Vorwurf an IBMs Adresse: Kontrolle via Hardware

09.08.1991

MÜNCHEN/HAWAII - Wann immer Vertreter der amerikanischen Computer Dealers and Lessors Association (CDLA) mit IBM-Verantwortlichen zusammentreffen, beginnen besondere Regeln der Kommunikation zu gelten: Einigkeit wird betont in einzelnen - meist einfach zu klärenden - Fragen; Differenzen werden nicht ausgesprochen, sondern zeigen sich eher daran, worüber nicht geredet wird.

CW-Bericht, Heinrich Seeger

... die Mutter ist immer dabei

Big Blue in der Rolle der Mutter oder als böse Schwiegermutter? Die Frage beantwortet nebenstehender Cartoon eindeutig. Wessen Schwiegermutter hier gemeint ist, die der Braut oder die des Bräutigams, ist völlig nebensächlich. Sie handelt weder in seinem (Leasinggeber) noch in ihrem (Leasingnehmer) Interesse.

Risiko Marathon

Solange der Preiswettbewerb im DV-Leasingmarkt nicht in einen radikalen Shake-out unter den Anbietern mündet, kann sich die Kundschaft die Hände reiben. Die Unabhängigen legen sich ins Zeug, genauer und billiger als alle anderen den Kundenwünschen entgegenzukommen. Bevorzugte Argumente dabei: größere Flexibilität bei inzwischen mindestens ebenso gutem Service wie dem von der IBM-Tochter ICC oder anderen herstellergebundenen Leasinggebern.

Den Kunden hingegen ist immer noch das am wichtigsten, was ihnen die Anbieter nur unter dem zunehmenden Wettbewerbsdruck gewähren: Finanzierungsangebote, die immer noch ein bißchen günstiger sind als die der Konkurrenz. Weil die Leasingraten und -laufzeiten nur in Grenzen variiert werden können, stürzen sich die Anbieter in immer höhere Restwertrisiken - und fallen dabei immer tiefer. Aus Broker-Kreisen hört man alarmierende Zahlen: Eine 3090-20E, im Juni 1990 mit einem Restwert für Juli dieses Jahres von gut 1,3 Millionen Mark angesetzt, bringt tatsächlich noch 800 000 Mark. Bei einer 3090-20J verschmitzte sich der Leasinggeber zwar um einen geringeren Prozentsatz, aber einen höheren absoluten Wert: Der Annahme von 3,3 Millionen steht ein tatsächlicher Marktwert von 2,7 Millionen Mark gegenüber. Da trösten auch Unterschätzungen von Restwerten wenig, wie sie bei Speicherplatten und Controllern vorkommen: Ein 3990-GO3-Controller bringt zur Zeit 260 000 statt geschätzten

177 000 Mark. Die Differenzen sind kaum geeignet, Verluste aus den CPU-Übernahmen auszugleichen.

Gut soweit für die Anwender, nur: Je weniger Leasinganbieter diesen mörderischen Markt-Marathon durchhalten, desto kleiner wird die Zahl der Alternativen. Das Monopol-Szenario, das die Unabhängigen-Verbände entwerfen, kann zwar keinen Anspruch auf Gültigkeit als exakte Prognose erheben - ein Leasingmarkt jedoch, der ausschließlich aus Anbietern mit Milliardenumsätzen und entsprechender Potenz bei der Kapitalbeschaffung und Refinanzierung besteht, reicht bestimmt nicht in jede Bedarfsnische hinein. Die Kunden hätten dann vielleicht das Doppelte und Dreifache von dem zu zahlen, was sie gegenwärtig sparen können.

