SAP stellt sich neu auf

Vorstand Bernd Leukert tritt überraschend zurück

21.02.2019
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Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
SAP kommt nicht zur Ruhe. Nachdem vor wenigen Wochen ein Restrukturierungsprogramm die Belegschaft aufschreckte, kündigte nun überraschend der langjährige Technikvorstand Bernd Leukert seinen Abschied aus Walldorf an.

SAP-Vorstandsmitglied Bernd Leukert hat sich einvernehmlich mit dem Aufsichtsrat auf sein sofortiges Ausscheiden aus dem Unternehmen verständigt. Das teilte der größte Softwarehersteller Deutschlands am 20. Februar überraschend mit. Leukert hatte zuletzt gemeinsam mit Michael Kleinemeier die Abteilung Digital Business Services geleitet. Diesen Posten hatte der Manager erst im Januar dieses Jahres übernommen. Ursprünglich war geplant, dass Leukert den Bereich, der in erster Linie SAP-Kunden bei der Einführung neuer Produkte begleitet, ab kommendem Jahr komplett übernimmt.

Mit Bernd Leukert verliert SAP einen Experten, der über Jahre die Richtung für die technologische Entwicklung der Walldorfer gewiesen hat.
Mit Bernd Leukert verliert SAP einen Experten, der über Jahre die Richtung für die technologische Entwicklung der Walldorfer gewiesen hat.
Foto: DSAG

Kleinemeier hatte schon vor längerem angekündigt, Ende 2019 altersbedingt aus dem Konzernbetrieb ausscheiden zu wollen. Doch daraus wird nach dem plötzlichen Abgang Leukerts wohl nichts. SAP gab bekannt, dass der Vorstandsvertrag mit Kleinemeier bis Ende 2020 verlängert werde.

Leukert ist stolz auf S/4HANA

Nach außen bemühen sich alle Beteiligten den Anschein einer einvernehmlich friedlichen Trennung zu wahren. "Bernd Leukert hat viel zum Erfolg der SAP beigetragen", sagte Hasso Plattner, Vorsitzender des Aufsichtsrats der SAP. "Wir danken ihm für sein Engagement und seinen langjährigen Einsatz für das Unternehmen." Darüber hinaus freue man sich, dass Michael Kleinemeier der Firma weiter zur Verfügung stehe. Er werde gerade von den eigenen Kunden sehr geschätzt.

"Ich bin sehr stolz darauf, Teil des SAP-Vorstands gewesen zu sein und die bahnbrechendste Innovation unserer Branche, SAP S/4HANA, am Markt eingeführt zu haben", wird Leukert von SAP zitiert. "Ich danke Hasso Plattner und dem Aufsichtsrat herzlich für ihr langjähriges Vertrauen und ihre Unterstützung." SAP-CEO Bill McDermott wollte sich offenbar nicht zum Abgang Leukerts äußern. Über dessen weitere Pläne ist noch nichts bekannt.

Auch Vishal Sikka, bis 2014 Vorstandsmitglied und CTO von SAP, hatte seinen Job bei den Walldorfern plötzlich und überraschend hingeschmissen. Er heuerte kurz darauf als CEO beim indischen Service-Spezialisten Infosys an.
Auch Vishal Sikka, bis 2014 Vorstandsmitglied und CTO von SAP, hatte seinen Job bei den Walldorfern plötzlich und überraschend hingeschmissen. Er heuerte kurz darauf als CEO beim indischen Service-Spezialisten Infosys an.
Foto: SAP

Inwieweit die jüngste Reorganisation innerhalb der Führungsriege von SAP den Abschied des langjährigen Managers befeuert hat, muss Spekulation bleiben. Leukert hatte im Frühjahr 2014 das Amt des Technikvorstands bei den Softwerkern aus dem Badischen übernommen, nachdem der bis dato amtierende Chief Technology Officer Vishal Sikka - damals ebenfalls überraschend - das Handtuch geworfen hatte. Als Technikchef hat Leukert in den folgenden Jahren maßgeblich die Entwicklungen rund um die In-Memory-Datenbank HANA sowie das neue ERP-Paket S/4HANA gelenkt. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit war die Ausrichtung von SAPs Produktstrategie auf die Cloud.

SAP baut Technik-Verantwortung um

Im Oktober vergangenen Jahres hatte Softwarekonzern dann bekannt gegeben, seine Führung neu aufstellen zu wollen. Jürgen Müller, ein Eigengewächs aus dem Hasso-Plattner-Institut (HPI), wurde zum Chief Innovation Officer und zu Jahresbeginn 2019 in den SAP-Vorstand berufen. In dieser Funktion soll sich der 36-jährige Manager um den Bereich Technologie und Innovation und damit die technischen Grundlagen aller SAP-Produkte kümmern. Bis dato lag dies in Leukerts Verantwortung.

