Autokonzern entwickelt Kapazitäts-Management-Projekt alleine weiter

VW plant für E-Cap vorerst ohne i2

26.04.2002
MÜNCHEN (rg) - Bislang hat der VW-Konzern rund 200 Lieferanten an das Kapazitäten-Management-System "E-Cap" angebunden. Für die nächste Ausbaustufe verzichtet der Autobauer auf die Dienste seines Softwarepartners i2 und setzt stattdessen auf eine Eigenentwicklung.

Die VW AG, Wolfsburg, geht unbeirrt ihren eigenen Weg weiter: Vor zwei Jahren entschied sich der Konzern gegen eine Teilnahme an Covisint, dem von General Motors, Ford und Daimler-Chrysler gegründeten elektronischen Marktplatz. Im vergangenen Oktober fasste VW stattdessen seine zuliefererseitigen E-Business-Aktivitäten unter dem Dach eines eigenen Marktplatzes zusammen und kann damit etliche Erfolge vorweisen (siehe Kasten "Marktplatz-Aktivitäten").

Schwierige VoraussetzungenNur eine Marktplatzkomponente, das ambitionierte Kapazitätsplanungssystem E-Cap, kämpft mit Problemen und Verzögerungen - nicht zuletzt wegen Schwierigkeiten mit der eingesetzten Software von i2 Technologies. Doch auch die VW-internen Strukturen haben zu den Problemen einiges beigetragen: "Wie in vielen Konzernen ist unsere Systemlandschaft nicht integriert, und wenn sie integriert ist, dann über Schnittstellen, die ihre Fehler und Ungereimtheiten haben", so eine konzerninterne Quelle. Wenn man sich heute eine Stückliste ansehe, könne man bestimmt viel darin lesen, ein Fahrzeug lasse sich damit aber nicht ohne weiteres bauen. "Unsere Systeme leben von den Köpfen, die dahinter stehen und die Daten zum richtigen Zeitpunkt wieder gerade rücken", so der Kritiker.

Die Erwartungen an E-Cap waren nicht gerade bescheiden: Das System soll die Konzernlogistik bei der Aufgabe unterstützen, die Versorgung mit plattformübergreifenden Teilen wie Motoren, Getriebe und Fahrwerkskomponenten sicherzustellen. "Da beispielsweise Audi und VW auf die gleichen Getriebe zurückgreifen, kann es in Zeiten hoher Nachfrage sehr schnell zu Engpässen kommen, und unsere Aufgabe ist es, dies zu vermeiden", fasst Georg Richartz, Leiter Konzernprogrammplanung und Kapazitäts-Management, die Aufgaben des Systems zusammen.

Auf Grund der strategischen Bedeutung beschäftigt sich Volkswagen bereits seit 1995 intensiv mit dem Thema Kapazitäten-Management und hatte zu diesem Zeitpunkt begonnen, mit "Parts" und "Plasa" (= Planungssystem Aggregate) zwei Backend-Systeme für die Zusammenführung der konzernweiten Bedarfe aufzubauen. Laut Richartz wurden diese Legacy-Systeme seitdem konsequent weiterentwickelt und dienen als Datenquelle für E-Cap, das die Lieferanten mit Bedarfsinformationen und VW mit Kapazitätsaussagen der Zulieferer versorgt.

Abgleich von Bedarf und KapazitätenBei der Umsetzung entschied sich der Automobilkonzern im Frühjahr 2000 für IBM und i2 Technologies als strategische IT-Partner. Analog zur i2-Philosophie unterteilte VW das Projekt in kleinere, in sich geschlossene Abschnitte mit definierten Zielen, die "Business Releases". Mit einiger Verspätung nahm der Konzern im September 2000 das Business Release 1 in Betrieb. In dieser Pilotphase waren die Marken VW, VW-Nutzfahrzeuge und Audi beteiligt. "Das lag nahe, weil diese im Wesentlichen auf die gleichen Legacy-Systeme zurückgreifen", so Richartz. Damit habe der Automobilkonzern 25 Lieferanten anbinden können.

Das i2-Tool übernimmt dabei die Aufgabe, Bedarfe und Kapazitäten abzugleichen. Zeichnet sich ein möglicher Lieferengpass ab, signalisieren gelbe und rote Flaggen den Handlungsbedarf. Dabei sind die verschiedenen Problemtypen mit entsprechenden Workflows hinterlegt, die das weitere Prozedere anstoßen. "Sowohl der Lieferant als auch unsere Logistiker und Beschaffer wissen dann sofort, was zu tun ist", erläutert Richartz das Konzept.

Adi Stahuber, i2-Vice-President für Zentraleuropa, will die eingesetzte Lösung deshalb nicht als reines Frontend verstanden wissen. Es handle sich dabei vielmehr um ein Problemlösungswerkzeug, das intelligente Algorithmen für die Vermeidung von Lieferengpässen und zur Planungssimulation enthalte.

Beteiligte unterschätzen KomplexitätAls die Weiterentwicklung des Systems anstand, hatten VW und i2 mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Insiderberichten zufolge sei das Konzept im Laborumfeld zwar logisch und tragfähig gewesen, im Produktionsumfeld habe die Komplexität aufgrund der enormen Stücklistenauflösung und der hohen Anzahl von Zulieferern so zugenommen, dass sich die Performance als Nadelöhr erwiesen habe. Das Business Release 2 konnte erst mit einer Verzögerung von über sechs Monaten in Betrieb genommen werden. Bei der Zusammenarbeit mit i2 habe es Reibereien gegeben, man habe sich aber zusammengerauft, so Richartz: "Beide Seiten mussten in den vergangenen zwei Jahren dazu lernen. Das ist auf Grund der enormen Varianz und Teilevielfalt vollkommen normal."