Diesen Eindruck jedenfalls gewinnt man aus den Berichten von CDLA-Vertretern über ihre immer frustrierenderen Versuche, mit dem Hardware-Marktführer übers Geschäft und seine Grundlagen zu reden. Eines der wichtigsten dieser umstrittenen Themen ist das des Microcode, also der Verfügbarkeit interner Maschinencodes für Mainframe- und Midrange-Systeme der IBM - zu einem akzeptablen Preis. Die IBM sieht ihre internen Maschinencodes als geistiges Eigentum an und hat dabei die Zustimmung der Gerichte. Die Armonker dürfen jedoch nicht, so die jüngste gerichtliche Entscheidung in diesem Zusammenhang, durch ihren Microcode-Besitz Wettbewerb verhindern.

Genau das tut der Hardwareriese jedoch in den Augen der Leasing- und Engineering-Unternehmen, indem er nämlich für Microcode-Kopien, die zum Splitting einer größeren in zwei kleinere Maschinen notwendig sind, unangemessen hohe Gebühren berechnet. Die werden von den Independent-Anbietern natürlich an die Kundschaft weitergegeben, was Ken Bouldin, Geschäftsführer von CDLA, schließen läßt: "Schon seit Jahren gehen wir davon aus, daß die Microcode-Frage weniger die Leasing- oder Remarketing-Branche betrifft als die Anwender". Durch eine erfolgreiche Beschränkung des Gebrauchs interner Maschinencodes, so der CDLA-Mann, hätte im Endeffekt IBM den Schlüssel zur Kontrolle des gesamten Marktes in der Hand.

Nur das geistige Eigentum schützen

Die knappe Erwiderung des derart angegriffenen Mainframers beschränkt sich auf die Feststellung, man wolle sein geistiges Eigentum schützen und einen fairen Ausgleich erhalten, wenn man es anderen zur Nutzung zur Verfügung stelle. Eine solche Position ist in ihrer Selbstverständlichkeit kaum angreifbar. Den Aktiven, sowohl im Markt als auch in den (europäischen wie amerikanischen) Verbänden fällt deshalb auch nichts anderes als die gebetsmühlenhafte Wiederholung der gerichtlichen Mahnung ein, nicht mit hohen Preisen für Microcode-Lizenzen "prohibitiv" zu agieren.

Wie CDLA-Repräsentant Joe Kelly berichtet, könne es durchaus vorkommen, daß IBM 50 000 Dollar für den Microcode einer AS/400 im Wert von 100 000 Dollar verlange. "Das Gespräch mit IBM ist sinnlos", resümierte Kelly schulterzuckend im Frühjahr dieses Jahres während der Verbandstagung auf der hawaiianischen Insel Kauai.

Zu dieser Sprachlosigkeit ist es im Gefolge der seit Januar dieses Jahres laufenden Klagen der IBM-Leasingtochter ICC gegen Comdisco, EMC und Cambex gekommen. Die letztere wurde inzwischen außergerichtlich beigelegt, nachdem Cambex zu dem Schluß gekommen war, es sei weniger schädlich für das Geschäft, einmal 5,9 Millionen Dollar hinzulegen, als durch den Makel einer Klage der IBM stigmatisiert zu sein. Die CDLA, die als Verband in den Gerichtsverfahren keine Position beziehen kann, ist auf den Dialog mit dem Armonker Hardwarelieferanten angewiesen; Big Blue seinerseits scheint jedoch gegenwärtig auf Gespräche verzichten zu können. Beklagt sich Kelly: "Sie sagen immer nur, daß sie tun, was sie tun müssen ."

So hat sich bei den Funktionären der US-Leasingvereinigung der Eindruck verfestigt, IBM handle nach einer "versteckten Agenda", wie Verbandsgeschäftsführer Bouldin bei jeder sich bietenden Gelegenheit ausdrückt.

Fluchtpunkt des Planes, argwöhnt der Ex-General, ist nichts anderes als das Streben nach Kundenkontrolle, nach Kontrolle also der Installationen".

Darüber besteht Einigkeit, und zwar über den amerikanischen Verband hinaus; auch die europäische Leasingorganisation European Computer Leasing und Trading Association (Eclat) kommt zu diesem Schluß. Weniger einheitlich ist das Bild der vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen .

