Hybrid Work

Vorbilder statt Blaupausen gefragt

15.03.2023
Von 
Florian Stocker ist Inhaber der Kommunikationsagentur "Medienstürmer".
Nach Corona stehen Arbeitgeber vor besonderen Herausforderungen, denn die meisten Mitarbeiter wollen nicht zurück zu alten Arbeitsmodellen.
Die Diskussionen rund um Hybrid-Work-Modelle werden nach Corona erst recht intensiv weitergeführt, wie auch eine aktuelle Roundtable-Runde von Foundry gezeigt hat.
Die Diskussionen rund um Hybrid-Work-Modelle werden nach Corona erst recht intensiv weitergeführt, wie auch eine aktuelle Roundtable-Runde von Foundry gezeigt hat.
Foto: WD Stock Photos - shutterstock.com

"Nachahmung ist die höchste Form der Anerkennung", wusste schon Oscar Wilde und insbesondere in unserer Echtzeit-Ökonomie ist der Vergleich zum Lieblings-Stilmittel geworden. Was dabei ständig wechselt, sind die Vorbilder. Während es vor einigen Jahren noch cool war, das nächste Apple, Google und später Tesla sein zu wollen, kommt das neueste Vorbild nicht aus Cupertino, sondern aus Stockholm. Spotify hat es geschafft, binnen kurzer Zeit zum Synonym für die Vision einer neuen Arbeitswelt zu werden. "Work isn't somewhere you go, it's something you do", schreibt der Musikstreamingdienst auf seiner Website. Die Ortsangabe "Stockholm" wird bei Spotify durch ein "überall" oder gleich durch ein "egal" ersetzt.

Der Konzern führte sein "Work from Anywhere"-Konzept im Februar 2021 ein, also mitten in der Hochphase der zweiten Welle der Pandemie. Die über 8.000 Mitarbeiter konnten ab diesem Zeitpunkt selbst entscheiden, ob sie in einem Büro des Unternehmens oder an einem anderen Ort auf der Welt arbeiten wollen - zuhause, im Coworking-Space, im Cafe, egal. Einzige Voraussetzung: Es sollte mindestens einen Spotify-Hub in dem Land geben, in dem der Mitarbeiter seinen Wohnsitz hat.

Vorbild Spotify

Der Schritt eröffnete dem Unternehmen weitere Möglichkeiten. Spotify konnte dadurch schnell neue Gebiete erschließen und unterhält jetzt offiziell Niederlassungen in 42 US-Bundesstaaten. Auch in Europa war die Expansion nach Spanien, Deutschland und in die Niederlande durch das Konzept leichter und schneller möglich. Der Schritt führte auch zu einer dynamischeren Gehaltsstruktur (durch die Orientierung am Wohnsitz) und diverseren Teams. Viele Vorteile, die zur Nachahmung einladen. Doch im Gespräch mit Experten und Expertinnen im Rahmen der Foundry Roundtable-Diskussion zum Thema wird auch schnell deutlich, dass es mindestens genauso viele Einschränkungen gibt.

"Es ist unglaublich anspruchsvoll, solche Modelle wie das von Spotify zu leben. Das liegt vor allem daran, dass sie einen hohen Anspruch an die individuelle wie kollektive Selbstorganisation mit sich bringen", betont Heiko Faure, der bei Bechtle das Thema "Digital Solutions" verantwortet und damit auch die Entwicklung von Hybrid Work begleitet.

Spotify und andere Target Operating Models sollten bei der Umsetzung von Hybrid Work also eher als Inspiration, nicht aber als Blaupause dienen. Zu unterschiedlich sind die Anforderungen, die sich direkt aus dem Business ergeben.

Wenn Home Office nicht möglich ist

"Bei IT-affinen Branchen ist Home Office selbstverständlich", stellt zum Beispiel Matthias Bender von IT-Haus fest. "Es gibt aber genug Unternehmen, in denen das gar nicht möglich ist - zum Beispiel bei Handwerkern oder anderen physischen Jobs. Wenn es innerhalb eines Unternehmens beide Kategorien gibt, kann das Thema Hybrid Work eine Gefahr für den Betriebsfrieden darstellen, wenn sich manche Berufsgruppen ausgeschlossen fühlen."

Es kommt also nicht nur darauf an, welche Art von Jobs überhaupt "hybridisiert" werden können, sondern auch auf das Signal, das an andere Fachabteilungen ausgeht. Eine Regelung mit maximaler Freiheit ist damit nur für Dienstleistungsunternehmen und insbesondere für Software-affine Branchen eine Option. Bei allen anderen gilt: genau hinsehen und eine Regelung finden, die individuell zur Kultur passt. Die technischen Fragen sind weitgehend gelöst, die Tool-Stacks sind da und Implementierungshürden gibt es wenn dann nur noch auf "menschlicher" Seite.

"Wir stehen jetzt an der Schwelle, die "großen" Themen abseits der Technologie zu besprechen", sagt auch Nicole Bachmann von Skaylink. Hier sieht sie vor allem die HR in der Verantwortung, die Basis für eine hybride Kultur zu schaffen. "Selbstführung, Selbstmanagement, echtes Vertrauen in die Mitarbeitenden, all das schafft überhaupt erst den Nukleus, in dem performantes Arbeiten überhaupt erst möglich ist."

