Knowledge-Management/Berater mit Wissens-Management gut beraten

Von Teams gewonnenes Wissen in kollektive Intelligenz überführen

27.02.1998

Heute frißt nicht mehr der Große den Kleinen, sondern der Schnelle den Langsamen. Unternehmen, die erfolgreich bleiben wollen, brauchen gute Ideen, um auf die dynamischen Märkte flexibel reagieren zu können. Dafür ist ein fundamentaler Paradigmenwechsel notwendig, in dessen Zentrum Schaffen und Transfer von Wissen stehen. Das bedeutet:

- Das intellektuelle Kapital eines Unternehmens ist besser zu nutzen und zu verwalten.

- Erfahrungen müssen im Sinne einer besseren Performance ausgetauscht werden.

- Investitionskosten sind im Sinne einer "Wiederverwendung" von Wissen zu senken.

- Der "Wissensverlust" ist bei Umstrukturierungen zu reduzieren.

Wissensziele in die Strategie integrieren

Immer mehr Unternehmen erkennen Wissen und Talent der Mitarbeiter als kritische Ressource ihres Unternehmens. Sie sollen nicht mehr ungenutzt sich selbst überlassen werden. Total Quality Management (TQM), Business Process Reengeneering (BPR) und ähnliche Prozesse konnten bisher schon vielen Unternehmen helfen, effizienter zu arbeiten, doch sie eignen sich nicht, die im Unternehmen möglicherweise vorhandenen Talente und Ideen besser zu nutzen. Das lernende Unternehmen muß Methoden, Systeme und Prozesse einsetzen, die das Wissen kontinuierlich mehren, es schneller dort hinbringen, wo es gebraucht wird, und den Übergang von der Idee bis zur Marktreife eines Produkts samt Service effektiver und schneller gestalten.

Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse zielen nicht mehr auf die Eliminierung von Problemen, sondern auf das Sammeln und Verwerten von Wissen. Dabei umfaßt die "organisationale Wissensbasis" sämtliche Wissensbestandteile, über die eine Organisation zur Lösung ihrer vielfältigen Aufgaben verfügt. Im Zentrum des Interesses steht die Optimierung der organisatorischen Fähigkeiten auf allen Ebenen durch einen besseren Umgang mit der Ressource "Wissen". Im einzelnen geht es dann um Wissenstransparenz, -erwerb, -entstehung, -(ver)teilung, -bewahrung und -nutzung.

Dies muß sich mittelfristig in der Aufbauorganisation und Unternehmenskultur niederschlagen. "Wissensziele" sind in die Unternehmensstrategie zu integrieren und die Mitarbeiter bei der Bewältigung der Informationsflut organisatorisch zu unterstützen. Große Unternehmen wie Microsoft oder HP haben das schon lange erkannt und die entsprechenden Konzepte entwickelt und realisiert. Doch auch kleinere Unternehmen denken um und versuchen ihre Chancen zu nutzen.

Die unterste Ebene des Wissens stellen Daten dar, die erst durch Sortierung, Analyse und Interpretation zu Informationen werden. Wissen ist eine komplexe und sich ständig wandelnde Kombination aus Informationen, individuellem Kontext und Erfahrung.

Erfahrung entsteht aus bereits erarbeitetem Wissen. Der individuelle Kontext bezeichnet das persönliche Umfeld wie etwa soziale Werte, Religion und Geschlecht der Person, welche die Informationen verwertet.

Beim Austausch von Wissen kommt es daher entscheidend auf Erfahrung und Kontext sowohl beim Sender als auch beim Empfänger an. Je ähnlicher Erfahrung und Kontext der Personen einer Gruppe oder Organisation sind beziehungsweise im Laufe der Zeit werden, desto besser läßt sich Wissen austauschen.

Der einzelne soll entsprechend seiner Erfahrung lernen und ist aufgefordert, sein Wissen mit anderen zu teilen. Im Rahmen dieses Austauschs kann der einzelne seine Entscheidungen reflektieren, die verschiedenen Interpretationen von Informationen werden offengelegt und lassen sich zusammenführen. Auf dieses Wissen besteht jederzeit Zugriff, und es wächst beständig bei jedem Gebrauch.

Bisher unterstützt die Informationstechnik ausschließlich den meist formalisierten Austausch von Informationen. Basierend auf diesen Informationen fallen Entscheidungen, die weder Erfahrungen und Kontext der erfassenden oder der ausführenden Personen noch der Organisation berücksichtigen. Dies führt zwangsläufig zu Mißinterpretationen und falschen Einschätzungen. Die Informationen selbst geraten meist direkt nach der Erstellung wieder in Vergessenheit, so daß das Rad immer wieder neu erfunden werden muß.

