Forderung nach Endgeräte-unabhängiger Verkabelung liegt auf dem Tisch:

Von speziellen Kabel-Infrastrukturen abrücken

16.09.1988

"Verkabelung als Strategie", heißt das Motto für den Planer aber auch - und gerade - für das Management. Nach welchen Kriterien bei der Entwicklung einer solchen Strategie vorgegangen werden sollte, damit befaßt sich die Studie "Private Kommunikations-Infrastrukturen", die von der Com-Tool Dr. Boell & Partner GmbH in Zusammenarbeit mit der Datakom GmbH, Ismaning, angeboten wird. Paul Hoffmann* stellt mit diesem Beitrag in komprimierter Form einen Teil des Kapitels "Lokale Kommunikationsabwicklung, Verkabelung als Strategie" vor.

Die für die Zukunft erkennbare Entwicklung im Kommunikationsbereich ist im wesentlichen geprägt durch:

- Trend zu höheren Übertragungsraten zwischen Endgeräten, zum Beispiel:

ISDN - 144 KBit/s

IEEE 802.3 - 10 MBit/s

IEEE 802.4 - bis 10 MBit/s

IEEE 802.5 - bis 16 MBit/s

PCM 30 - 2048 MBit/s

FDD/IVD - 100 MBit/s + >

Die Infrastruktur eines Unternehmens sollte beziehungsweise muß für diese Entwicklungen ausgelegt werden.

. Aufhebung von bisherigen Abgrenzungen zwischen unterschiedlichen Kommunikationsarten.

Es lassen sich insbesondere technische Integrationsansätze bei Voice- und Non-Voice-Kommunikationsanwendungen erkennen, zum Beispiel durch Entwicklungen bei:

ISDN - 2x64 KBit/s für verschiedene Telekommunikationsdienste

IEEE 802.9 - Integrated Voice und Data LANs (=IVD)

FDDI II - Circuit und Packet Switch

CP-Ring - Circuit und Packet Switch (von Siemens)

. Stark wachsendes Bedürfnis am Arbeitsplatz, auf zusätzliche Informationen zugreifen und mit anderen kommunizieren zu können, also steigender Bedarf an Kommunikations-Infrastrukturen.

- Größere Handlungsfreiheit bei der Auswahl von:

- Anbietern von informationsverarbeitenden Systemen (zum Beispiel Endgeräten/Terminals, Rechnern, Netzen und so weiter). Auf diese Weise kann mehr Unabhängigkeit vom Hersteller erreicht werden.

- Netzarchitekturen, insbesondere hinsichtlich:

Topologien, Protokollabwicklung, Teilnehmer-Erreichbarkeit, sprich mehr Flexibilität.

- Backup-Strategien beziehungsweise -Konzeptionen für Notfallsituationen, also mehr Ausfallsicherheit der Systeme.

- Entwicklungen im Endgerätebereich sowie der Wunsch nach freizügiger Belegung von Arbeitsplätzen mit Mitarbeitern, die sehr unterschiedliche Informations- und Kommunikationsbedürfnisse haben.

Dies führt zur Forderung nach einer Endgeräte-unabhängigen Kommunikations-Infrastruktur zwischen den Arbeitsplätzen.

Generelle Forderungen an Kommunikations-Infrastrukturen:

- Endgeräte-unabhängig;

- Zukunftssicher hinsichtlich der Übertragungsrate;

- Freie Wahl der Systemtopologie;

- Investitionssicherheit über fünf bis zehn Jahre und länger;

- Organisatorische Flexibilität bei Umzügen.

Das strategische Infrastruktur-Konzept teilt die Kommunikations-Infrastruktur eines Betriebsgeländes (Bild 1) in zwei generelle Planungsbereiche auf.

Der bisherige Ansatz der Anbieter, für ihre Endgeräte jeweils spezielle Kabel-Infrastrukturen zu fordern, kann von Unternehmen in Zukunft nicht mehr hingenommen werden. Nur einige Beispiele für spezielle Kabel-Infrastrukturen seien genannt:

- IBM

Abgeschirmtes Kupferkabel gemäß IBM-Verkabelungssystem für die arbeitsplatznahen Bereiche und Lichtwellenleiter für größere Distanzen im Backbone-Bereich.

