Vorwurf Selfie-Filter

Wann iPhone XS Fotos glättet

03.10.2018
Von 
Stephan Wiesend schreibt für die Computerwoche als Experte zu den Themen Mac-OS, iOS, Software und Praxis. Nach Studium, Volontariat und Redakteursstelle bei dem Magazin Macwelt arbeitet er seit 2003 als freier Autor in München. Er schreibt regelmäßig für die Magazine Macwelt, iPhonewelt und iPadwelt.
Ein angeblicher „Face-Beautify“-Effekt ist Unsinn, die Aufbereitung von Fotos durch das iPhone XS ist aber unter Umständen recht stark.

Macht man mit dem iPhone XS ein Selfie oder Porträt, ist man von dem Ergebnis auf den ersten Blick meist angenehm überrascht. Bei näherem Hinsehen bemängeln aber manche Nutzer eine zu starke Glättung von Haut und anderen Flächen ( wir haben berichtet). Hat Apple hier etwa nachgeholfen und einen Beautify-Filter integriert, wie er bei vielen neueren Kameras zum Standard gehört?

Porträts mit dem iPhone XS finden manche Kritiker zu glatt.
Porträts mit dem iPhone XS finden manche Kritiker zu glatt.

Das ist natürlich Unsinn: Grund für diese Glättung ist kein geheimer „Verschönern“ oder „Beautify“-Filter Apples, sondern eine relativ starke Entrauschen-Funktion von Apples Bildprozessor. Vor allem bei Selfies mit der Frontkamera bei wenig Licht fällt dies stark auf, würde das Foto doch ohne Rauschentfernung von einem starken Salz-und-Pfeffer-Muster und Farbfehlern verziert. Beim Entfernen dieser Sensor-Fehler werden eben auch Hautunebenheiten entfernt, was aber ebenso für die Entrauschen-Filter von Lightroom, Photoshop und Apple Fotos gilt.

Man muss außerdem zwischen der winzigen und stark rauschenden Frontkamera, der lichtstarken und wenig rauschenden Weitwinkelkamera und der lichtschwachen Telekamera unterscheiden: Alle drei haben nach unserer Erfahrung unterschiedlich starke Neigung zum Rauschen, was zu unterschiedlich starkem Glättungs-Effekt führt, der sich je nach Art der Beleuchtung unterscheidet. Besonders schwach ist die Glättung bei Tageslichtaufnahmen mit der Weitwinkelkamera, besonders stark mit der Frontkamera in Innenräumen. Nebenbei stört diese Glättung nicht jeden, es sind offenbar eher junge männliche Nutzer, die über einen „zu glatten“ Eindruck des Fotos klagen. Sichtbar wird dies außerdem oft nur, wenn man stark in das Foto hineinzoomt – weniger bei der Weitergabe per Facebook oder der Veröffentlichung im Web.

Höhere ISO-Werte als Ursache

Nach einer Analyse der Programmierer der Kamera-App Halideist eine Ursache der stärkeren Glättung eine neue Präferenz für hohe ISO-Werte. Während das iPhone X möglichst niedrige ISO-Werte verwendet, nutzt Apple bei seiner neuen Kamera-App relativ hohe ISO-Werte. Das ist überraschend, da der neue Kamerasensor eigentlich mit weniger Licht auskommt als der kleinere Sensor des iPhone X.

Laut Halide-Entwickler ist aber die neue SmartHDR so konzipiert, dass die Kamera die benötigten mehreren Fotos mit möglichst niedriger Belichtungszeit aufnimmt. Dafür hat Apple gute Gründe: Wir waren in unserem Test des XS fasziniert, wie problemlos die Mehrfachaufnahmen funktionierten, selbst bei Aufnahmen von Blättern im Wind oder sich bewegenden Menschen gibt es keine Bewegungsungschärfe oder Ghost-Effekte. Kurze Belichtungszeiten sind aber oft nur durch hohe ISO-Werte und hohes Rauschen möglich. Wählt etwa das iPhone X die Einstellung 1/60 s bei ISO 40, nutzt ein XS eher 1/120 bei ISO 80.

Deutlich wird der Glättungseffekt bei ISO 500 und der Darstellung bei 100 Prozent – weit weniger beim Sichten auf dem iPhone selbst.
Deutlich wird der Glättungseffekt bei ISO 500 und der Darstellung bei 100 Prozent – weit weniger beim Sichten auf dem iPhone selbst.

Folge sind großartig wirkende Bilder mit hohen Kontrastwerten, die vor allem bei Landschaftsaufnahmen eine erstklassige Dynamik zeigen. So ist auch bei Landschaftsaufnahmen bei hellstem Sonnenlicht oft der blaue Himmel mit im Bild, was selbst DSLRs nur mit Mehrfachaufnahmen möglich ist. Der Negativeffekt ist ein Verlust an Bildschärfe, was beim Zoomen in ein Bild auffällt. Zoomt man in einem Foto zu einem Gesicht in einer Menge, ist durch den Glättungseffekt des Rauschfilters dann etwa oft nur eine Fläche zu sehen, vor allem bei schlechten Lichtverhältnissen.

Ist RAW die Lösung?

Im Prinzip kann man die HDR-Funktion ja auch deaktivieren. Die Option findet sich in der Kamera-Einstellung, allerdings greift der Image-Prozessor nach unserem Eindruck auch bei diesen Aufnahmen stark ein.

Als Lösung für dieses Problem empfiehlt der App-Hersteller eine neue RAW-Funktion seiner App Halide an. Statt den geglätteten XS-Fotos kann man damit eine „ungefilterte“ Aufnahme erstellen. RAW-Aufnahmen sind nicht neu, beim iPhone XS stehen RAW-Aufnahmen aber vor einem neuen Problem: Eine gespeicherte Einzelaufnahme ist beim XS eigentlich überbelichtet und stark verrauscht. Durch eine neue Aufnahmeoption SMART RAW will der Hersteller dies kompensieren: Man erhält dadurch korrekt belichtete Aufnahmen mit mehr Details. Mangels Mehrfachaufnahmen muss man aber auf hohe Dynamik verzichten. Auch ein Nachbearbeitung ist meist notwendig, etwa in Lightroom.

RAW-Aufnahmen mit anderen Apps wie Obscura wirken etwas überbelichtet.
RAW-Aufnahmen mit anderen Apps wie Obscura wirken etwas überbelichtet.

Unsere Meinung:

Die Kritik an den Selfie-Fotos des iPhone XS ist nach unserer Meinung übertrieben, mit verrauschten Fotos wäre ja niemand zufrieden. Von Apples iPhone werden ja weder Augen verschönert, noch Gesichter schlanker gemacht, dafür gibt es genug Apps im App Store.

Puristen steht außerdem die Nutzung von RAW-Kamera-Apps wie Halide offen. Allerdings waren wir persönlich von den Ergebnissen von Smartphone-RAW-Fotos bisher eher enttäuscht. Nach unserer Meinung fährt man mit den HDR-Apps meist besser und spart sich die Korrekturen in einer Bildbearbeitung. Für Porträts würden wir aber in jedem Fall zu guter Beleuchtung raten – außer ein Glättungseffekt ist gar erwünscht. (Macwelt)