IT-Arbeitsmarkt/Jahreszahlenumstellung läßt DV-Dienstleister schnelle Mark verdienen

Vorübergehende Renaissance für Cobol-Programmierer

29.11.1996

Die Jahrtausendwende entwickelt sich zur größten nicht kalkulierbaren Herausforderung für die IT-Branche. Das Problem ist die Jahreszahl, die in vielen Datenbeständen nur mit den letzten beiden Stellen gespeichert wurde. Programme mit zweistelligen Jahreszahlen werden aber die ab dem 1. Januar 2000 im Datumsfeld erscheinenden zwei Nullen nicht als 2000, sondern als 1900 interpretieren. Denn auf 99 wird 00 folgen, eine Zahl also, die kleiner ist als die erste. Mit anderen Worten: Die Software ist aufs nächste Jahrtausend nicht eingerichtet.

Die Ursache des Problems ist historischer Art. In den 70er und 80er Jahren waren Speicherplatz und Rechnerkapazität nicht nur extrem teuer, sondern vor allem knapp. Also nutzten die damaligen Programmierer jede Möglichkeit, Bytes zu sparen. Und eine davon bestand darin, sich statt der Schreibweise 19xx mit xx zu begnügen. Input-Geschäftsführer Frank Solbach: "Welcher Programmierer dachte denn damals daran, daß seine Cobol- oder Assembler-Programme 30 Jahre und mehr laufen würden?" Doch die Bescheidenheit alter Programmierartisten wird die Unternehmen jetzt so manche Million kosten.

Zum einen ist für die Neucodierung von geschäftskritischen Business-Applikationen keine Zeit mehr, zum anderen läßt sich ein solches Projekt nicht im Rahmen üblicher Wartungsarbeiten durchziehen. Allein für die Änderung der hauseigenen Programme ist enorme Manpower gefragt. Im Bereich Legacy-Systeme, mit Millionen von Codezeilen, müssen die Computerfachleute ebenfalls alles nach Datumsfeldern durchforsten. Für die Cobol- und Assembler-Programmierer bedeutet dies, daß sie plötzlich wieder zu gefragten Leuten werden.

Die amerikanischen IT-Verantwortlichen scheinen eher als ihre deutschen Kollegen zu ahnen, daß sie die "Year-2000-Projekte" ziemlich teuer zu stehen kommen werden. Laut einer Umfrage der CW-Schwesterpublikation "Computerworld" erwarten die Anwender große Kapazitätsengpässe und fürchten, daß viele Unternehmen bei der Umstellung auf sich selbst gestellt sein werden. Bereits heute würden DV-Anbieter die Annahme von Aufträgen teilweise ablehnen. Wer noch Hilfe erhalten wolle, müsse dafür tief in die Tasche greifen.

Die Gartner Group schätzt, daß die Honorare für Berater und Programmierer mit Blick auf die Arbeiten für die Jahrtausendwende ab kommendem Jahr zwischen 20 und 50 Prozent wachsen werden. Die Honorare freier Programmierer werden nach Ansicht der Gartner-Analysten geradezu rasant in die Höhe schnellen.

"Das gleiche gilt für deutsche Verhältnisse. Sowohl Cobol- als auch Assembler-Programmierer können gutes Geld verlangen", erklärt Günter Löffler, geschäftsführender Gesellschafter bei der Newplan Personalberatung und Vermittlung GmbH in München. So erhalte ein Cobol-Programmierer, der noch vor einem Jahr mit 100 Mark pro Stunde honoriert worden sei, heute bereits 140 Mark. Damit sei das Ende der Entwicklung noch längst nicht erreicht. Löffler: "Viele Unternehmen verdrängen doch nach wie vor das Umstellungsproblem. Wenn dann in zwei oder gar drei Jahren alle gleichzeitig aufwachen und durchstarten wollen, werden zahlreiche Betriebe eine böse Überraschung erleben. Der Markt wird komplett leergefegt sein." Aufgrund der großen Nachfrage suchen die Newplan-Vermittler schon heute händeringend nach Cobol- und Assembler-Programmierern.

"Nicht nur die Programmierer blicken lukrativen Zeiten entgegen", meint Input-Mann Solbach. Für die kommenden Jahre prognostiziert der deutsche Marktanalyst einen explodierenden Markt für Outsourcing, SAP-Dienstleistungen und Body-Shopping. Solbach: "Es wird nicht mehr lange dauern, bis hiesige DV-Dienstleister wie CSC Ploenzke, Debis oder SNI sich die besten Aufträge herauspicken können."

Er ist davon überzeugt, daß die Kapazitäten, selbst wenn Tausende von DV-Profis auf dem schnellsten Weg in Cobol und Assembler ausgebildet würden, bei weitem nicht ausreichen. Solbach: "Dann werden sich die Unternehmen nach ausländi-schen Programmierern umsehen müssen." Davon profitieren all diejenigen Anbieter, die in Asien oder in den osteuropäischen Ländern bereits über Tochterfirmen oder Kooperationspartner verfügen.

