Vorschau 1986: DV muß sieh von verkrusteten Strukturen lösen

20.12.1985

"Die Unternehmen werden 1986 zunehmend erkennen, daß ihre funktional ausgerichteten Organisationsstrukturen ungeeignet sind, die Möglichkeiten moderner Informationstechnologie zu nutzen", prognostiziert Professor August-Wilhelm Scheer, Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität Saarbrücken. Um diese Situation ändern zu können, sei es entscheidend, daß die Rolle des DV-Leiters sich schnell zum Informations-Manager wandle. Einig sind sich die Befragten bei ihrem Rückblick darin, daß sich der Mikrocomputer 1985 zwar durchgesetzt habe, aber noch nicht restlos überzeugen konnte. Dazu Fritz Reinhard Müller, Mitglied der Diebold-Geschäftsführung in Frankfurt: "Der Alleskönner hat viele Mitarbeiter in den Fachabteilungen doch etwas enttäuscht." Deshalb sei die bisherige Kaufeuphorie zunächst einer nüchternen Kosten/Nutzen-Betrachtung gewichen.

Bernd Menne

Kfm. Revisionsleiter DV,Stadtwerke Düsseldorf

Mikros haben sich noch nicht völlig "durchgesetzt". Die Mehrheit der Arbeitsplatzrechner steht in technisch ausgerichteten Abteilungen, in den kaufmännischen Bereichen werden Applikationen für Planungs- und Kalkulationsmodelle sowie

Textbearbeitung/Bürokommunikation genutzt. Durchgesetzt hat sich aber die Philosophie, mit Hilfe des Mikros Aufgaben zu lösen, so daß die Schaffung von Koordinationskonzepten häufig den An(...)affungswünschen der Fachabteilungen hinterherhinkt.

Die Eingliederung ist noch nicht in dem Maße erfolgt, wie es einerseits sinnvoll, andererseits notwendig ist. Gründe hierfür sind sowohl mangelhafte Konzepte beziehungsweise Beratung seitens der Anbieter wie auch fehlende Erfahrung der einzelnen Fachabteilungen. Da Betriebssysteme und auch oft Software nicht annähernd so benutzerfreundlich sind, wie sie es als Bestandteile eines Bürogerätes sein müßten, werden die Probleme nach dem Try-and-Error-Verfahren abgearbeitet. Erst in jüngerer Zeit setzen sich Produkte mit guten Benutzeroberflächen durch und ermöglichen ein sinnvolles Arbeiten ohne DV-Fachwissen. Weitere premmnisse sind sicherlich all gemeine Vorbehalte gegen die als bedrohlich empfundenen Technologien und das Festhalten an konventionellen Büroorganisationen um einen Mikro herum (wie Archivierung oder Postübermittlung).

Netzwerktopologien werden entwickelt werden, die sowohl Großrechner wie auch Mikros miteinander vernetzen vor dem Hintergrund einer offenen, für jedes Gerät anschlußfähigen Technik und der Nutzung vorhandener Inhouse-Netze, nämlich aufbauend auf dem Telefonnetz. Hierfür wird es verstärkt Software geben, die es dem Benutzer ermöglicht, in einfacher Form seine Kommunikationswünsche zu befriedigen. Bei der Hardware werden schnellere Prozessoren mit Blick auf die

32-Bit-Technologie und Multiuser sowie Multitasking-Fähigkeit kommen, die (oder das) Betriebssystem(e) (MS-DOS, Xenix) werden größere RAM-Bereiche adressieren. Bei den Massenspeichern werden die Laser-Disk sowie Platten mit 300 MB und mehr in 5,25-Zoll-Technik oder beispielsweise 3-Zoll-Platten mit 20 MB und integriertem Streamer kommen. Laserprinter, Sprachaufzeichnung und -wiedergabe und Aufbau eines digitalisierten Büros werden Mittelpunkte der Betrachtung im kaufmännischen Bereich sein.