- Digital Equipment

50 Ohm Koaxialkabel als Yellow Cable im Backbone-Bereich und Thinwire Ethernet Cable für den arbeitsplatznahen Bereich.

- Nixdorf

75 Ohm Koaxialkabel für trägermodulierte Übertragung für den arbeitsplatznahen und Backbone-Bereich.

- Bundespost/ISDN

Vier verdrillte Kupferadern als S0-Bus für den arbeitsplatznahen Bereich.

In vielen Unternehmen wurden zur Erzielung einer gewissen Unabhängigkeit von Endgeräten bei der Infrastruktur bisher parallel mehrere Kabeltypen bis zum Arbeitsplatz verlegt. Dieser Ansatz sollte künftig aus Kosten- sowie aus technischen Gründen nicht mehr verfolgt werden.

Mehr strategische Handlungsfreiheit in der Informationsverarbeitung und in der Kommunikationsabwicklung ohne Zusatzinvestitionen im Infrastrukturbereich wird von allen Seiten gewünscht.

Die wesentlichen Merkmale einer Verkabelungsstrategie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Erstens: Zur Abwicklung der Informationsverarbeitung in Unternehmen kann eine heterogene Welt von Informationsverarbeitungs-Komponenten und deren spezifische Kommunikationsarchitektur dann am besten mittels LAN-Technologie realisiert werden, wenn man einen hierarchischen Aufbau wählt. Dieser sollte aus einem physikalischen und einem logischen Netz bestehen, das auf der Kommunikations-Infrastruktur (Bild 2) aufsetzt und die Abwicklung der Kommunikationswünsche durchführt.

Das LAN-Konzept besteht aus:

- Hierarchischer Verkabelung in einer sternförmigen Topologie für Voice- und Non-Voice-Kommunikation mit einer hierarchischen Anordnung von Konzentrationspunkten beziehungsweise Informations-/ Technik-Räumen, die einen definierten maximalen Versorgungsbereich zum Anschluß von Endgeräten unterstützen.

- Hierarchischen LANs für Non-Voice-Kommunikation.

- Hierarchischem Aufbau von ISDN-Nebenstellenanlagen zwischen Dialogteilnehmern für Voice- und Non-Voice-Kommunikation.

Zweitens: Das physikalische Netzwerk beinhaltet die verkabelungsabhängige Infrastruktur auf einem Betriebsgelände und besteht aus:

- Kabelsträngen

- Konzentrationspunkten oder Informations- beziehungsweise Technikräumen.

- Technischer Ausstattung der Konzentrationspunkte mit

Verteilerschränken,

Patchfeldern,

Logischen Netzwerkkomponenten und

dezentralen Informationsverarbeitungskomponenten.

Konsequenz: Ohne platzmäßige Bereitstellung für Konzentrationspunkte läßt sich keine zukunftsorientierte Infrastruktur aufbauen.

Drittens: Die Verkabelung erfolgt für alle Typen von Betriebsgeländen in einer Struktur (Bild 3) aus:

Primär-Verkabelung als Verbindung zwischen Gebäuden eines Betriebsgeländes (= Außenverkabelung bis zu einem gebäudezentralen Anschlußpunkt oder einem Gebäude-Verteiler als sekundärem Konzentrationspunkt) .

Sekundär-Verkabelung in Versorgungsschächten oder anderen geeigneten Verlegebereichen von einem gebäudezentralen Anschlußpunkt bis hin zu Konzentrationspunkten in Etagen

(= tertiäre Konzentrationspunkte) zur vertikalen Eröffnung einzelner Gebäude.

Tertiär-Verkabelung im arbeitsplatznahen Bereich zu einem tertiären oder etagenspezifischen Konzentrationspunkt, an dem der Übergang auf die höheren Verkabelungs-Hierarchien technisch durchgeführt werden kann.

Viertens: Die Infrastruktur für Voice- und Non-Voice-Kommunikation muß als integriertes System geplant und installiert werden. Dabei kann der empfohlene hierarchische Aufbau durch die Strukturierungsmöglichkeiten, die jetzt für ISDN-Nebenstellenanlagen gegeben sind, auf den Bereich Sprachkommunikation übertragen werden.

