionen Mark erwirtschaftet - für Branchenkenner eine zu vernachlässigende Größe, vor allem wenn man die Entwicklungen beim elektronischen Buchhandel ins Auge faßt. Mit Büchern und CDs hat die US-Firma Amazon in diesem Jahr rund zwei Milliarden Mark umgesetzt.

Entsprechend zurückhaltend fällt auch eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) vom Juli 1999 aus. Die Nürnberger haben den mittelständischen Unternehmen eine abwartende Haltung empfohlen: "E-Commerce", so heißt es lapidar, "ist nicht immer von Erfolg gekrönt." Den geringen Erfolg führt Andrea Müller, Leiterin des Projektes "Virtual Reality-Shop" beim Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart, vor allem auf die fehlende Dienstleistungsmentalität der Deutschen zurück: "Die Servicewüste Deutschland zeigt sich besonders deutlich im Internet. Der Service muss kundenorientierter sein und dem Nutzer einen Mehrwert durch eine besondere Behandlung und eine gute Beratung verschaffen." Die Anbieter sollten ihrer Ansicht nach stärker vom Benutzer ausgehen und nicht von den technischen Möglichkeiten. E-Commerce müsse leichter verständlich sein und "nicht so abstrakt." Schließlich solle

das Internet dem Nutzer das Leben erleichtern.

Mangel an Internet-Konzepten

Die Beratungsunternehmen Andersen Consulting und Roland Berger machen in neuen Untersuchungen auf eine wesentliche Differenz zwischen Europa und den USA aufmerksam: Europäische Manager als Spezialisten für die Wertschöpfung hätten das Thema Internet noch nicht in vollem Umfang aufgegriffen. Internet-Projekte der Unternehmen, so die Consulter, seien allein auf Werbung ausgerichtet und als verlängerter Arm in der Marketing- und Vertriebsabteilung angesiedelt. Wenn überhaupt ernsthaft E-Commerce betrieben würde, dann liege meist ein Ansatz zugrunde, der das Internet als ein billiges und bequemes Bestellmedium begreife, das seine Akzeptanz bei den Kunden irgendwann finden werde. Es fehle an internetspezifischen Geschäftskonzepten und Erfolgsstrategien, eine Beobachtung, die von den Forschern des Fraunhofer Institutes geteilt wird.

Nachfragen bei den einschlägigen Interessenverbänden des Handels bestätigen: Die Branche hängt sich voller Zuversicht an die positiven Prognosen der Marktforscher, die von dreistelligen Zuwachsraten jährlich und Milliardenumsätzen in naher Zukunft sprechen. Doch Strategien, zum Beispiel auch im Hinblick auf Mitarbeiterschulung und Rekrutierung von Fachleuten, fehlen. So warnt denn auch Volker Stroh vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels in Köln: "Es darf nicht erwartet werden, dass sich die Kosten eines eigenen Internet-Angebots über Nacht in Erträge verwandeln." Um den kommerziellen Erfolg zu garantieren, müssten die Anbieter unbedingt ein paar Grundregeln beherzigen: "Noch immer ist das Internet entgegen einer weitverbreiteten Meinung kein Massenmedium. Daher ist eine zielgruppengenaue Ansprache der potenziellen Kunden unumgänglich."

*Veronika Renkes ist freie Journalistin in Bonn.