Wählleitung statt Standleitung

01.08.1975

Dipl.-Kfm. Rotger H. Greve, Leiter der Informationsstelle für Datentechnik des Arbeitskreises für Mittlere Datentechnik, Partner des Büros Greve, Kappmeyer & Graeber, Unternehmensberater BDU, Saarbrücken

"Computerkapazität muß zentralisiert und auf möglichst große Anlagen konzentriert werden", lautet das Rezept für wirtschaftlichere Datenverarbeitung seit mehr als einem Jahrzehnt. Klar, je größer der Computer, desto geringer die Kosten je Befehl. Werden die Arbeiten mehrerer kleiner und mittlerer Anlagen auf einen Jumbocomputer übertragen, so ist damit sicherlich eine Kostensenkung verbunden. Betriebswirtschaftliche Rechner nennen das Prinzip "Größendegression der Kosten". Ein (selbstverständlich hinkender) Vergleich: die Kosten je Kilometer und Person sind in einem Omnibus niedriger als in einem PKW.

Abgeleitet von diesem Wirtschaftlichkeitsdenken ist ein anderes Argument: der Kleinverarbeiter (wenige Aufgaben, geringe Datenmengen, sporadische Ergebnisse) fährt wirtschaftlicher, wenn er (über elektrische Übertragungswege) nur die Zeiteinheiten an Computerkapazität kauft, die er benötigt. "Timesharing" ist das Stichwort.

Die Organisation dieser wirtschaftlichen Datenverarbeitung ist bekannt: ein zentraler Computer, an den viele Ein-/Ausgabestationen (Tastaturen, Blattschreibe, Bildschirme und ähnliches) mehr oder weniger weit entfernt angeschlossen sind.

Wer's versucht hat, weiß, daß diese simple Wirtschaftlichkeitsrechnung in der Praxis keineswegs immer aufgeht. Was nämlich in all diesen Überlegungen fehlt sind die Kosten der Datenübertragung. Wer die alternativen Übertragungswege und ihre Kosten in seine Wirtschaftlichkeitsberechnung einbezieht, kann an dieser Aufgabe seinen Meister als Systemplaner machen.

Unabhängig von der nationalen Organisation der Leitungsnetze (staatliches Monopol oder private Telefongesellschaften), von dem quantitativen und qualitativen Kapazitätsangebot und von der Höhe der Gebühren stellt sich immer wieder die Frage "Standleitung oder Wählleitung"?

Die Standleitung ist eine festgeschaltete Verbindung zwischen zwei Endstellen (nach herkömmlicher DV-Philosophie: zwischen einem "dummen" Terminal und einem zentralen Großrechner).

Diese Fernmeldewege (Telegrafen-, Fernsprech- oder Breitbandleitungen) werden den Benutzern von der Deutschen Bundespost zum ständigen Gebrauch überlassen ("überlassene Leitungen").

Die Wählleitung ist ebenso eine Verbindung zwischen zwei Endstellen, die aber nur zeitweise durch Wahl über Vermittlungseinrichtungen und Fernmeldewege hergestellt wird ( "Wählverbindung").

Der grundsätzliche Unterschied zwischen Standleitung und Wählleitung besteht also darin, wie die Verbindung zustandekommt. Im Fall der Standleitung sind alle Terminals jederzeit durch Übertragungswege physisch mit dem Computer verbunden - ganz gleich, ob Daten übertragen werden oder nicht. Bestimmte Kenndaten innerhalb des Datenflusses lassen den Computer die Datenübertragung steuern: von einem Terminal in Datenbestände oder Verarbeitungsbereiche des Zentralcomputers oder zu einem, mehreren oder allen Terminals.

Es ist offensichtlich, daß per Standleitung nur eine begrenzte Anzahl Terminals mit einem Zentralcomputer verbunden sein kann.

Bei der Wählleitung besteht dagegen eine dauernde physische Verbindung zwischen Computer und Terminal nicht; der Computer kann somit auch nicht auswählen. Will ein Terminal Daten senden oder empfangen, so muß der Computer über das Telefonnetz angewählt werden - in Konkurrenz zu unbegrenzt vielen Terminals. Der Anruf (wenn nicht "besetzt") bewirkt einen Interrupt; der Computer meldet sich bereit. Erst in diesem Moment ist die physische Verbindung zwischen Terminal und Computer hergestellt. Über eine angeschlossene automatische Vermittlungseinrichtung kann selbstverständlich auch der Computer jedes Terminal "anrufen".

Diese grundlegenden Unterschiede zwischen Standleitung und Wälleitung haben vielfältige Konsequenzen, die wir hier nicht erörtern. Richten wir vielmehr den Blick auf die sich wandelnde Wirtschaftlichkeitsphilosophie in der automatischen Datenverarbeitung.

In unserem technisch-sozialen System gibt es nur wenige Geräte, die wir "ausnutzen". Einen Pkw fahren wir durchschnittlich während 4 Prozent seiner Lebensdauer; einen Tischrechner lassen wir zu 99 Prozent ungenutzt. Wir müssen allmählich einsehen, daß auch nicht ausgelastete Computer wirtschaftlich sein können. Zugegeben: Großcomputer arbeiten wirtschaftlicher als kleine Computer; aber MDT-Computer beispielsweise liefern DV-Kapazität dort und dann, wo und wann sie gebraucht wird, nämlich am Arbeitsplatz. Ein Rechenzentrum stellt die permanente Herausforderung, ausgelastet zu werden - anstatt bereit zu sein, Daten zu verarbeiten, wenn sie anfallen und wenn Informationen verlangt werden. Die Analogie zur Computerkapazität ist nicht das Elektrizitätswerk, sondern das elektrische Haushaltsgerät. Das gilt für die Mehrzahl der Aufgaben im Bereich der Büroarbeit.

Wählleitung statt Standleitung - dezentrale Datenverarbeitung ist wirtschaftlich, wenn sie flexibel ist. Der zentralisierte Computerverbund via Standleitung wird abgelöst durch den multiflexiblen Computerverbund, den der Benutzer nach Bedarf wählt.