Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

Wann ein Attest nicht reicht

23.09.2021
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bedurfte bislang einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Nach einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts reicht das in bestimmten Fällen nicht aus.
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genießt hohen Beweiswert. In bestimmten Fällen kann dieser jedoch erschüttert werden. Lesen Sie, in welchen.
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genießt hohen Beweiswert. In bestimmten Fällen kann dieser jedoch erschüttert werden. Lesen Sie, in welchen.
Foto: Mabeline72 - shutterstock.com

Ist ein Arbeitnehmer infolge einer Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber – so steht es im Paragraf 3, Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG). Voraussetzung ist weiterhin, dass die Krankheit ohne Verschulden eingetreten ist und das Arbeitsverhältnis bereits mindestens vier Wochen besteht.

Lohnfortzahlung: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unantastbar?

Den Arbeitnehmer treffen bei einer Krankheit zwei Pflichten: Er muss sich zum einen unverzüglich arbeitsunfähig melden, zum anderen muss er spätestens nach dem dritten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. "Nach dem Gesetz dürfen Arbeitgeber zudem auch schon eher die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen, dafür bedarf es keiner besonderen Gründe", kommentiert der Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht und Professor Michael Fuhlrott.

Verstöße gegen diese sogenannte Anzeige- und Nachweispflichten stellen eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung dar. Der Arbeitgeber kann diese mit den üblichen Mitteln des Arbeitsrechts sanktionieren: "Je nach Einzelfall kommen dann Abmahnung bis hin zur Kündigung in Betracht", so Fuhlrott.

"Eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit kann den Arbeitgeber sogar zu einer fristlosen Kündigung berechtigen", erläutert der Arbeitsrechtler. Allerdings: Meint der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit nur vortäusche und tatsächlich arbeitsfähig sei, muss er dies beweisen. "Legt der Arbeitnehmer für seine Erkrankung ein ärztliches Attest vor, haben Arbeitgeber regelmäßig wenig Chancen, einen solchen Beweis führen zu können", gibt der Arbeitsrechtler zu bedenken.

Nach der Rechtsprechung genießen ärztliche Atteste einen enorm hohen Beweiswert. Wolle der Arbeitgeber gleichwohl geltend machen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsfähig gewesen sei, müsse dieser konkret darlegen, warum der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei. Und: "Kranksein heißt auch nicht, dass ich als Arbeitnehmer zu Hause im Bett liegen muss", verdeutlicht Fuhlrott. Wichtig sei nur, dass sich der Arbeitnehmer nicht genesungswidrig verhalte. Welche Tätigkeiten damit erlaubt seien, hänge von der Erkrankung ab. Daher dürfe ein Arbeitnehmer etwa auch Sport treiben und Joggen gehen, wenn die Erkrankung aufgrund einer psychischen Belastung eingetreten und sich die körperliche Betätigung als genesungsförderlich erweise.

BAG-Urteil: Beweiswert erschüttert, keine Lohnfortzahlung

Mit einem aktuellen Urteil vom 8. September 2021 (5 AZR 149/21 = PM Nr. 25/21) hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr die Rechte von Arbeitgebern in diesem Zusammenhang gestärkt. Die Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei auch dann anzunehmen, wenn ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis selbst kündige und er am gleichen Tag arbeitsunfähig geschrieben werde. Insbesondere gelte dies dann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasse.

Mit dieser Begründung versagte das BAG einer Arbeitnehmerin Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die klagende Arbeitnehmerin hatte am 8. Februar 2019 ihr Arbeitsverhältnis zum 22. Februar 2019 gekündigt. Zeitgleich legte sie ihrem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Diesen zeitlichen Zusammenhang ließ das BAG ausreichen, um den Beweiswert des "gelben Scheins" als erschüttert anzusehen. Die Beschäftigte hätte näher darlegen müssen, warum sie tatsächlich erkrankt war und die berechtigten Zweifel des Arbeitgebers am Attest ausräumen müssen. Dies gelang der ehemaligen Mitarbeiterin nicht, so dass sie keine Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber verlangen konnte.

"Wenn der Arbeitnehmer selbst kündigt und sich in diesem Zusammenhang bis zum Ende seiner Kündigungsfrist krankmeldet, setzt er sich der erheblichen Gefahr aus, dass der Arbeitgeber die Lohnzahlung einstellt", gibt Fuhlrott zu Bedenken. Auf Fälle der Kündigung durch den Arbeitgeber seien diese Grundsätze nach Meinung des Arbeitsrechtlers nur beschränkt übertragbar: "Hier mag es durchaus sein, dass der Arbeitnehmer infolge der für ihn unerwarteten Kündigung erkrankt und keine Erschütterung eintritt". Letztlich sei dies aber von Fall zu Fall zu beurteilen: "Eine Krankschreibung nach Arbeitgeberkündigung passgenau bis zum letzten Arbeitstag werden sich Arbeitsgerichte künftig genauer ansehen müssen", meint der Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht.

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