VW strukturiert Konzern-IT um

15.10.2004
Der neue VW-CIO Klaus-Hardy Mühleck erklärte im Gespräch mit den CW-Redakteuren Robert Gammel und Wolfgang Herrmann wie er die IT des Automobilkonzerns künftig aufstellen will.

CW Sie sind seit 2001 CIO bei Audi. Was war in diesem Zeitraum Ihr wichtigstes Projekt?

Mühleck Wir haben viele SAP-Projekte zum Laufen gebracht. So konnten wir den Bereich Finanzen und Controlling bei Audi konsolidieren. Daran waren auch Standorte außerhalb Deutschlands beteiligt, beispielsweise Ungarn. Das SAP-System diente auch als Plattform für die Prozess-Reorganisation im Finanz- und Rechnungswesen. Dasselbe gilt für das SAP-HR-Projekt, in dessen Rahmen die Personalprozesse komplett erneuert wurden.

CW Wurden die SAP-Systeme neu aufgesetzt, oder haben Sie bestehende Lösungen konsolidiert?

Mühleck : Sowohl die Softwaresysteme als auch die Prozesse wurden neu aufgesetzt. Beim Prozess-Redesign haben wir darauf geachtet, den SAP-Standard so wenig wie möglich zu verändern. Über ABAPs wurden zwar einige Anpassungen vorgenommen, im Kernel haben wir jedoch nichts verändert.

CW Inwieweit haben Sie auch auf Geschäftsprozesse Einfluss genommen?

Mühleck Zu den klassischen IT-Projekten - das sind bei der Audi-Markengruppe rund 300 pro Jahr - kamen die Organisationsprojekte hinzu. So haben wir in zahlreichen Prozessprojekten die wichtigen Wertschöpfungsketten wie die Kundenauftragsabwicklung untersucht. Dazu zählt auch die Vernetzung innerhalb der Markengruppe Audi, also Audi, Seat und Lamborghini. Meiner Organisation oblag auch die Projektleitung zur Einführung der Konzern-Prozesse in unserem chinesischen Werk in Changchun. Dort hat der Konzern ein Joint Venture mit dem größten chinesischen Automobilproduzenten FAW abgeschlossen. Wir produzieren in diesem Werk nicht nur mehrere Volkswagen-, sondern auch Audi-Modelle. Um die Kosten zu reduzieren, haben wir dort die Systeme abgelöst und durch VW-Standards ersetzt.

CW Wie haben Sie die IT-Organisation selbst verändert?

Mühleck Parallel zur Tagesarbeit haben wir den IT-Bereich weiterentwickelt. Früher gab es IT-Mannschaften für die klassischen Bereiche Entwicklung, Produktion oder Vertrieb. Diese haben wir aufgelöst und horizontal ausgerichtet. Heute arbeiten wir im IT-Bereich mit so genannten Fachkompetenzfeldern, zum Beispiel für die Themen Virtual Reality, Order-to-Delivery und Händler-Management, sowie mit IT-Kompetenzfeldern. Insgesamt gibt es rund 25 Competence-Cluster, die als Frontend zum Kunden dessen Sprache sprechen, aber auch in die reinen IT-Organisationen hinein vermitteln können.

CW Ist diese Struktur bereits konzernweit eingeführt?

Mühleck Die Struktur haben wir konzernweit verabschiedet, wir sind jedoch die Ersten die sie bereits umgesetzt haben. Bei Volkswagen ist sie in Vorbereitung. Sowohl die Fach- als auch die IT-Kompetenz-Cluster werden wir künftig konzernweit vernetzen. Daneben sollen auch die Bereiche Anwendungs- und Infrastruktur-Management horizontal aufgebaut werden.

CW Welche IT-Bereiche werden zentral, welche dezentral organisiert und verantwortet?