Studie "Hybrid Work & Collaboration 2023": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Hybrid Work & Collaboration führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idg.de, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (mraedler@idg.de, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Ein Manifest ist immer sinnvoll

Wichtig ist bei jeder Regelung vor allem die Klarheit. Wenn die Grundlagen der Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Manifest aufgeschrieben sind, können die Mitarbeitenden beginnen, die für sie produktivste und sinnstiftendste Arbeitsform innerhalb akzeptierter Grenzen zu definieren - zeitlich und örtlich. Idealerweise wird so ein Manifest auch gemeinsam erarbeitet, um die Identifikation zusätzlich zu erhöhen. Bei der Konzeption hilft es, sich zu überlegen, welche Art von Tätigkeiten überhaupt für ein Hybridmodell infrage kommen, wie Bernd Fels von if5 klarstellt:

"Auf der organisationalen Ebene unterschieden wir zwischen Prozess-, Projekt- und Pionierarbeit. Bei ersterer ist die Frage "Büro oder nicht" gar nicht so entscheidend - bei zweiterer dagegen sehr. Hier bestimmen geplante und insbesondere ungeplante Kommunikation und Kollaboration den Arbeitsalltag. Virtuell kann das ungeplante aber nur bedingt abgebildet werden."

Mitarbeiter wollen anders arbeiten als vor Corona

Dass bei aller Diskussion jedes Unternehmen einen gewissen Anteil an "Spotify-Mentalität" im Workplace-Konzept braucht, davon ist Gregor Knipper vom Headset-Hersteller Jabra überzeugt: "70 Prozent der Menschen wollen anders arbeiten, es bringt also niemandem etwas, das Thema nicht anzugehen. Flexiblere Orts- und Zeitwahl, ein Abweichen von der 5-Tage-Woche, transformative Führung, andere Arten von Erfolgsmessung - auch unkonventionelle Methoden kommen infrage, wenn es das Geschäftsmodell hergibt."

Aus eigener Erfahrung kann Adam Kiefer vom österreichischen IT-Dienstleister Tietoevry Austria berichten, wie sich die Einführung des Spotify-Modells auf das Unternehmen ausgewirkt hat: "Wir haben uns ganz bewusst für das Spotify-Modell entschieden, weil wir wussten, dass wir nur wachsen können, wenn wir die Lebenssituationen der Mitarbeitenden an jedem Standort individuell abbilden. Dazu gehört auch, autonom und dezentral Entscheidungen zu treffen, um das Engagement zu erhöhen."

Kiefer blickt positiv auf die Einführung zurück, konstatiert aber auch, dass er ein allzu dogmatisches Vorgehen nicht empfehlen würde: "Es ist ein bisschen mit agilem Projektmanagement vergleichbar: Scrum bringt für sich viele Vorteile, trotzdem kehrt man auch situativ immer wieder zum Wasserfall zurück, wenn es Sinn macht."

Ein neues Verständnis von "Ort" etablieren

Eine gute New-Work-, Remote-Work- oder Hybrid-Work-Diskussion nimmt immer auch den Abzweig in die Philosophie. Denn über die pandemischen Erfahrungen hinaus weisen die Roundtable-Teilnehmer darauf hin, dass "New Work" schon jahrzehntelang als Begriff existiert und erinnern an die Prinzipien, die Frithjof Bergmann in den 70er Jahren formulierte, lange vor jeder Cloud-Debatte. Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und soziale Verantwortung sind allesamt Faktoren, die auch heute über Erfolg oder Misserfolg von Hybrid Work entscheiden.

"Es tut mir in der Seele weh, wenn jemand das Thema Hybrid Work auf 'Home-Office versus Büro' reduziert", sagt Gregor Knipper. "Es gibt so viele andere Dimensionen, die die Hybrid-Experience bedingen: Welchen Führungsstil nutze ich, wie manage ich Konflikte, welche Büro-Kultur rege ich an?" Im Grunde bringt die aktuelle Diskussion ein "Update" in die New-Work-Bewegung und könnte durch eine neue Sicht auf den Faktor "Arbeitsort" den entscheidenden Impuls bringen, um die Vision von Bergmann zu erreichen.

Fahrtzeit gleich Arbeitszeit?

"Wir beginnen als Gesellschaft gerade, den Faktor Ort differenzierter zu sehen", stellt Bernd Fels fest. "Neben dem Zuhause und dem Büro kommen auch Dritte Orte wie Coworking in den Fokus - aber zum Beispiel auch der Arbeitsweg. Was wäre, wenn die Fahrtzeit auch zur Arbeitszeit zählen würde, in der ich meine Dinge vom Mobiltelefon erledige? Auch im selbstfahrenden Auto, in der Bahn und im Bus kann man durchaus produktiv sein. Bei Anfahrtswegen von einer Stunde wäre man nur sechs statt acht Stunden im Büro. Das würde die Attraktivität des Büros und auch des Arbeitgebers erhöhen."

Auch in beliebter werdenden Workation-Modellen sieht er eine Möglichkeit des "woanders anders arbeitens". "Es lohnt sich also grundsätzlich, über Multilokalität nachzudenken und das in seinem Manifest festzuhalten".

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Hybrid Work & Collaboration 2023'