"Wahlkampf" ums Netzmonopol

07.10.1994

Es ist schon eigenartig. Die Rede ist von Bundespostminister Wolfgang Boetsch, der sich neuerdings als gluehender Verfechter freier Telecom-Maerkte entpuppt. Wie ist, so fragt man sich, das gar so ungewoehnliche Verhalten des CSU-Ministers zu interpretieren, der waehrend seiner bisherigen Amtszeit eigentlich nur ein Ziel hatte: ja nicht auffallen und nichts falsch machen! Entsprechend windelweich ist auch der Bonner Parteienkompromiss in Sachen Postreform II geraten - die weitaus reformfreudigeren Beamten in der Grundsatzabteilung der Boetsch-Behoerde koennten ein Lied davon singen.

Doch das ist Schnee von gestern. Wenn sich jetzt aber ploetzlich der gute alte Postonkel in Helmut Kohls Kabinett mit starken Spruechen ueber einen moeglichen deutschen Alleingang beim Netzmonopol bis dato nicht gekannter Popularitaet erfreut, ist Vorsicht angesagt - schliesslich ist Wahlkampf, und noch vieles mehr. Zum Beispiel munteres Treiben in den Maerkten, die man in Bonn, Bruessel und anderswo fruehestens 1998 liberalisieren will. Der deutschen Telekom laeuft jedenfalls schon seit laengerem die Kundschaft in Scharen davon, beim Telefondienst (Ferngespraeche ins Ausland) genauso wie bei den Corporate-Network-Services - dem, wenn man so will, deutschen "Suendenfall" in puncto Aufweichung des Netzmonopols.

Die Bonner wie Bruesseler Buerokraten reden also einer Entwicklung das Wort, die von den Marktrealitaeten laengst eingeholt wurde. Nicht umsonst hat man bei Deutscher Bahn, Deutscher Bank, RWE, Veba und Co. investiert und diversifiziert, um am Tag X quasi aus dem Stand leistungsfaehige und fuer die Kunden attraktive Netze hochfahren zu koennen. Was fehlt, ist Rechtssicherheit - fuer Anwender und Anbieter, und das ist es, was das magische Datum 1. Januar 1998 fuer alle Beteiligten so interessant und spannend macht.

Zurueck zum deutschen Postminister: Willkommen an Bord, duerfte da die hiesige wie europaeische Telecom-Branche frotzeln, wenn sich Boetsch nun fuer eine zeitgleiche Abschaffung von Netz- und Telefondienstmonopol ausspricht. Was einen deutschen Alleingang betrifft, haette man wohl auch in der Bruesseler EU-Kommission keine groesseren Probleme damit, schon eher im deutschen Telecom- Bruderland Frankreich, wo der Telekom-Partner France Telecom immer noch auf seine Privatisierung wartet. Bleibt der schlimme Verdacht, dass da ein Minister, der - egal wie das Bundestagswahlergebnis aussieht - um seinen Stuhl zittern muss, schnell noch seine Daseinsberechtigung untermauern wollte. Man darf gespannt sein, wie (falls ueberhaupt) Boetsch nach dem 16. Oktober agiert. Kunden und Mitbewerber der Telekom, die wohl noch drei Jahre mit einem (privatisierten) Monopolisten leben und streiten muessen, wuerden sich endlich einen engagierten Postminister wuenschen.