In diesen beiden Faktoren sieht auch Stahuber die Quelle der Schwierigkeiten: "Alle Beteiligten haben die Komplexität des Projekts anfänglich unterschätzt." Im Vergleich beispielsweise zur Computerbranche habe man es mit wesentlich mehr Lieferanten sowie deutlich umfangreicheren Stücklisten und Variantenzahlen zu tun. Die Struktur der i2-Software habe daher entsprechend modifiziert werden müssen, wodurch die Komplexität des gesamten Projekts stark zugenommen habe.

Auch Michael Denecke, E-Cap-Projektleiter der Volkswagen AG, räumt Schwierigkeiten ein. Das Frontend sei über den i2-Connector "TM Link" mit den Backend-Systemen Parts und Plasa verbunden worden. "Die Handhabung der Schnittstelle war nicht einfach, aber letztendlich haben wir das Problem gelöst."

Die für das Business Release 2 eingesetzte i2-Lösung erstreckt sich über drei Ebenen: Die Planungsfunktionen sind in der Applikation "Capacity Collaboration Planner" angesiedelt. Die zweite Schicht, genannt "Business Process Intelligence" (BPI), ermöglicht die Darstellung von unterschiedlichen Geschäftsszenarien; die dritte Ebene, "Common Integration Services" (CIS), erfüllt die Aufgaben einer Middleware, wobei rund 80 Prozent der darin genutzten Algorithmen von bekannten EAI-Anbietern wie IBM ("Webshpere") stammen.

Mittlerweile hat VW bereits 223 Lieferanten geschult und über E-Cap angebunden. Das entspricht einer Größenordnung von rund 4000 Teilen, Teilegruppen und "Plasa-Keys". Laut Richartz ist der Konzern jetzt in der Lage, den kurzfristigen Planungshorizont für die operative Kapazitätssteuerung bis zu 26 Wochen und die programmorientierte Kapazitätssicherung für einen Zeitraum bis zu 24 Monaten abzudecken: "Damit erhalten Lieferanten erstmals Bedarfsinformationen über den Sechsmonatshorizont hinaus." VW profitiere davon, weil das Unternehmen umgekehrt von den Zulieferern online aktuelle Kapazitätsaussagen bekomme.

Eigenentwicklung soll Mitte 2002 startenMit den bereits zugeschalteten Lieferanten sind die Möglichkeiten des auf 200 Zulieferer zugeschnittenen Business Release 2 allerdings weitgehend ausgereizt. Trotz der bisherigen Schwierigkeiten verfolgt VW weiterhin sportliche Ziele: Mit dem Business Release 3, das Mitte dieses Jahres starten soll, will das Unternehmen bis Ende Dezember 2002 insgesamt 500 Lieferanten zuschalten. Außerdem sollen damit auch die Marken Seat und Skoda sowie die Standorte Mexiko, Brasilien und Argentinien einbezogen werden. Neben der Erweiterung des Nutzerkreises stehen noch andere Aspekte auf der Agenda: "Bei den Themen Funktionalitäten, Bedienerfreundlichkeit und Antwortzeiten werden wir mit dem Business Release 3 einen großen Sprung nach vorn machen," gibt sich Richartz zuversichtlich.

Die IT-Partnerschaft mit i2 will VW aber vorerst auf Eis legen: "Wir sind mit i2 übereingekommen, Business Release 3 auf Basis einer Eigenentwicklung zu realisieren," fasst Richartz den aktuellen Stand zusammen. Man habe das Projekt bewusst in einzelne Stufen aufgeteilt, um nach jedem Business Release entscheiden zu können, wie es weitergehen solle. Dies sei auch mit i2 von Anfang an so verabredet gewesen.

i2 hofft noch, mit dieser Entscheidung nicht endgültig aus dem Rennen zu sein. Laut Stahuber werde man auch in Zukunft weiter zusammenarbeiten. Außerdem verweist der Zentraleuropa-Chef darauf, dass die in Business Release 1 und 2 erarbeiteten Konzepte und Prozesse von VW als Basis für die Weiterentwicklung genutzt würden. Auch Richartz will sich noch nicht endgültig festlegen: "Wir haben offen gelassen, ob wir für das Business Release 4 wieder intensiver mit i2 zusammengehen. Das hängt auch von den Erfahrungen ab, die wir mit unserer Eigenentwicklung machen werden. Die entsprechenden Entscheidungsgremien werden zu gegebener Zeit entscheiden, wie es mit dem Projekt weitergeht."

Für die bereits angebundenen Zulieferer wird sich technisch durch das Business Release 3 wohl nichts ändern. Im Mai soll mit entsprechenden Nachschulungen begonnen werden. Die zusätzlichen Lieferanten will VW nicht wie bisher im Haus, sondern über ein E-Learning-System einweisen, da das herkömmliche Verfahren kaum die hohe Anzahl bewältigen könne.

Marktplatz-AktivitätenNeben E-Cap hat VW drei weitere E-Business-Projekte auf seinem Marktplatz VW Group-Supply.com zusammengeführt: Das Online-Anfragesystem ESL wurde bisher von 5500 integrierten Lieferanten genutzt. Die darüber abgewickelten 250000 Anfragen entsprechen einem Beschaffungsvolumen von mehr als 50 Milliarden Euro. Ferner können 6000 interne Nutzer über den VW-Online-Katalog auf rund 360000 Artikel von 200 Zulieferern zugreifen. Auch das System für Online-Verhandlungen und -Auktionen wird eifrig genutzt: Bei über 600 Abschlüssen via Internet setze VW mit 4000 Lieferanten rund 12 Milliarden Euro um.