Neue Marketingstrategie des Hardware- und Betriebssystemanbieters IBM:

VSE läuft prinzipiell auch auf der 3090

28.07.1989

MÜNCHEN (CW) - Gute Nachrichten für DOS/VSE-Anwender: In Kürze soll das bislang auf die 43xx und 9370 beschränkte IBM-Betriebssystem auch auf den Low-end-Modellen der 3090-Serie laufen - sofern diese den Zusatz E oder S im Namen fuhren. Darauf, welche Rolle VSE in Ihrer SAA-Strategie spielt, will die IBM sich allerdings noch nicht festlegen.

Das von Marktbeobachtern bereits totgesagte Betriebssystem erlebt derzeit eine Renaissance: Es wird nicht nur weiter gepflegt, sondern auch weiter entwickelt sowie für neue Hardwareplattformen verfügbar gemacht.

Erst kürzlich hatte die IBM das Release VSE/SP 3.2 sowie eine Reihe von Neuerungen angekündigt, mit denen sie die offensichtlichen Schwächen des Systems beheben werde: So stellte der Hersteller seiner Klientel binnen eineinhalb Jahren 31-Bit-Adressierung und beschleunigte I/O-Funktionen durch direkten Speicherzugriff in Aussicht (vergleiche CW Nr. 28 vom 7. Juli 1989, Seite 4: IBM kündigt neue VSE-Versionen an").

Auf die Einbindung von VSE in das hauseigene Portabilitätskonzept SAA angesprochen, hält sich die Stuttgarter Deutschland-Zentrale recht bedeckt: Zur Zeit habe DOS/VSE den Rang einer SAA-Sekundärumgebung. Demzufolge sei der DOS/VSE-Anwender in der Lage, "über Schnittstellen" auf die designierten SAA-Umgebungen OS/2, OS/400, VM/CMS und MVS/ESA zuzugreifen.

Hatte der Branchenprimus bislang versucht, seine VSE-Kunden mit Hilfe von zeitlich begrenzten Lizenzverzichten auf den MVS-Pfad zu locken, so bietet er ihnen jetzt an, das "Betriebssystem für mittlere Systeme" (IBM-Diktion) auch auf den E- und S-Modellen am unteren Ende der Serie 3090 zu fahren.

Mit der neuen VSE/SP-Version kann der Anwender die Hardware-Einrichtung Processor Ressource/Systems Manager (PR/SM) nutzen; und dieser Mikrocodezusatz dient dem Betriebssystem als Sprungbrett in die als "strategisch" qualifizierte 3090-Welt - auch ohne den Umweg über das "Super-Betriebssystem WM/XA. Wie die IDG-Publikation "Computerworld" von US-Anwendern erfuhr, ist es theoretisch sogar möglich, VSE native auf einer 3090 einzusetzen, zumindest auf den Einprozessor-Ausführungen.

Nach der 9370 jetzt die 3090 - offensichtlich ist das leicht angestaubte, aber weit verbreitete Betriebssystem immer noch gut, und den Absatz neuer Hardware zu fördern. Allerdings könnte sich Big Blue mit dieser Marketingstrategie ins eigene MVS-Fleisch schneiden: Schon munkeln die Anwender, das einen vernünftigen Grund gebe, warum

ein aufgebohrtes VSE nicht auch auf einer 3090-600S laufen sollte.

Die Absatzstrategen der IBM müssen sich daher beeilen, das Betriebsystem auf eine beschränkte Funktion innerhalb der unternehmensweiten Informationsverarbeitung festzulegen. Vieles deutet darauf hin, daß VSE nach dem Willen seines Schöpfers vor allein für Kommunikationsaufgaben eingesetzt werden soll auch wenn der britische Informationsdienst "Computergram" sich in diesem Zusammenhang die Frage erlaubt, welchen Markt dann noch das für dieselbe Rolle vorgesehene DPPX/370 habe.

Plausibel scheint diese Annahme jedoch vor allem im Hinblick darauf, daß IBM gerade eben die VSE-Version von CICS/DDM vorgestellt hat (siehe hierzu in CW Nr. 30, Seite 12: "verteilte Datenhaltung nun auch unter DOS/VSE"). Außerdem wurde für den März nächsten Jahres ein MVS/Central Node Administration Tool (MVS/CNAT) angekündigt, das dem MVS-Host beim Management von, Rechnerknoten unter VSE/SP 3.1 oder 3.2 assistieren soll.