Mühleck Wir haben immer versucht, hier eine gesunde Balance zu finden. So ist beispielsweise Volkswagen der einzige Autohersteller, der seine verschiedenen Marken und Bereiche weltweit mit einer Stückliste bedient. Die haben wir jedoch nicht zentralisiert. Anstatt einen Stücklisten-Riesen mit schlechter Performance aus ihr zu machen, ist sie immer ein Teil der lokalen Systeme. Derzeit arbeiten wir in dem Projekt "TI Synchro" an der Einführung einer neuen, regelbasierenden Stückliste. Sie erlaubt einzelnen Abteilungen, ihre jeweils spezifische Sicht abzuleiten.

Wir wollen also keine stupide Zentralisierung und Einheitslösungen, die dann nicht für einzelne Märkte, Marken oder Regionen passen. Andererseits möchten wir vermeiden, dass jeder macht was ihm passt. Es geht also darum, zentral gemeinsame Leitlinien und Entscheidungen zu verabschieden und diese dezentral umzusetzen.

CW Welches Gremium berät über die zentralen Strategien und Entscheidungen?

Mühleck Wir sind einer der ganz wenigen Automobilhersteller, der neben einem Vorstandsausschuss für Produkte und Investitionen auch einen für IT und Prozesse hat. Dort werden die Leitplanken im Konzern gesetzt, an denen sich die Marken und Regionen ausrichten. Sehr hilfreich war das Gremium beispielsweise für die Entscheidung, in China den Konzernstandard einzuführen, weil dort mehrere Marken und alle Fachbereiche mitwirken mussten.

CW Wie wird sich IT-Governance künftig ändern?

Mühleck Dieter Schacher und ich haben die Strukturen der CIO-Organisation gemeinsam während der vergangenen eineinhalb Jahre entwickelt, und mit meinem Wechsel wird natürlich die Umsetzung weitergehen. So planen wir, ein duales Führungsprinzip einzuführen: Alle CIOs im Konzern werden dann an ihre lokalen Vorstände und an mich berichten.

CW Konzernweit läuft seit Anfang des Jahres das Sparprogramm "ForMotion". Gab es angesichts der zuletzt enttäuschenden Geschäftszahlen eine Verschärfung der Sparziele?

Mühleck Wir hatten schon vorher sehr straffe Vorgaben, die auch im Vorstandsausschuss verabschiedet wurden. Durch ForMotion haben sie noch einmal Nachdruck bekommen.

CW Das bedeutet doch sicher auch eine Verschärfung in einigen Bereichen.

Mühleck Es bedeutet, dass wir die Ziele zu 100 Prozent erreichen müssen, und zwar in kürzerer Zeit als bisher geplant.

CW Welche IT-Bereiche sind davon betroffen?

Mühleck Unter anderem die Infrastruktur oder unsere gemeinsamen Standardisierungsprojekte. Wenn wir beispielsweise im Vertrieb der Landesgesellschaften auf moderne Templates setzen oder auf Web-Architekturen für die Importeure, dann ist der Standardisierungsdruck mit ForMotion noch sehr viel größer geworden. Das hilft uns aber auch: Wir können diese Aufgaben jetzt schneller und mit weniger Abstimmungsaufwand bewältigen.

CW Wie wird sich das IT-Budget im nächsten Jahr entwickeln?

Mühleck Wir haben unsere IT-Budgets sehr stringent gemanagt. Deshalb haben wir heute ein IT-Budget von deutlich unter einem Prozent des Umsatzes. Wir fühlen uns damit als Benchmark in der Automobilindustrie. Der Durchschnitt liegt bei 1,4 bis 1,5 Prozent. Eine weitere Verschärfung kann ich mir heute nicht vorstellen.

CW Das heißt, der Anteil des IT-Budgets kann nicht weiter sinken?

Mühleck Nein, denn wir arbeiten im Rahmen von ForMotion gleichzeitig massiv an neuen Projekten, die auch mit IT und Prozessarbeit unterfüttert werden. Man kann nicht mehr Projekte stemmen und dabei die Budgets noch weiter drücken.

CW Durchschnittlich 80 Prozent der IT-Kosten entstehen im operationalen IT-Betrieb. Wenn man die Infrastrukturkosten senkt, werden zusätzliche Mittel für andere Projekte frei.