Der klassische Programmierer mit Spezialwissen wird an Bedeutung verlieren, der Analytiker sich sehr stark in die Fachabteilung verlagern. Leistungsfähige Softwaretools der vierten Generation werden Anwendungsentwicklungen direkt in Fachabteilungen ermöglichen. Es werden, vor dem Hintegrund dezentraler Intelligenz durch Mikros Information-Manager gebraucht, die Organisationskonzepte für das Zusammenarbeiten der einzelnen Teilnehmer in diesen Strukturen erarbeiten. Zentrale Software-Entwicklung wird stärker durch Fachabteilungsspezialisten in einem Benutzerservicezentrum stattfinden.

Dr. Peter Bromann

Mitglied der Geschäftsleitung der Kienbaum Unternehmensberatung, Düsseldorf

Der Mikrocomputer in der Fachabteilung hat sich im letzten Jahr deutlich "etabliert", und zwar nicht wie so oft in der Vergangenheit als Insellösung oder gegen das Votum der zentralen DV. Vermehrt ergänzt eine sinnvolle zentrale Koordination und Steuerung des "Personal Computings" die dynamische Innovationsbereitschaft auf der Sachbearbeiterebene beim Einsatz der Informationstechnologie. Nachdem Hardware- und Softwareentwicklungen der Hersteller nunmehr die Versprechungen der letzten Jahre eingeholt haben und damit die Integrations-Voraussetzungen weitgehend vorhanden sind, schaffen viele Groß- und Mittelbetriebe die entsprechende organisatorische Infrastruktur: Langfristige (strategische) Gesamtkonzeptionen der Informationsverarbeitung sowie der Aufbau von Benutzer-Service beziehungsweise Informations-Zentren sind die aktuellen Aufgabenstellungen von Org/DV. Hier werden einerseits die Anforderungen verschiedener technischer und kaufmännischer Anwendungsgebiete zusammengeführt, andererseits die Systemkonzepte unter Einbeziehung der Bürokommunikation integriert.

Eine von uns im abgelaufenen Jahr durchgeführte Marktuntersuchung zeigt, wie hoch sich das organisatorische "Trägheitsprinzip" gerade bei Großunternehmen auswirkt. Hier wird dezentraler Computereinsatz auf der Sachbearbeiter ebene primär in dem Rahmen der zentralen (SNA-)Architektur gesehen, was zwar die Integration erleichtert, aber innovativen Konzeptionen oftmals entgegensteht! Vielfältig sind die Varianten in der Ausgestaltung und Unterstützung der individuellen Datenverarbeitung (IDV), teilweise dominieren bestimmte Fachbereiche und man kommt über

Ad-hoc-Betreuungsmaßnahmen nicht hinaus.

Entscheidend erscheint, daß das Tor zur Anwendungsrealisierung vergrößert ist und nicht mehr allein durch den Engpaß der zentralen Softwareentwicklung bestimmt wird. Allerdings tragen die Mitarbeiter des Benutzer-Service eine erhebliche Verantwortung, um Verzettelung und mangelhafte Qualität der dezentralen Lösung zu vermeiden. Noch herrscht Unsicherheit über die notwendigen Personalprofile und die Einstufung dieser Mitarbeiter. Die Marktentwicklung auf dem Gebiet der Informationstechnologie war 1985 durch zahlreiche Ereignisse gekennzeichnet. Herausragend sind zum Beispiel einige Entwicklungen für das Image-Prozessing, Electronic-Mail und Spracherkennung.

Für 1986 werden die Anstrengungen des Marktführers, die sich in 1985 durch die neue Rolle der /36 sowie durch Text- und Büro-Software-Ankündigungen ausgezeichnet haben, auch auf dem Gebiet des IBM-LAN für mehr Klarheit sorgen. Ein weiterer Meilenstein wird die Nutzung der künstlichen Intelligenz auf Workstation-Level greifbarer machen. Unter dem Ziel "Beschleunigung der betriebsinternen Abläufe" weist die Erhebung ein beträchtliches Verbesserungspotential auf durch die Verknüpfung von LANs und Vermittlungssystemen.

