Telefon-Banking als in manchen Faellen bessere Online-Alternative

Von Mensch-zu-Mensch mit menschenaehnlichen Computern

10.03.1995

Was hat Telefon-Banking mit Multimedia zu tun? Nichts und andererseits doch sehr viel - jedenfalls dann, wenn Spracherkennung durch Computer mit im Spiel ist. Ingo Zank* beschreibt anhand eines Projekts der Stadtsparkasse Duesseldorf, wie sich das in den Zeiten von Online- und Multimedia-Diensten fast schon banal erscheinende Bankgeschaeft via Telefon als die eigene Wettbewerbsposition staerkende Dienstleistung optimieren laesst.

"Guten Tag. Hier ist das Telefon-Banking der Stadtsparkasse Duesseldorf", meldet sich eine freundliche Stimme, wenn man die Duesseldorfer Telefonnummer 8782000 waehlt. Ein vollautomatisches Sprachcomputersystem nimmt die Auftraege der Kunden seit Mitte August letzten Jahres entgegen und sorgt fuer die puenktliche Ausfuehrung von Ueberweisungen und sonstigen Bankgeschaeften. Beispiele wie dieses sind der deutschen Finanzwirtschaft nicht mehr fremd, und der fuer so manchen deutschen Bankvorstand ueberraschende Telefon-Banking-Boom ist nicht ohne Auswirkung auf die gesamte Branche geblieben. Ueber kurz oder lang werden sich wohl auch andere Branchen den Moeglichkeiten dieser Technik nicht mehr verschliessen koennen.

Vorreiter des Telefon-Banking in Deutschland war zweifellos die Citibank. Sie hat es innerhalb nur kurzer Zeit geschafft, sehr viele Kunden von den Vorzuegen des Telefon-Banking zu ueberzeugen. Man hatte einen Service installiert, der sich auf eine Menge Telefonisten und Telefonistinnen stuetzte. Das ermoeglichte zwar die direkte Kommunikation von Mensch zu Mensch brachte aber auch einige Nachteile mit sich.

So waren und sind zum einen erhebliche Sicherheitsprobleme nicht wegzudiskutieren: Da bitten Anrufer, die ihr Kennwort vergessen haben, ihnen mal eben auf die Spruenge zu helfen. Und auch die Tatsache, dass Kontonummer und Kennwort vielen Bankmitarbeitern gegenueber genannt werden muessen, ist nicht ganz unproblematisch. Ausserdem erfordert die Mensch-zu-Mensch-Kommunikation einen erheblichen personellen Aufwand. Die Verfuegbarkeit eines solchen Telefonservices rund um die Uhr muss hier also sehr teuer erkauft werden - was natuerlich nicht ohne Auswirkung auf die Gebuehrenstruktur bleibt. Denn die andere denkbare Konsequenz waere, den Service auf bestimmte Uhrzeiten zu beschraenken, damit aber gleichzeitig den vielleicht wichtigsten Pluspunkt des Telefon- Banking zu verlieren.

Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass mit der Einfuehrung des Telefon-Banking eine neue Qualitaet im "Selbstbedienungsbereich" der Banken Einzug gehalten hat. Klaus-Peter Becker und Helmut Schlenger, die Projektverantwortlichen fuer das Telefon-Banking bei der Stadtsparkasse Duesseldorf, sehen denn auch in der immer wieder geaeusserten Erwartungshaltung der Kunden das entscheidende Motiv fuer die Einfuehrung solcher Loesungen. Mit anderen Worten: Es war eine Frage des Wettbewerbs und diente insbesondere zur Imagepflege. Rationalisierungseffekte stellen sich nach Ansicht beider Experten erst dann ein, wenn eine sehr grosse Zahl von Kunden diese neuen Moeglichkeiten in Anspruch nimmt.

Bereits im Oktober 1993 begann man bei der Stadtsparkasse Duesseldorf ueber ein eigenes Telefon-Banking-System zu diskutieren. Als zehntgroesstes Geldinstitut in der Bundesrepublik und Marktfuehrer im Privatkundenbereich im Raum Duesseldorf wollte man sich der Herausforderung stellen und ein zusaetzliches SB-/Home- Banking-Angebot etablieren. Dabei sollte nach Angaben von Becker und Schlenger die bereits vorhandene Palette sogenannter SB- Finanzdienstleistungen auch ausserhalb der regulaeren Oeffnungszeiten (zum Beispiel Geldautomaten, Kontoauszugdrucker, Btx-Home-Banking sowie oeffentliche Dialogterminals) durch das Telefon-Banking ergaenzt und abgerundet werden.

