Vorbilder sollen Interesse der Frauen an der DV wecken

11.11.1988

Dr. Ferdinand Merz, Professor an der Universität Marburg, Fachbereich Psychologie

Wie jedermann weiß, finden sich in technischen Berufen verlhältnismäßig wenig Frauen. In der näheren Zukunft wird sich das auch nicht ändern.

Liegt dies nun an der Technik oder an der Art der Arbeit? Vielleicht wollen sich Frauen die Hände nicht mit Öl verschmieren, oder sie fürchten, bei Installationsarbeiten die Fingernägel abzubrechen. Möglicherweise liegt es auch am Angebot an Lehrstellen. Frauen gehen öfter zum Friseur und bevorzugen dort vielleicht eine weibliche Bedienung. Solche Bedenken gelten nicht oder kaum für akademische Berufe.

Der Ingenieur macht sich die Hände nicht schmutzig, dem Autokäufer ist es gleichgültig, ob das Getriebe von einer Frau oder einem Mann konstruiert worden ist.

Die Geschlechterunterschiede bei den Lehrberufen finden sich trotzdem bei den akademischen Berufen wieder. Zunächst studieren etwas weniger Frauen. Nur knapp 40 Prozent der Studienanfänger waren nach Auskunft des Statistischen Jahrbuches weiblich, obwohl fast 49 Prozent der Altersgruppe weiblich sind (es werden etwas mehr Jungen als Mädchen geboren). Dieser Unterschied ist nicht groß und auch nicht erstaunlich. Schon unter den Abiturienten sind die Frauen nicht anteilsmäßig vertreten, relativ mehr männliche als weibliche Studenten nehmen ein Studium auf.

Sehr beträchtlich ist der Geschlechterunterschied aber bei der Wahl des Studienfaches. Die Fachgruppen "Sprach- und Kulturwissenschaften" und "Ingenieurwissenschaften" sind insgesamt etwa gleich groß. In der zuerst genannten Gruppe sind Frauen mit über 60 Prozent in der Überzahl, bei den Ingenieurwissenschaften sind nur knapp 12 Prozent weiblich.

Man kann also sowohl für Ausbildungsberufe als auch für akademische Berufe ab sehen, daß sich auch in Zukunft nur relativ wenige Frauen in technischen Fachrichtungen finden werden.

Für die Wahl des Studienfaches gibt es im einzelnen die unterschiedlichsten Gründe. Da mag der Wunsch der Eltern, die Nähe des Studienortes und sogar die Studienjahr eines Schulfreundes von Einfluß sein. Vernünftig wäre es, von Eignung und Neigung auszugehen; jedenfalls werden diese Gesichtspunkte häufig empfohlen. Die Studenten selber schreiben ebenfalls diesen beiden Gesichtspunkten die größte Bedeutung zu.

Bei einer Befragung von über 6600 Studenten nach ihren Motiven für die Studienfachwahl bezeichneten etwa 90 Prozent Fachinteresse und 85 Prozent eigene Fähigkeiten als "wichtig" oder "sehr wichtig"; die Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz oder gutes Einkommen wurde dagegen nur von 38 beziehungsweise 29 Prozent so eingestuft.

Studenten können ihre Eignung ganz gut beurteilen. Auch das ist nicht verwunderlich. Sie kennen ja nicht nur ihre Schulnoten, sie wissen außerdem, mit welcher Mühe oder welchen Tricks sie erworben worden sind. Wenn sich so wenig weibliche Studenten in technischen Fächern finden, so liegt das sicherlich auch daran, daß sie ihre Eignung niedriger einstufen.

Über die unterschiedliche Eignung der Geschlechter für technische Berufe wird derzeit wenig gesprochen. Meistens wird - aus unterschiedlichen Gründen - das Ziel verfolgt, den Frauenanteil in der Technik zu erhöhen; Hinweise auf Eignungsunterschiede sind dabei störend. Ohne Zweifel gibt es diese Unterschiede jedoch. In verschiedenen technischen Disziplinen werden die Eignungsanforderungen etwas verschieden sein. Mathematisches Denken und räumliches Vorstellungsvermögen werden aber fast überall wichtig sein. Gerade hier bestehen Geschlechterunterschiede, die im wesentlichen erst nach der Grundschulzeit hervortreten. Aus den Ergebnissen von Schulleistungstests, die in verschiedenen Staaten erhoben worden sind, sowie aus Ergebnissen von Tests zur Auslese von Hochbegabten kennt man die Größe dieser Unterschiede; sie beträgt etwa eine Standardeinheit (einem gebräuchlichen Maß für solche Feststellungen).

Aus diesem durchschnittlichen Unterschied kann man berechnen, wie groß der relative Anteil von Frauen sein wird, wenn man verschieden streng ausliest. Erwartet man etwa, daß sich unsere Ingenieure, Informatiker, Physiker, Astronomen und Mathematiker aus jenen zehn Prozent der Bevölkerung rekrutieren, die für solche Berufe besonders geeignet sind, so sollte auf je fünf Männer eine Frau entfallen; tatsächlich beträgt der Unterschied etwa zehn zu eins. Setzt man die Leistungsanforderungen niedriger an, so sind Frauen noch deutlicher unterrepräsentiert. Der Leistungsunterschied allein kann also den niedrigen Frauenanteil in technischen Berufen nicht erklären.