Mühleck Richtig. Wir haben beispielsweise unsere MVS-Großrechner nach Spanien verlagert und mit denen von Seat verheiratet. Allein durch diese Maßnahme erzielen wir Einsparungen in Millionenhöhe. Insgesamt betreiben wir weltweit über 30 Rechenzentren, die wir auf sieben bis zehn Standorte konsolidieren werden. Das ist bereits vom Konzern verabschiedet, die Arbeiten laufen.

CW Sie wollen auch Unix-Plattformen konsolidieren. Was haben Sie konkret vor?

Mühleck Wir haben heute noch fast alle Unix-Derivate im Einsatz, von Solaris über HP-UX bis AIX - die ganze Palette. Wir wollen künftig zwar keine One-Vendor-Strategie fahren, streben aber eine duale Plattform an. Das heißt, wir werden uns auf zwei dieser Anbieter zurückziehen und nicht alles zulassen. Außerdem werden wir das ganze Storage-Management noch einmal überprüfen.

CW Welche Pläne verfolgen Sie im Desktop-Bereich?

Mühleck Wir haben die Client-Installationen bei Audi sehr stark standardisiert.

CW Auf welcher Plattform?

Mühleck Wir arbeiten hier mit Microsoft -Produkten, meist mit Windows 2000. Windows XP testen wir derzeit in Pilotprojekten. Wir stehen vor einer Migration, verhandeln derzeit aber noch mit Microsoft, was die gemeinsame Zukunft unserer Unternehmen angeht.

CW Ist Linux auch auf dem Desktop eine Alternative?

Mühleck Wir prüfen das ernsthaft. Zum Beispiel arbeiten wir bei Europcar weltweit mit einer sehr erfolgreichen Linux-Implementierung - sowohl im Server- als auch im Client-Bereich. Daneben testen wir Linux in einigen Pilotprojekten.

CW Viele Unternehmen versuchen, mit Hilfe von Outsourcing Kosten zu senken. Wie hoch taxieren Sie das Sparpotenzial bei Audi?

Mühleck Wir schätzen, dass wir damit im Infrastrukturbereich jährlich zirka zehn Prozent sparen können. Allerdings werden diese Summen durch steigende Anforderungen unserer internen Kunden wieder verbraucht. Das Wachstum an Mailboxen etwa oder die Zunahme der in Anspruch genommenen Rechnerleistung bewegt sich in einem ähnlich hohen Bereich. Wenn wir noch mehr sparen wollten, müssten wir radikaler vorgehen, was wir teilweise tun.

CW Wie?

Mühleck Indem wir beispielsweise konzernweit die Plattformen konsolidieren. Ich glaube aber nicht, dass sich durch stupides Outsourcing, etwa durch Auslagern der kompletten IT-Infrastruktur an externe Partner, mehr Geld einsparen lässt als mit einem intelligenten Management dieser Ressourcen.

CW Was verstehen Sie darunter?

Mühleck Wenn man eine komplette Einheit einem einzigen Anbieter überträgt, gibt es keinen Wettbewerb mehr. Bei solchen Projekten wird häufig nicht nach Großrechnerplattformen, Unix-Servern oder Clients differenziert. Unseren Helpdesk beispielsweise organisiert IBM. Die Client-Services leistet Siemens Business Services (SBS), und die Großrechner haben wir gemeinsam mit IBM konsolidiert. Über ein selektives Outtasking lässt sich eine bessere Kostenposition erreichen als durch ein Komplett-Outsourcing an einen einzelnen Dienstleister.

CW Welche Kompetenzen schreiben Sie Ihrer eigenen IT-Tochter Gedas im Vergleich zu externen Anbietern wie SBS oder CSC zu?

Mühleck Gedas kennt die Prozesse in der Automobilindustrie wesentlich besser als die großen Serviceanbieter. Darüber hinaus ist Gedas in der Lage, unseren Strategien im Zusammenhang mit dem Extended Enterprise gut zu folgen: Die Anbindung von Zulieferern oder Händlern funktioniert mit einer Gedas, die in unsere internen Prozesse eng eingebunden ist, wesentlich schneller und effizienter als mit einem externen Dienstleister.

