Dr. Wolfgang Heilmann

Vorsitzender der Geschäftsführung der lntegrata GmbH, Tübingen Ohne Technikakzeptanz keine soziale Sicherheit

16.05.1986

Unter allen bekannten Staatsformen realisiert die Demokratie am besten den Willen des Volkes. Entscheidend ist deshalb, was die absolute oder eine relative Mehrheit der Bevölkerung denkt.

Ganz ohne Problematik ist dies aber nicht, denn Meinungen sind nicht einfach da, sondern werden gebildet. Im Prinzip hat man dazu zwei Möglichkeiten. Man könnte sie den "informativen" und den emotionalen Weg nennen

Die beste Art der Meinungsbildung ist sicherlich die, sich intensiv über alle mit einem Problem verbundenen Fakten zu informieren, ihre Vor- und, Nachteile kritisch abzuwägen, und punktuelle Betrachtungsweisen zugunsten von Gesamtzusammenhängen zu vermeiden. Dieser "informative Weg" der Meinungsbildung ist zwar der ideale, aber zugleich auch der mühsamere Weg.

Der "emotionale" Weg ist viel bequemer, aber er ist auch gefährlich. Er macht Verführung in fast jedwede Richtung möglich. Weil in einer Demokratie Politiker letztendlich nur das ausfahren können, was eine Mehrheit findet, sind sie oftmals gezwungen, das Falsche zu tun, auch dann,wenn ihnen der richtige Weg bekannt ist.

Das Beste an der Demokratie ist zugleich ihr Kreuz, dann nämlich, wenn die Mehrheitsmeinung falsch ist und, umgesetzt in politische Realität, zu schweren Schäden führen muß. Warum diese Feststellung? Weil die Sicherung der Zukunft unseres Landes technischen Fortschritt gebieterisch verlangt, Innovation also unverzichtbar ist. Nur innovative Technologien und ihre kreative Nutzung können erreichen, daß die Arbeitslosigkeit überwunden wird, daß soziale Besitzstände erhalten bleiben, und unser Iebensstandard quantitativ und vor allem qualitativ noch steigt.

Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland lebt von Technik. Unser einziger "Rohstoff" ist unser technisches Können. Nur dieses, in intelligente Produkte gesteckt, können wir erfolgreich vermarkten. Deshalb ist unsere Zukunft nur dann sicher, wenn wir innovative Techniken rasch und wirkungsvoll weiterentwickeln. Es geht dabei sowohl um die Steigerung der Produktivität durch Rationalisierung in bestehenden Märkten, als auch um die Schaffung und Erschließung neuer Märkte.

Die Notwendigkeit dazu ergibt sich aus dem Zwang zur Überwindung der Arbeitslosigkeit mit allen damit verbundenen wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen, familiären und individuellen Komponenten. Es muß deutlich gemacht werden, daß Arbeitslosigkeit nicht durch zuviel, sondern durch zuwenig Innovation entsteht.

Die Notwendigkeit, innovative Techniken zu entwickeln, ergibt sich aber nicht nur aus dem Zwang, die Arbeitslosigkeit zu überwinden, sondern gleichermaßen auch aus der Forderung, unsere sozialen Errungenschaften und damit auch unseren sozialen Frieden zu erhalten. Nur eine blühende Volkswirtschaft kann die enormen Beträge erwirtschaften, deren Vorhandensein in unserem Lande als Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Gerade die Generation, die am ehesten dazu bereit ist, etwa auf produktivitätssteigernde Rationalisierungstechniken zu verzichten, wird diese schon in relativ naher Zukunft ganz dringend benötigen, weil die teils radikalen Änderungen der Altersstruktur unserer Bevölkerung dies gebieterisch fordern - es sei denn, man wäre zu erheblichen Reduktionen längst sicher geglaubter Leistungen bereit.