Anwender wollen eigenes Know-how nutzen

Noch sehen das die hiesigen Anwenderunternehmen anders. Sie wollen für die Jahreszahlenumstellung vorrangig das Know-how ihrer eigenen Leute nutzen. IT-Verantwortliche, die bereits an einer Lösung arbeiten, erklären unisono, daß es ihnen lieber ist, von dem Wissen und der Vertrautheit der Mitarbeiter mit den Systemen zu profitieren, als sich "Fremde" ins Haus zu holen. Zumal man mit internen Mitarbeitern sowohl Geld als auch Zeit spare. Demzufolge hielten sich DV-Chefs bei der Frage nach eventuellen Neueinstellungen oder verstärktem Body-Shopping äußerst bedeckt.

Michael Schäfer, beim Automobilbauer BMW als Leiter Standardsoftware für die Datumsumstellung zuständig, meint: "In Einzelfällen kann es möglich sein, daß wir zusätzliche Hilfe benötigen. Aber wir werden ganz sicher nicht Hunderte von Programmierern auf dem Markt einkaufen." Input-Mann Solbach erklärt das Dilemma: "Aufgrund des enormen Kostendrucks wird das Topmanagement der DV-Leitung mit großer Wahrscheinlichkeit auch gar keine weiteren Ressourcen zugestehen." Er bezweifelt indes, ob die eigenen Leute tatsächlich überall ausreichen werden. Schließlich beschäftigten sich die meisten Programmierer bereits mit anderen wichtigen internen Projekten.

Ulrich Fröde, Leiter des Sektors Special Projects im Bereich Professional Services und Chef des Kompetenzcenters "Year 2000" bei SNI, nennt einen weiteren Gesichtspunkt: "Bei unseren Gesprächen mit Kunden läuft es tatsächlich immer wieder auf das gleiche Resultat hinaus." Zwar seien die Unternehmen bereit, sich von einem DV-Dienstleister entsprechend beraten und unterstützen zu lassen, doch den Sourcecode wollten die IT-Verantwortlichen keinesfalls außer Haus geben.

Fröde ist sich sicher, daß die abwartende Haltung vieler IT-Führungskräfte darin begründet liegt, daß diese das Problem nach wie vor unterschätzen. Fröde: "Mal sehen, wie groß der Druck in den nächsten zwei, drei Jahren sein wird und wer dann alles nach Hilfe ruft." Sollten die Aufträge irgendwann über SNI hereinbrechen, werde man selbstverständlich die schon bestehen- den Kontakte zu ausländischen Partnern und vor allem der indischen Tochterfirma Siemens Information Systems Limited (Sisl) nutzen.

Es gibt noch genügend Cobol-Programmierer

Dagegen warnt Arnd Pähling von CSC-Ploenzke vor allzu großer Panikmache: "Ich bin sicher, es gibt hierzulande noch genügend Cobol- und Assembler-Programmierer." Der Ploenzke-Berater rät Anwendern, nicht hektisch auf dem Markt nach irgendeinem Programmierer zu suchen, "bloß weil man ein Datumsproblem hat". Sollte es jedoch mit dem Personal so eng werden, daß das Unternehmen sich Fremdprogrammierer ins Haus holen müsse, seien diese auf jeden Fall in die eigene Mannschaft einzubinden.

Daß Betriebe vor allem aufgrund von Presseberichten bei einem DV-Dienstleister diverse "Blindbuchungen" für Programmierer durchführen, hält er auf jeden Fall für übertrieben.

Die beste Lösung für die Anwender ist es seiner Meinung nach, die mit den Systemen bestens vertrauten DV-Oldies einzusetzen. Doch das ist gar nicht so einfach. Pähling: "Viele von ihnen befinden sich inzwischen im Vorruhestand. Und jetzt verbieten entweder spezielle Abfindungsabmachungen einen zusätzlichen Verdienst, oder sie haben keine Lust mehr."

Von den inzwischen in anderen Bereichen oder Unternehmen untergekommenen "Zwölfendern" könne wohl kaum mehr verlangt werden, wieder zu programmieren.

Josef Kisting, Leiter des Kompetenzzentrums "Kalenderjahr 2000" bei der Daimler-Tochter Debis, schlägt einen Mix aus allen möglichen Optionen vor. Jede für sich allein, fürchtet er, ist mit zu vielen Problemen behaftet. Kisting: "Nehmen wir beispielsweise die Suche nach ausländischen Programmierern. Da der Druck auf die Unternehmen weltweit gleich groß ist, werden die DV-Profis im Grunde doch nur hin und her geschoben." Die alternative Möglichkeit, schnellstens Mitarbeiter auszubilden, werfe wiederum die Frage auf, ob sich diese Investition für die Unternehmen überhaupt lohne. Schließlich müßten alle Umstellungsprojekte bis zur Jahrtausendwende erledigt sein. Der Debis-Berater: "Und wohin dann mit den vielen Programmierern?.

Angeklickt

Noch sind sich Anwender und Berater nicht einig, wie sich die Jahr-2000-Umstellung von der Personalseite her am besten bewältigen läßt. Während die Anwender davon ausgehen, die Umstellung im großen und ganzen mit den eigenen Mitarbeiten zu schaffen, sehen die Dienstleister einen großen Bedarf an Personalressourcen - mit der Folge, daß die Gehälter der Cobol-Programmierer kräftig nach oben gehen.

*Ina Hönicke arbeitet als freie Journalistin in München.