Berücksichtigt man zusätzlich zur Eignung auch die Neigung, so ist der geringe Frauenanteil nicht mehr erstaunlich. Mädchen und Jungen, Männer und Frauen interessieren sich für verschiedene Dinge. In einer eigenen Untersuchung wurden zum Beispiel Zehnjährige gefragt, was sie am Sonntag am liebsten tun wollten. Unter den drei möglichen Antworten war auch die Besichtigung einer neuen Autobahnbrücke. Von über 100 Mädchen hat keines diese Möglichkeit gewählt.

Intelligenztests kann man so machen, daß keine Geschlechterunterschiede auftreten, wenn man vor allem Aufgaben zum räumlichen Vorstellen vermeidet. Bei Interessentests gelingt das nicht, man kann mit Interessentests die Geschlechter nahezu perfekt trennen. Männer interessieren sich häufiger für Physik und Technik, Frauen für Kunst und Literatur, Sprachen, Sozialpflege und Erziehung.

Der Befund ist also klar: Weniger Frauen als Männer interessieren sich für Technik, weniger Frauen als Männer erbringen die für technische Berufe nötigen Leistungen. Beides fällt nicht immer zusammen. Manche Frauen scheiden der Leistung wegen, andere trotz hinreichender Leistung wegen ihres Interesses aus. Beides zusammen erklärt ohne weiteres den niedrigen Frauenanteil in qualifizierten technischen Berufen. Wie könnte man ihn trotzdem erhöhen, wenn man eine möglichst gleiche Beteiligung beider Geschlechter wünscht?

Vor wenigen Jahren noch hatten Psychologen eine einfache Antwort bereit. Sie verwiesen auf gesellschaftliche Stereotype, überkommene Vorurteile, durch welche die Kinder in ihre jeweiligen Geschlechterrollen gedrängt würden: Durch die "Sozialisation" wurden die Geschlechterunterschiede sozusagen gemacht. Inzwischen wurden viele Ergebnisse erzielt, die zeigen, daß die Entwicklung der Geschlechterunterschiede ein wesentlich komplizierterer Vorgang ist. Weder übernehmen Kinder passiv die Erwartungen ihrer sozialen Umwelt noch gehen Geschlechterunterschiede ausschließlich auf Erfahrung zurück.

Betrachten wir zunächst die Leistungsunterschiede. Ohne Zweifel kann und muß man Mathematik lehren. Möglicherweise kann durch geeigneten Unterricht der Geschlechterunterschied, wenn schon nicht aufgehoben, so doch erheblich verringert werden. Leider wirkt unser derzeitiges Schulwesen eher in die entgegen-gesetzte Richtung. Der Glaube an die Wirkung der sogenannten Sozialisation, die die Geschlechterunterschiede erst hervorbringen sollte, führte zur Erwartung, daß gemeinsame Erziehung der Geschlechter, Koedukation diese Unterschiede beseitige oder wenigstens verringere. Die Erfahrung zeigt das Gegenteil. Bei Koedukation vergrößern sich die Leistungsunterschiede. Ein Wissenschaftler kommt deshalb zur Ansicht, Koedukation sei ein gutes Mittel, einer Verwischung der Geschlechterrollen vorzubeugen.

Wie die Interessenunterschiede zwischen den Geschlechtern zustande kommen, ist noch unklar. Überraschende Befunde der letzten Jahre haben naheliegenden Erklärungen entwertet. So gibt es bei manchen Interessen deutliche genetische Einflüsse: Eineiige Zwillinge, die getrennt aufgewachsen sind, sind sich weit ähnlicher, als gemeinsam aufgewachsene zweieiige Zwillinge. Mädchen, die vorgeburtlich vermännlichenden Hormonwirkungen ausgesetzt waren, zeigten später häufiger "männliche" Interessen. Es ist schwierig zu verstehen, wie durch Testosteron hervorgerufene kleine Änderungen des Gehirns zu dem Berufswunsch Diplomingenieur führen können. Einigermaßen plausibel ist die Annahme, daß Hormonwirkungen die Wahl des Vorbildes beeinflussen. Von den pränatal androgenisierten Mädchen wird nämlich berichtet, daß sie lieber mit Jungen als mit Mädchen spielten.

Unter den Spielgefährten - und ihnen ähnlichen Personen - wird häufig auch ein Vorbild gewählt. Wenn das richtig ist, müßte man das Interesse von Frauen an der Technik erhöhen können, indem entsprechende Vorbilder geboten werden.

An der Koedukation läßt sich vermutlich kaum etwas ändern; andere Vorteile mögen die Nachteile aufwiegen die sich aus der Verstärkung der Geschlechterunterschiede ergeben. Wirkungsvoll wären vermutlich mathematisch-naturwissenschaftliche Mädchen-schulen, in denen nur Lehrerinnen tätig sind. Die Schülerinnen bekämen nicht nur einen ihnen angepaßten Unterricht, sondern zugleich auch weibliche Vorbilder. Die Darstellung erfolgreicher Ingenieurinnen in Schulbüchern und Massenmedien dürfte leichter zu erreichen sein und auf die Dauer nicht ohne Wirkung bleiben.

Insgesamt heißt das, daß Technik in absehbarer Zukunft ganz vorwiegend eine Sache der Männer bleiben wird. Über die Jahr-tausende und über die ganze Welt hinweg war Metallbearbeitung Aufgabe der Männer. Das heißt noch nicht, daß die moderne Technik Sache der Männer bleiben muß.