Wer darüber hinaus den Wunsch hat, die Arbeitszeiten auch in Zukunft weiter zu verkürzen, der fordert zugleich bewußt oder unbewußt - innovative Techniken. Die Formel "Gleicher Lebensstandard bei kürzerer Arbeitszeit" geht nur auf, wenn wir in der kürzeren Zeit das gleiche erwirtschaften, wofür wir heute noch mehr Zeit aufwenden müssen. Das Weniger an Arbeit muß also durch ein Mehr an Produktivität ausgeglichen werden. Nur innovative Techniken aber können diesen Ausgleich schaffen.

Eine weitgehend akzeptierte Forderung ist auch die nach mehr Lebensqualität. Sie drückt sich aus in dem Willen, die Arbeitswelt humaner zu machen, die Umwelt lebenswerter zu gestalten und Freizeit höherwertig zu nutzen. Alles dies sind Forderungen, denen man sich anschließen kann, aber sie setzen voraus, daß innovative Techniken entsprechende Beiträge dazu direkt zu leisten vermögen oder auch indirekt dadurch, daß sie die Geldmengen mit erwirtschaften helfen, die nun einmal derjenige benötigt, der sich solche Wünsche erfüllen möchte.

Schließlich und endlich ist unsere Volkswirtschaft auch den Zwängen der internationalen Wirtschaft ausgesetzt. Insbesondere ergeben sich diese einerseits aus der Konkurrenzsituation zu den beiden hochindustrialisierten Blöcken USA und Japan, andererseits aus der Abhängigkeit von Rohstofflieferanten.

All diesen sachlich-rationalen Erkenntnissen und Notwendigkeiten steht nun eine in der modernen Gesellschaft verbreitete Haltung entgegen, die sich mit Begriffen wie "sinkende Technikakzeptanz" oder "gesellschaftlicher Wertewandel" kennzeichnen läßt,

Eine ihrer Hauptursachen sind mangelhafte und teils überhaupt nicht vorhandene Kenntnisse über Wirtschaft, über wirtschaftliche Zusammenhänge, über Technik insgesamt oder über einzelne Technologien und ihre Folgen. Dies gilt vor allem - und hier ist das besonders schwerwiegend - im Bereich der Schulung und Ausbildung. Aus diesem Mangel an Einsicht entsteht nicht nur Unsicherheit, die verhindert, daß man für eine richtige Sache auch eintritt, sondern es leitet ein Teil der Erzieher daraus den Auftrag ab, Gedankengut zu verbeiten, das nicht die so notwendige Technikakzeptanz, sondern das genaue Gegenteil erzeugt. Des weiteren analysiere ich als Ursache für sinkende Akzeptanz mehr oder

..... deutlich erkennbare politische Interessenlagen oder ideologische Positionen. Diese werden von weiten Bereichen der Massenmedien, bewußt oder in Verfolgung von Modetrendst gefördert und unterstützt. Völlig unabhängig von rationalen Erkenntnissen hat man eben die Meinung, die gerade "in" ist, denn "In-Sein" ist hierzulande zu einem falschen Markenzeichen für Fortschrittlichkeit geworden.

Und ideologische Positionen? Es ist gewiß ein Verdienst, daß unser aller Umweltbewußtsein geschärft wurde. Wenn daraus aber Maschinenfirmerei wird, dann wird Technikfeindlichkeit zur Ideologie, die nur noch einseitig die eigene Volkswirtschaft belastet.

Diesen Entwicklungen entsprechen Änderungen von persönlichen oder gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die sich vor allem auf das Verhalten im Beruf auswirken und in der Einstellung zur Arbeitswelt ausdrucken. Da wird dann Leistung nur noch als Druck empfunden, und wir berauben uns dabei des Besten, was die Arbeitswelt zu bieten hat, nämlich Erfolg zu haben und Anerkennung erfahren zu können. Da erlebt man es dann schon seit vielen Jahren, daß immer weniger Menschen bereit sind, Führungsverantwortung zu übernehmen, weil die öffentliche Meinung nur noch dem "Cleverness" bescheinigt, der seine Freizeit maximiert,

Ausfluß solcher gesellschaftspolitischer Strömungen und Veränderung von Werten sind dann schließlich gesetzgeberische Maßnahmen und administrative Regelungen, die die Wirtschaft hemmen, weil sie ihr jede Vertragsfreiheit durch vorgegebene Gesetze nehmen. Auch gutgemeinte Gesetze zeigen oft eine höchst unerwünschte Kehrseite.