Fritz Reinhard Müller

Mitglied der Geschäftsleitung, Diebold Deutschland GmbH, Frankfurt

Herr Überberg hat auch einen Mikro. Seit drei Monaten kämpft er gegen die Tücken des Objekts. Schien doch am Anfang der PC ein verheißungsvoller Problemlöser für all die Aufgaben zu sein, die bislang nur unzureichend und oft gar nicht von seiner Datenverarbeitung ausgeführt wurden. Jetzt muß er feststellen, daß Daten verlorengehen, daß oft viele Versuche notwendig sind, um eine Funktion auszuführen, ja daß oft auch Glück dazu gehört, um ein richtiges Ergebnis zu erhalten.

Wie Herr Überberg sind viele Mitarbeiter in den Fachabteilungen über den kleinen "Alleskönner" doch etwas enttäuscht. Zwangsläufig hat auch die Kaufeuphorie für Mikros etwas nachgelassen. Eine nüchterne Kosten/Nutzen-Betrachtung scheint hin und wieder die Oberhand zu behalten.

Nachdem in vielen Unternehmen PCs zu Hunderten beschafft wurden, kommt jetzt wohl die Einzelbeschaffung wieder zur Geltung. Hintergrund dieser Abschwächung des Kaufinteresses dürfte wohl die Tatsache sein, daß die sinnvolle Nutzung eines Mikros offenbar auch eine bestimmte geistige Leistung voraussetzt. Bisher war man der Meinung daß jeder Mitarbeiter in der Lage sein sollte, einen Mikro zu handhaben. Heute wird oft nur die Hälfte aller vorhandenen Geräte ständig (oder zumindest öfter) genutzt.

Sicherlich ist es falsch, daraus den Schluß zu ziehen, Mikros seien nicht das Richtige für Sachbearbeiter und Führungskräfte. Aber es gilt zu überlegen, wo und bei wem der PC in den richtigen Händen ist. Bei Herrn Überberg wohl offenbar nicht.

So wird der Mikro auch weiterhin seinen Einzug in die Fachabteilungen halten - allerdings mit gebremster Kraft. In erster Linie werden neue Applikationen verwirklicht: Anwendungen, die nicht wichtig genug sind, deren Nutzung kaum quantifizierbar ist und die normalerweise durch die Maschen des Realisierungsnetzes der Datenverarbeitung gefallen wären.

Damit löst der Mikro eigentlich keine Innovationsschübe aus. Aber die Summe der vielen kleinen Verbesserungen und die Findigkeit des jeweiligen Betreibers bringen doch wohl einen spürbaren Fortschritt in die Unternehmen. Leider geht die von allen zu begrüßende Findigkeit nahtlos in Spielerei über. In welchem Umfang hierbei Kapazitäten nutzlos gebunden sind, vermag wohl kaum einer abzuschätzen.

Hatte es bis vor kurzem den Anschein, daß Mikros die Informationstechnik revolutionieren können, so muß man heute unter dem Strich allenfalls von interessanten Denkanstößen sprechen. Sicherlich sind die Unternehmen mit großer PC-Population gefordert den Betreibern Unterstützung zukommen zu lassen. In der Regel findet das den Niederschlag in Abteilungen, die sich der individuellen Datenverarbeitung widmen - ohne PC sicherlich eine kaum denkbare Entwicklung. Im kommenden Jahr dürfte sich die Koexistenz von Mikro und zentralem DV-Rechner weiter durchsetzen Vielleicht sollte man hoffen daß 1986 die noch oft emotional geführten Diskussionen um den richtigen Weg zur besseren Information sich zentral oder dezentral - deutlich abschwächen und einer von allen Beteiligten erwünschten Sachlichkeit Platz machen.

Herr Überberg darf hoffen, daß seine Informationsprobleme mit oder ohne Mikro gelöst werden.