CW Trotzdem: Brauchen Sie als Automobilkonzern überhaupt einen eigenen IT-Dienstleister?

Mühleck Wir haben diese Frage im VW-Konzern mit ja beantwortet. Entscheidend ist, dass man Gedas so positioniert, dass sie nicht alle Branchen abdeckt, sondern sich auf die Fertigungs- und die Automobilindustrie konzentriert.

CW Es gab mehrfach Gerüchte, dass Gedas ähnlich wie die Thyssen-Krupp-Tochter Triaton zum Verkauf stehe.

MÜHLECK: Nein, das steht nicht auf der Tagesordnung.

CW Das Thema Outsourcing wird zurzeit besonders kontrovers diskutiert. Einige Großunternehmen wie die US-Bank J.P. Morgan haben ausgelagerte Tätigkeiten wieder zurückgeholt. Gibt es auch bei Audi solche Überlegungen?

Mühleck Ja. Seit ich hier bin, haben wir mehr als 100 neue Arbeitsplätze geschaffen und damit den IT-Bereich massiv ausgebaut. Auch unsere Entwicklungsabteilungen sind dabei, Fremdleistungen in Eigenleistungen umzuwandeln, weil wir hier strategische Ressourcen sehen. Wir haben beispielsweise unsere Bereiche für Fahrzeugelektronik bei Audi wieder ins Haus geholt.

CW Was haben Sie konkret im IT-Bereich wieder eingegliedert?

Mühleck Als ich bei Audi anfing, waren viele externe Berater beschäftigt, die mit uns Projekte gemacht haben. Heute nehmen wir vieles selbst in die Hand. In einigen Fällen haben wir eigenes Personal etwa für Projekt-Management und Beratung qualifiziert. Zum Teil haben wir aber auch externe Berater, etwa von McKinsey oder A.T. Kearney eingestellt. Wir verantworten die Projekte jetzt selbst, und das Wissen bleibt im Haus.

CW Können Sie Beispiele nennen?

Mühleck Das betrifft unter anderem SAP-Projekte oder den Bereich Virtual Reality. Wenn Sie so wollen, haben wir Anbietern wie IBM, HP oder EDS einige Arbeit weggenommen. Nur so war es möglich, die Kosten zu drücken und gleichzeitig Mitarbeiter einzustellen.

Hier lesen Sie ...

- welche IT-Projekte Klaus-Hardy Mühleck bei Audi verantwortet hat;

- wie er dafür die Geschäftsprozesse überarbeitet hat;

- wie Mühleck die IT-Organisationsstruktur von Audi im Gesamtkonzern verankern will;

- welche Strategie Volkswagen beim Outsourcing verfolgt;

- wie das VW-Sparprogramm ForMotion auf den IT-Bereich durchschlägt.

Zukunftspläne

- Ablösung vertikaler IT-Strukturen in den Markengesellschaften;

- konzernweite Einführung horizontaler Competence-Cluster;

- duales Führungsprinzip: Alle CIOs im Konzern berichten an lokale Vorstände und den Konzern-CIO;

- Sparziele müssen in kürzerer Zeit erreicht werden als bisher geplant.

Zur Person

Zum 1. Oktober hat Klaus- Hardy Mühleck die Verantwortung für die konzernweite Organisation und die Informationstechnik der Volkswagen AG übernommen. Er folgt in dieser Position Dieter Schacher, der zum Jahresende nach 21 Jahren im Volkswagen-Konzern in den Ruhestand geht. Der 49-jährige Mühleck war seit Mitte 2001 als CIO der Audi-Markengruppe tätig. Davor bekleidete er verschiedene Positionen beim Konkurrenten Daimler-Chrysler AG, zuletzt als Mitglied des Direktoriums und CIO des Bereichs Automotive für alle Marken und Regionen des Stuttgarter Automobilkonzerns.