Will man diese hemmenden Faktoren abbauen, sind eine

Vielzahl von Programmen, Aktivitäten und Maßnahmen erforderlich. Verantwortlich dafür sind Regierungen und Behörden genauso wie Verbände der Industrie und Gewerkschaften. Aber auch durch einzelne Unternehmen und Persönlichkeiten können wertvolle Beiträge geleistet werden, wenn sie sich dieser Verantwortung stellen.

Dazu gehört zum Beispiel, daß im staatlichen, privaten und betrieblichen Schulungs-und Ausbildungsbereich Wissen vermittelt wird über wirtschaftliche Zusammenhänge, sachliche Kenntnisse über wesentliche Technologien, ihre Bedeutung, ihre Chancen und möglichen Risiken, sowie ihre wirtschaftlichen Konsequenzen, und zwar auch derjenigen, die durch einen Verzicht auf sie entstehen.

Die Verantwortung wahrnehmen heißt auch, wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit betreiben, damit das Wissen über und das Verständnis für diese Fragen gefördert wird. Es wird also notwendig sein, falschen Behauptungen und Konzeptionen offen und klar entgegenzutreten, egal von wem sie aufgestellt sein mögen. Umgekehrt gilt es, intensiv um Vertrauen für den richtigen Weg und die dazu erforderlichen Schritte zu werben. Dazu bedarf es als Grundvoraussetzung der Glaubwürdigkeit.

Da die Massenmedien sehr stark Meinungen beeinflussen und bilden, gilt es, ein neues, aktives und positives Verhältnis zu den Medien zu finden. Polarisierung hilft niemandem. Nur wenn beide einander vertrauen, die Vertreter der Wirtschaft den Vertretern der Medien und umgekehrt, kann sich der so notwendige Dialog um den richtigen Weg zum ohnehin gleichen Ziel der Zukunftssicherung entwickeln. Schließlich aber ist die Wirtschaft selbst aufgefordert, innovative Lösungen auch in der Arbeitswelt, das heißt zu betrieblichorganisatorischen Bereich zu entwickeln, welche den sich verändernden Wertvorstellungen der Gesellschaft Rechnung tragen, ohne daß die als notwendig erkannten wirtschaftlichen Ziele gefährdet werden,

Bei aller gebotenen realistischen Zurückhaltung gibt es Dinge, die für Dinge, die oben erwähnten Lösungen gerade auch durch die Möglichkeiten erleichtert werden, die uns moderne Technik auf vielen Gebieten schenkt. Ganz besonders die Kommunikationstechnik kann dazu eine ganze Reihe von Beiträgen liefern. Sie kann Organisationen transparenter machen, Entscheidungsspielräume erweitern und helfen den Sinn der eigenen Tätigkeit innerhalb des Ganzen besser zu verstehen. Sie ermöglicht Zugriff zu Informationsbeständen - und trägt dadurch zur Selbstverwirklichung in- und außerhalb des Berufslebens bei. Diese neuen Techniken heben auch räumliche und zeitliche Beschränkungen auf und machen es möglich, Arbeitsplätze humaner zu gestalten, weil Menschen vielerlei Belastungen nicht mehr ausgesetzt zu werden brauchen.

Es zeigt sich also deutlich, daß unser Land und darüber hinaus die gesamte Menschheit vor großen Problemen stehen, aber es zeigt sich auch, daß es Probleme sind, die gelöst werden können. Besonders erfreulich ist dabei, daß es in weiten Bereichen die problemlösenden Techniken bereits gibt.

Die Zukunft unseres Landes ist in dem Maße sichern wie wir Technik bejahen. Dies ist kein Plädoyer für kritiklose Technikeuphorie, sondern einfach ein Gebot der Vernunft.