Die wissensbasierte Informationstechnik stellt Transfer und Schaffen von Wissen in den Vordergrund. Die eingesetzten IT-Systeme bilden den Informationskontext, über den Wissen identifiziert, ausgetauscht und gesammelt wird. Um sie den sich ständig wandelnden Anforderungen anpassen zu können, müssen sie im Zusammenspiel sehr flexibel sein.

Erfahrungsgemäß setzt sich eine solche IT-Struktur aus folgenden Teilsystemen zusammen: Ein elektronisches Dokumenten-Management-System (EDMS) bildet das unternehmensweite Repository (Unternehmensgedächtnis), das alle erarbeiteten Dokumente, Grafiken, E-Mails, Tabellen, Diagramme oder Programmiercodes in Datenbanken verwaltet. Das EDMS hat dabei eine gute Balance zwischen Benutzerfreundlichkeit, Formalisierung und Zugänglichkeit zu gewährleisten.

Zur Unterstützung der Kooperation und Kommunikation muß das System mindesten Groupware-Funktionalität beherrschen. Bulletins, Rundbriefe und "schwarze Bretter" bieten Überblicksinformationen zu den aktuellen Themen.

Flexible und mächtige Suchfunktionen wie zum Beispiel die Volltextrecherche erlauben den zielgenauen Zugriff auf die gewünschten Informationen. Verweise auf verwandte Themen- gebiete und Dokumente sind der Informationskontext, der dem Benutzer hilft, alle zugehörigen Informationen schnell zu finden. Der Benutzer muß sich also nicht mehr mühselig die notwendigen Informationen zusammensuchen, das EDMS eröffnet ihm sofort den Zugang zum kompletten Wissenskontext einer Information.

Indikatoren müssen Nachfragehäufigkeit und Aktualität anzeigen. Unwichtige, also nicht nachgefragte Informationen muß das System "vergessen" können, das heißt, sie sind bei der Datenpflege in periodischen Abständen zu entfernen. Darauf aufbauend ist ein Workflow-Management-System (WFMS) eingesetzt, das den Mitarbeitern die Informationen aktiv sowie bedarfs- und zeitgerecht zur Verbesserung der Koordination bereitstellt. Für den standortübergreifenden Zugriff rund um die Uhr ist ein Zugang mittels Internet-Browser über das Internet erforderlich. E-Mail und Office-Anwendungen runden das IT-System ab.

Leicht erweiterbare Funktionseinheiten möglich

Alle Teilsysteme sollten über genormte Schnittstellen miteinander kommunizieren und einfach zu verwalten sein. Dem persönlichen Kontext entsprechend, muß der Benutzer in der Lage sein, Informationen symbolisch zu visualisieren, um den "Wissenszuwachs" abbilden zu können. Erfahrungsgemäß ist gerade diese Benutzerschnittstelle sehr wichtig für die Akzeptanz unter den Mitarbeitern.

Mittlerweile sind Technologien erhältlich, die die meist historisch begründeten Insellösungen einzelner Abteilungen oder Unternehmensbereiche zusammenführen und kooperationsfördernde Netzwerke schaffen. Dabei ist die neue Generation von objektorientierter Komponentensoftware hervorzuheben. Sie erlaubt, flexible und leicht erweiterbare Funktionseinheiten zu entwickeln, die standort- und plattformübergreifend im Inter- und Intranet ihre speziellen Aufgaben im gemeinsamen Kontext erfüllen.

Über die Quasi-Standards DCOM und Corba lassen sich die verteilten Informationen aus den Produktivsystemen plattform-übergreifend integrieren und so etwa zu einem Data-Warehouse zusammenführen.

Die Wege, die Organisationen zum lernenden Unternehmen einschlagen, sind sehr vielfältig. Insbesondere die Verfahren, um das von Personen und Teams gewonnene Wissen in kollektive Intelligenz zu transformieren, unterscheiden sich und sind speziell auf die jeweilige Unternehmenskultur abgestimmt.

Anfang der 90er Jahre begann zum Beispiel McKinsey mit dem Aufbau von elektronischen Datenbanken, die den Kern eines Wissens-Management-Systems bilden. Die Mitarbeiter sind speziellen Kompetenz-Centern zugeordnet.