Klar ist für alle Beteiligten, daß ein Ende des IBM-lndependent-Hickhacks allenfalls bessere Planungsgrundlagen für das Marktverhalten der Unabhängigen ermöglichen würde - eine davon unabhängige strategische Orientierung der Anbieter ist allemal unverzichtbar. Das heißt im wesentlichen, daß gerade die Unabhängigen, je nach ihrer Größe oder dem Zustand ihrer Potenz in Vertrieb und Marketing, sich entweder auf eine Angebotsnische konzentrieren oder international ausrichten müssen.

Vor zwei Jahren ging die Branche davon aus, daß nach Ablauf weiterer zwei oder drei Jahre der Markt eine neue Struktur mit wenigen großen und vielen kleinen, nischenorientierten Unternehmen aufweisen würde War der Markt anfangs vom Trend zu Zusammenschlüssen und Übernahmen gekennzeichnet, geht es inzwischen mehr um die auch anderweitig vielbesungenen "strategischen Partnerschaften". Bouldin nennt den Grund. "Die Durchdringung der Märkte ist eine sehr kostspielige Angelegenheit", vor allem, wenn man sie auf eigene Faust und im internationalen Rahmen betreibt. Reichte es früher, als reines Handelsunternehmen aufzutreten, erwarten die Anwender wegen der zunehmenden Komplexität ihrer Installationen inzwischen vom Systemlieferanten, daß er alle Implementationsphasen begleitet: von der Finanzierungsplanung über die

Beratung, die Hard- und Software-Installation sowie den Support bis zur Wiedervermarktung. Das dafür notwendige Know-how muß eingekauft oder durch Partnerschaften beschafft werden.

Das alles kann jedoch zu wenig sein, wenn Big Blue nicht mitspielt. Die Mehrheit in der CDLA, berichtet Bouldin, setzt mit eher seufzendem Unterton darauf, "daß es am besten über einen logischen und professionellen Dialog innerhalb des Business gehen wird" - wenn dieser nur möglich wäre. Weil jedoch eine substantielle Gesprächsbereitschaft von seiten der IBM nicht gegeben ist, greift Ratlosigkeit um sich: "Wir haben alles getan, was wir tun konnten. IBM hat alle Möglichkeiten einer Einigung zurückgewiesen", klagt Bouldin.

Erstmals vor Gericht: Ein IBM-Leasingkunde

Im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE hat er letztlich jedoch sehr wohl eine Erklärung für das Verhalten des Armonker Giganten anzubieten: Alle Aktionen im Zusammenhang mit der Finanzierung, Modifizierung und der Vermarktung von neuem wie gebrauchtem Equipment, also nicht nur die jüngsten Klagen, zielten nicht auf Comdisco oder irgendeinen anderen Wettbewerber, sondern auf den Kunden. Bisher von IBM immer zurückgewiesen, scheint diese Behauptung jüngst erhärtet worden zu sein: Die Klage der IBM gegen Comdisco wurde im Zuge der Neuvorlage bei einer höheren Instanz neu gefaßt. Jetzt geht es zwar nur noch um einen einzigen Fall, dafür findet sich jedoch auch der betreffende Kunde erstmals auf der Liste der Prozeßparteien: Computer Associates, einer der größten Entwickler von Software für die IBM-Welt, hat als Anwender einer 3090 diese Maschine von Comdisco aufrüsten lassen.

Alle anderen ursprünglich erhobenen Vorwürfe - nach Auskunft von Comdisco-Deutschland-Chef Thomas Flohr auch im Zusammenhang mit der Verletzung von Microcode - wurden in der neuen Klage fallengelassen (siehe auch den Beitrag dazu auf

Seite 32). Ob sich die IBM nun auf geringere Ziele beschränkt oder darauf setzt, das ihr vorgeworfene Streben nach Marktkontrolle mit der Konzentration auf einen besonders griffigen Fall erfolgreicher gestalten zu können, ist nicht klar. Den Armonkern zufolge geht es nach wie vor um das Gleiche: Eigentumsschutz.