Professor Dr. August-Wilhelm Scheer

Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken

Obwohl der explosive Entwicklungstrend der Informationstechnologie weiter ungebrochen scheint, haben sich 1985 Warnzeichen überhitzter Wachstumserwartungen bemerkbar gemacht Hierzu gehören Nachrichten aus dem Silicon Valley ebenso wie der ausgebliebene rasche Erfolg von Btx in der Bundesrepublik.

Das Jahr 1985 war auch nicht das Jahr für Office Automation und Personal Computer, sondern eher für Computer Integrated Manufacturing (CIM). Dies zeigt, daß für der Anwender inhaltliche Konzepte wichtiger sind als isoliert an gebotene Werkzeuge. Die innovativen Eigenschaften des Personal Computers sind eben seine Werkzeuge, wie Spreed Sheets, Grafik, Touch-Screen Maustechnik, relationale Datenbanken etc. Das gleiche gilt für die mit dem PC zunehmend zusammenwachsenden Office Automation-Systeme.

Es gibt aber keinen Büroarbeitsplatz an sich, der lediglich von seiner Werkzeugseite betrachtet werden kann. Viel mehr ist jeder Arbeitsplatz in konkret technische oder betriebswirtschaftliche Abläufe eingebunden, beispielsweise als Arbeitsplatz in der Konstruktion, der Arbeitsvorbereitung, der Unternehmensplanung, des Marketings oder de Rechnungswesens. Die Tool werden erst dann zu einen Durchbruch gelangen, wenn neue Abläufe und damit neue Anwendungssoftware zur Verfügung stehen, die systematisch von den Eigenschaften der Personal Computer beziehungsweise Office Systems Gebrauch machen. Dieses bedeutet, daß bei der Gestaltung einer jeden Transaktion eines Materialwirtschaftssystems überlegt wird, ob diese auf einem PC ausgeführt wird oder auf einem dahinter liegenden Großrechner.

Während bei Office Automation und Mikrocomputern somit die Tools zur Verfügung stehen, die neuen Anwendungskonzepte und damit auch Anwendungssoftware jedoch noch fehlen, ist die Situation bei CIM umgekehrt. Hier besteht eine Anwendungsphilosophie, die zunehmend von den Industrieunternehmungen in ihrer weitreichenden Wirkung begriffen wird. Die Integration von Konstruktion, Fertigung mit den sie begleitenden Planungsprozessen (Produktionsplanung und Steuerung) wird die Abläufe in den Unternehmungen radikal verkürzen und straffen.

Vorsicht ist bei Herstellern geboten, die unter CIM lediglich das gleichzeitige Anbieten von Insellösungen auf der gleichen Hardware verstehen. 1985 hat große Schritte auf dem Gebiet der Local Area Networks (LAN) gebracht.

Hier hat sich der Marktführer weiter konkretisiert, und mit der Vorstellung von MAP auf der "Autofact" in Detroit ist die große gestaltende Wirkung der Anwenderinitiative von General Motors deutlich geworden.

Für 1986 können insbesondere folgende Entwicklungen erwartet werden: - Auf dem Gebiet von CIM wird einerseits eine gewisse Ernüchterung aufgrund der noch nicht verfügbaren Realisierungsmöglichkeiten eintreten. Andererseits werden aber Fortschritte bei konkreten Systemen von Pilotentwicklern erzielt und erste Ansätze zur Entwicklung von Standardsystemen der Hersteller erwartet.

- Bildschirmtext wird für kommerzielle Anwendungen langsam, aber kontinuierlich wachsen.

- Erste Anwendungskonzepte, die den PC nicht nur als Lückenbüßer der Groß-DV ansehen, sondern echt in ihre Abläufe integrieren, werden auftreten.

- Für Expertensysteme wird sich zeigen, ob die hohen Vorschußlorbeeren zum Schaden oder zur Motivation der Entwicklung konkreter Anwendungsfälle führt.