In vernetzten Datenbanken werden die Dokumente gespeichert, die die Kernstücke des Lernprozesses enthalten, die ein Team durchlaufen hat. Damit bleibt das erarbeitete Wissen nicht auf das Team oder eine einzelne Person beschränkt, sondern befindet sich für alle jederzeit online im Zugriff. Die einzelnen Projektdokumente beschreiben Aufgabenstellung, Vorgehensweise, Erfahrungen und abgeleitetes Wissen aus den Projekten.

Der in der Praxis schwierigste Teil bestand darin, die Projektmitglieder dazu zu bewegen, brauchbare Dokumente über ihren Lernprozeß anzufertigen.

Die Qualität der Datenbank, man kann sie durchaus als das zentrale Unternehmensgedächtnis bezeichnen, hängt ganz entscheidend von der Qualität dieser Dokumente ab. Bei McKinsey funktioniert dies, da in der extrem flachen Hierarchie des Unternehmens die Beförderung in die nächste Ebene auch davon abhängt, ob sich ein Mitarbeiter unter den Kollegen eine hohe Reputation erworben hat.

Die Mitarbeiter sind also gut beraten, die Dokumente so qualifiziert zu erstellen, daß sie von den anderen Mitarbeitern nachgefragt werden.

Den zentralen Unternehmensprozeß bildet die Projektarbeit. Die Teams sind je nach Qualifikation der einzelnen Mitarbeiter zusammengesetzt. Jeder kann in mehreren Projekten und in unterschiedlichen Funktionen tätig sein. Entscheidend für Gratifikation und Karriere sind Qualifikation für und erfolgreiche Arbeit in Projekten.

Am Ruf im internen Quasi-Markt arbeiten

Damit werden Kundenorientierung, Teamarbeit, Ausschöpfung interner Ressourcen, Kommunikation und Weitergabe von Erfahrungswissen stark gefördert. Das Verfahren, einzelne Projektgruppen zu bilden, gestaltet sich so, daß bei jeder eingehenden Kundenanfrage die Besonderheit der Aufgabenstellung beurteilt und danach der geeigneteste Berater bestimmt wird.

Die Auswahl des Projektleiters erfolgt nicht mehr ausschließlich nach formaler Zuständigkeit, Seniorität oder anderen äußerlichen Kriterien, mitentscheidend ist die Fülle an Erfahrung und Wissen. Der ausgewählte Projektleiter wird nun versuchen, weitere Berater für sein Projekt zu gewinnen. Wie auf einem internen Quasi-Markt sind Ruf und Marktwert eines Beraters durch die mehr oder weniger häufige Anforderung und durch erfolgreich abgeschlossene Projekte definiert. Mit diesem Verfahren erreicht das Beratungsunternehmen einen sehr hohen Grad an Flexibilität und Sensibilität gegenüber den Kundenanforderungen.

Angeklickt

Alle Projektdokumente werden bei der Dr. Böhmer, Uhrig 38; Partner in das Dokumenten-Management-System eingegeben und sind online für alle anderen Mitarbeiter verfügbar. Jeder Berater ist in der Lage, die Benutzeroberfläche nach seinen eigenen Bedürfnissen zu gestalten und einzurichten, um so seinen Wissensstand und -zuwachs zu visualisieren.

Workflow-Funktionalität verteilt die Informationen gezielt im Unternehmen und unterstützt die Mitarbeiter bei stark strukturierten und immer wiederkehrenden Prozessen. Alle Dokumente wie etwa Projektpläne, Studien und Konzepte lassen sich im System verknüpfen. Dadurch hat der Benutzer auf alle relevanten Informationen schnell Zugriff.

Entsprechend der im System abgebildeten Aufbauorganisation lassen sich einfach und flexibel Berechtigungen auf die gespeicherten Informationen festlegen. Weiterhin bietet Komponentensoftware die Möglichkeit, eigene Funktionseinheiten zu entwickeln, die auf die speziellen Bedürfnisse der Unternehmensberatung abgestimmt sind.

Die eingesetzte Projektkomponente unterstützt die Projektmitarbeiter bei der Eingabe und Visualisierung der erarbeiteten Ergebnisse und erlaubt Verweise auf bereits erarbeitetes Projektwissen. Die entstandenen Dokumente sind verschlagwortet und durch eine sehr flexible Recherche jederzeit auffindbar. Über das Internet kann jeder Mitarbeiter rund um die Uhr mit einem Internet-Browser nach Dokumenten und Ergebnissen suchen.

*Michael Gerhard ist Projekt-Manager bei Dr. Böhmer, Uhrig 38; Partner, Beratungsgesellschaft für Informations- und Prozeß-Management mbH, in Dreieich.