Mit den personellen Wechseln wurde zugleich auch eine neue Ausrichtung der technischen Verantwortlichkeiten bei SAP deutlich. Statt wie bisher alles in einer Hand zu konzentrieren, teilte der Konzern die Zuständigkeiten in verschiedene Segmente. Müller soll wohl in erster Linie neue Techniken im Augen haben. "Dank der engagierten Arbeit von Jürgen Müller und seinem Team ist SAP mittlerweile führend in den Bereichen Machine Learning, Blockchain und vielen weiteren innovativen Technologien", erklärte Vorstandschef Plattner zu dessen Start.

Er bringe die idealen Voraussetzungen mit, um die Innovationen im gesamten Vorstand voranzutreiben. Darüber hinaus ist Müller für die "SAP Cloud Platform" (SCP) und "SAP HANA" verantwortlich. Die Entwicklung der Kernanwendungen wie beispielsweise "S/4HANA" wurde dagegen Chief Operating Officer (COO) Christian Klein (38 Jahre) zugeschlagen, der seit Anfang 2018 im SAP-Vorstand sitzt.

Anwendern bedauern Abschied von Leukert

Leukert, der sich selbst immer als Pragmatiker bezeichnete und auf den Bühnen der großen SAP-Veranstaltungen eher den Eindruck vermittelte, sich im Rampenlicht nicht besonders wohl zu fühlen, machte nie einen Hehl aus seinen Technikwurzeln. Vor seinem Aufstieg zum CTO hatte der Manager die Entwicklung der "Business Suite" und von "Business One" verantwortet. Diese Nähe zur Softwaretechnik und seine Expertise machten Leukert auch zu einem gern gesehenen Gast bei den Anwendern.

Bei der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) bedauert man dessen Abgang. "Wir haben Verständnis für die Umstrukturierungen, die SAP aktuell vornimmt, legen aber Wert auf Kontinuität", kommentierte Marco Lenck, DSAG-Vorstandsvorsitzender, die SAP-Personalie. Das Wissen um die bestehende Produktpalette müsse unbedingt erhalten bleiben. "Wir danken Bernd Leukert für die langjährige gute Zusammenarbeit. Er hatte immer ein offenes Ohr für die Belange der Kunden und damit für die DSAG."

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Der Abschied Leukerts dürfte kaum dazu beitragen, dass mehr Ruhe bei SAP einkehrt. Erst Ende Januar hatte der Softwarekonzern anlässlich der Vorstellung der jüngsten Bilanz mit der Ankündigung eines Restrukturierungsprogramms überrascht. Demzufolge sollen 4400 Mitarbeiter den Softwarehersteller verlassen, das sind knapp fünf Prozent der Gesamtbelegschaft. Ende 2018 standen SAP zufolge 96.500 Mitarbeiter auf der Gehaltsliste des Konzerns. In Deutschland rechnet man mit einem Abgang von gut 1000 SAP-Angestellten.

Das Programm - das erste seit 2015 - soll SAP zufolge "die Prozesse und Strukturen im Unternehmen weiter vereinfachen und sicherstellen, dass die Organisationsstruktur, Kompetenzen und Ressourcenzuordnung auch weiterhin den sich verändernden Kundenanforderungen gewachsen sind". Die Kosten dafür beziffern die Verantwortlichen auf voraussichtlich 800 bis 950 Millionen Euro, die überwiegend im ersten Quartal 2019 ausgewiesen werden sollen.

Fitness-Programm für SAP

SAP-Chef McDermott sprach von einem Fitness-Programm für SAP. Der Softwarehersteller müsse mit den Veränderungen in der Softwarebranche mithalten können. Die Restrukturierung zielt in erster Linie auf ältere Mitarbeiter. Schon 2015 hatte der Konzern etwa 3000 meist langjährigen Beschäftigten großzügige Vorruhestandsregelungen und Abfindungen gewährt. McDermott geht davon aus, dass die Mitarbeiterzahl von SAP insgesamt weiter steigen werde. Der Manager geht davon aus, dass der Konzern im kommenden Jahr bereits 105.000 Menschen beschäftigen könnte.

SAP-Chef Bill McDermott will den Softwaretanker gerade auch mit Blick auf neue Technologien wie KI, Machine Learning und Blockchain auf Kurs halten. Dafür sollen tausende altgediente Mitarbeiter ausgemustert werden.
SAP-Chef Bill McDermott will den Softwaretanker gerade auch mit Blick auf neue Technologien wie KI, Machine Learning und Blockchain auf Kurs halten. Dafür sollen tausende altgediente Mitarbeiter ausgemustert werden.
Foto: SAP

Inwieweit der Abschied Leukerts mit dem Restrukturierungsprogramm zusammenhängt, ist nicht bekannt. Auf Anwenderseite ist angesichts der Veränderungen bei SAP durchaus eine gewisse Skepsis zu spüren. Gerade von Seiten der DSAG hört man immer wieder Forderungen, SAP müsse auch die seit vielen Jahren bewährten älteren Softwareprodukte weiter pflegen und auch weiter entwickeln. Die Erwartungen der Anwendervertreter sind eindeutig: "Wir hoffen, dass dieses Know-how trotz des Weggangs von Mitarbeitern nicht verloren geht."