Fünftens: Im Backbone-Bereich, der aus

- primärer und

- sekundärer

Infrastruktur besteht, sind Technologien einzusetzen, die sich unter anderem durch folgende Eigenschaften auszeichnen:

- Die Topologie muß im Rahmen der Standardisierung nach IEEE 802.x oder nach FDDI definiert sein.

- Die eingesetzten Übertragungsmedien müssen eine mehrkanalige Kommunikationsabwicklung ermöglichen.

- Es müssen mit der jeweiligen Technologie einfache, ausfallsichere Strukturen auf der Basis des hierarchischen Ansatzes aufgebaut werden können,

- Zwischen Konzentrationspunkten müssen in Abhängigkeit von der Größe der Betriebsstätten Entfernungen bis zu mehreren Kilometern realisierbar sein.

Sechstens: Im Tertiär-Bereich ist ein Standardkabel zu fordern, das alle Informationsströme von und zu Endgeräten transportiert. Folgende Trends sind deutlich erkennbar:

- Büro/Verwaltung

Immer stärkere Nutzung der Telefonleitungen für Hochgeschwindigkeitsübertragung, zum Beispiel mit 10 MBit/s. Solche Produkte werden sich noch in den nächsten Monaten auf dem Markt etablieren.

- Produktion

Trägermodulierte (= Breitband) Technik und/oder Lichtwellenleiter (zum Beispiel bei MAP 3.0)

Ein Beispiel einer Auslegung des arbeitsplatznahen/tertiären Bereichs für eine

Büro-/Verwaltungsumgebung zeigt Bild 4, eine Produktionsumgebung Bild 5.

Empfehlung: Das physikalische Netzwerk als infrastrukturelle Grundlage für eine Kommunikationsabwicklung auf einem Betriebsgelände muß als übergreifende Struktur geplant werden.

Dieser hierarchische Aufbau einer strategisch gesehenen Verkabelung bietet nicht nur den Lösungsansatz für die künftige Kommunikationsabwicklung in den Unternehmen, sondern bietet zusätzlich noch folgende Vorteile:

- Einzelne Verkabelungsbereiche lassen sich nach Aufstellung des Gesamtkonzepts für ein Betriebsgelände zeitlich nacheinander realisieren, zeitlich segmentierte Investitionen sind also möglich.

- Existierende Infrastrukturen können, soweit sie für die durchzuführenden Kommunikationsabwicklungen noch eine Zeitlang geeignet sind, weiterverwendet werden. Die Umstellung auf die Gesamtstrategie erfolgt über eine Migrationsstrategie, die Investitionsschutz erlaubt, wie sie in Kapitel 8 der eingangs

erwähnten Studie erläutert wird.

- Man erhält eine besondere Flexibilität hinsichtlich:

- Ausfallsicherheit

- Wachstum im Endgeräte-Bereich

- Dimensionierung der Übertragungskapazität

- Technischer und kostenmäßiger Optimierung

- Test neuer Komponenten beziehungsweise Kommunikationsanwendungen

- Verkehrsströme können aufgeteilt und die Infrastruktur optimal an benötigte Übertragungsraten angepaßt werden, denn angepaßte Strukturen bringen höhere Flexibilität und geringere Kosten.

- Es lassen sich beliebige Topologien und LAN-Techniken realisieren. Damit können die Verkabelungsstrategie und das LAN-Produktangebot miteinander in Einklang gebracht werden, was die Schaffung von mehrfach verwendbaren Kabel-Infrastrukturen bedeutet.

- Eine Überwachung und ein betriebliches Beherrschen der Kommunikation wird wesentlich erleichtert. Zusätzlich wird eine Netzwerk-Managementkomponente auf der Schicht 0 möglich.

Grundsätzlich muß bei einer Verkabelungsstrategie und ihrer technischen Ausführung auch die Lebensdauer einer Kabel-Infrastruktur betrachtet werden. Die Lebensdauer der gesamten Infrastruktur oder auch von Teilen hängt von dem Lebensalter und der Nutzungsdauer von Gebäuden auf einem Betriebsgelände oder sogar von der Nutzungsdauer des Betriebsgeländes selbst ab.

Eine Empfehlung zum Schluß: Für eine Verkabelungsstudie muß die Lebensdauer der Infrastruktur festgelegt werden. Danach erfolgt die Auswahl der eingesetzten Techniken sowie der anzuschaffenden Komponenten.