Wachstumszwang ist eine Form der Sklaverei

27.05.1983

Schon heute fressen uns die Automaten mehr Arbeit aus der Hand, als vielen lieb ist. Andererseits schlagen wir die japanische Konkurrenz sicher nicht mit deutschem Fleiß, sondern nur durch noch mehr Rationalisierung. Betriebe, die zu wenig rationalisieren, können die hohen Lohnkosten nicht tragen. Daran sind in den letzten Jahren sehr viele Betriebe gescheitert. Arbeitslosenheerführer Stingl meinte kürzlich, wenn wir den Computer abschaffen würden, hätten wir zwar augenblicklich die Vollbeschäftigung - aber in kurzer Zeit ein Vielfaches der heutigen Arbeitslosenzahl.

Wir müssen uns die Roboter zunutze machen, nicht zu Gegnern. Wenn mit ihrer Hilfe die Arbeitsstunde schneller produktiv wird, als unser Gesamtverbrauch wächst, nun gut, dann brauchen wir alle nicht mehr so lange zu arbeiten. Leider ist diese fundamentale Logik seit vielen Jahren sträflich mißachtet worden.

In den 50er Jahren ist das, was in jeder einzelnen Arbeitsstunde mehr herauskam, nicht so schnell gewachsen, wie das Gesamtergebnis aller Arbeitsstunden zusammen. Das war nur dadurch möglich, daß immer mehr Menschen beschäftigt wurden, nämlich viele Millionen Heimkehrer und Flüchtlinge, die allmählich von der Ausbildung und Umschulung in die produktive Beschäftigung kamen.

Irgendwann gegen Ende der 60er Jahre haben sich die langfristigen Trends gekreuzt. Von da ab wurde die Arbeitsstunde schneller produktiv, als die Summe aller Leistungen wuchs. Es wurde seit dieser Zeit im langfristigen Trend immer weniger Arbeit gebraucht, um das jeweilige Sozialprodukt herzustellen.

Aber was die Roboter uns in dieser Zeit an Arbeit abgenommen haben, ist durch die beschleunigte Senkung der individuellen Arbeitszeit zunächst sogar überkompensiert worden. Der langfristige Trend war noch dazu in den Jahren 1968 bis 1973 durch eine so kräftige Konjunkturwelle überlagert, daß die deutschen

Arbeitsstunden sogar zu knapp wurden. Ausgerechnet damals wurde auch die flexible Altersgrenze eingeführt und die wöchentliche Arbeitszeit um rund zweieinhalb Stunden gesenkt. Warum nicht später? Warum später nicht mehr? Was die Deutschen kürzer arbeiten, mußte durch Gastarbeiter ausgeglichen werden. Ihre Zahl wuchs in den fünf Jahren bis 1973 von einer Million auf 2,6 Millionen.

Zwei Jahre später hatten wir über eine Million Arbeitslose. Es wäre uns wohl einiges von dieser Arbeitslosigkeit erspart geblieben, wenn wir unser Sozialprodukt zuvor mit weniger fremder Hilfe erarbeitet hätten, selbst wenn es dann nicht so schnell gewachsen wäre.

Doch hinterher läßt sich's leicht reden. Damals ist allen

der Fehler unterlaufen, eine gute Konjunkturlage mit dem langfristigen Trend zu verwechseln. Wer das dagegen auch später noch tat oder wer gar heute noch glaubt, die Arbeitslosigkeit sei nur auf eine vorübergehende Wirtschaftsschwäche zurückzuführen und daher mit konjunkturanregenden Mitteln zu beseitigen und zwischenzeitlich durch Beschäftigungsprogramme zu

überbrücken, der beharrt auf einem törichten Irrtum.

Aber viele glauben das auch nicht allein, sondern sie suchen die Schuld bei der schlechter gewordenen Wirtschaftsstruktur: Wenn die Wirtschaft nur wieder an die veränderten Rohstoff-, Energie- und Absatzmärkte angepaßt sei, dann laufe alles wie glatt, und damit komme dann auch der Arbeitsmarkt allmählich wieder ins Gleichgewicht.

Das ist Irrtum Nummer zwei, denn eine bessere Wirtschaftsstruktur - so wünschenswert sie ist - erhöht eben gerade die Produktivität der Arbeit. Wir werden dann zwar konkurrenzfähiger mit dem Ausland, können mehr verkaufen und unsere Leistungsbilanz verbessern, es kommt kaufkräftige Nachfrage herein, die Konjunktur belebt sich, die Wirtschaft wächst. Das ist schon richtig. Aber es erscheint ganz aussichtslos, allein mit dem Wachstum, das durch eine rationellere Produktion zustande kommt, den deutschen Arbeitsmarkt mehr als nur geringfügig zu entlasten. Auf der Rückseite dieser Export- und Investitionswelle müßten sogar viel mehr Arbeitslose an den Strand gespült werden, denn der Nachfrageeffekt der Investition verpufft, aber die Kapazität bleibt.

Diesen Burschen kommen wir nicht bei, solange wir sie den Takt bestimmen lassen, nach dem wir leben sollen. Das muß endlich aufhören. Nur weil sie immer schneller produzieren können, dürfen wir uns nicht zum ständigen Mehrverbrauch zwingen lassen - oder zu ewiger Arbeitslosigkeit. Ein Autofahrer muß ja auch nicht immer so schnell fahren, wie sein Motor es erlaubt. Umgekehrt muß auch der Motor nicht stottern, wenn der Autofahrer bremst. Autos haben eine Kupplung und eine Gangschaltung, Volkswirtschaften noch nicht. Autos können unabhängig von der Drehzahl ihres Motors langsam fahren, Volkswirtschaften noch nicht. Volkswirtschaften sind viel rückständiger als die Autos, die sie produzieren.

Deshalb müssen sie sich in zauberlehrlingshafter Verzweiflung nach dem technischen Fortschritt richten. Entweder werden die Mikroprozessoren zu ihren Herzschrittmachern und jagen ihnen den Puls immer höher. Oder sie halten damit nicht Schritt: Dann ist Krise und die Arbeitsplätze gehen verloren.

Abdruck eines Kapitels aus dem Buch der Autorin "Arbeitslosigkeit ist heilbar" (Seite 56ff). Kösel-Verlag

München, 1983, ISBN 3-466-1103-0, Preis 29 Mark.