Bei der nachfolgenden Produktauswahl hat man es sich in Duesseldorf nicht leichtgemacht; Angebote verschiedener Anbieter wurden eingeholt, bereits existierende Telefon-Banking-Anwendungen begutachtet und die dort gemachten Erfahrungen diskutiert. "Eine wirtschaftliche Loesung war nur mit Hilfe eines im Prinzip vollautomatisch arbeitenden Systems zu realisieren", laesst Schlenger die Entscheidungsfindung Revue passieren.

Bei vielen Telefon-Banking-Anwendungen erfolgen saemtliche Zifferneingaben ausschliesslich mit Hilfe der Telefontastatur. Dazu ist allerdings entweder ein MFV-faehiges Telefon (MFV = Mehrfrequenzwahlverfahren) oder ein MFV-Tonsignalgeber erforderlich, wie er beispielsweise auch zur Fernabfrage von Anrufbeantwortern eingesetzt wird. "Keines der angebotenen Systeme verfuegte ueber alle von uns geforderten Eigenschaften. Besonderen Wert legten wir auf die direkte Steuerung durch Spracheingaben. Das Arbeiten mit Tongebern ist viel zu umstaendlich und schwierig. Gleiches gilt fuer das Umschalten von Tastentelefonen auf MFV-Wahl. Darueber hinaus machen manche Telefonanlagen die ganze Muehe wieder zunichte, indem sie die Toene beim Uebergang zum oeffentlichen Netz wieder in unbrauchbare Impulse umwandeln", plaudert Becker aus dem Naehkaestchen.

Weitere Wuensche der Stadtsparkasse - vor allem aus Sicherheitsgruenden und um fehlgelaufene Ueberweisungen zu vermeiden - waren der Transfer von Ueberweisungsdaten an das Rechenzentrum im genormten Datentraeger-Austauschverfahren der Banken und Sparkassen (DTA) und der automatische Abgleich von Kontonummer und Bankleitzahl direkt bei der Dialogeingabe.

Konzeptphase schon nach zwei Monaten beendet

Zudem wurde auch der moeglichst individuellen Gestaltung des Dialogs mit dem Sprachcomputer grosse Bedeutung beigemessen: Um den Sympathievorsprung der Mensch-zu-Mensch-Kommunikation auszugleichen und den Telefondialog spaeter problemlos aendern zu koennen, wurde eine Mitarbeiterin der Sparkasse fuer die Telefonservice-Stimme ausgewaehlt.

Im Maerz 1994 war dann die Entscheidung zugunsten der Siemens- Nixdorf AG als Generalunternehmer und die GSSE Gesellschaft fuer Systemtechnik und Software-Entwicklung mbH aus Braunschweig als Lieferant und Systemintegrator gefallen. "Insgesamt erschienen uns die Produkte ausgereifter und besser auf unsere Beduerfnisse zugeschnitten. Ausserdem konnten wir auf Software-Entwicklung und Dialogfuehrung erheblichen Einfluss nehmen. Und natuerlich hat auch der Preis eine wichtige Rolle bei der Entscheidung gespielt", berichtet Schlenger.

Mit eine Besonderheit des ausgewaehlten Systems ist die Integration von Spracherkennung und MFV-Wahl unter einer einheitlichen Oberflaeche. Auf diese Weise kann jeder Teilnehmer frei zwischen Sprachdialog oder MFV-Eingaben waehlen. Nachdem das Projekt erst einmal in Gang gekommen war, gab es im weiteren Verlauf keine unliebsamen Ueberraschungen. Bereits nach zwei Monaten war die Konzeptphase beendet, und weitere zwei Monate spaeter, im Juli 1994, konnte mit der Testinstallation begonnen werden. Am 15. August 1994 war dann der grosse Tag: Freigabe fuer den Kundenbetrieb.

Erich Schulze, Produktverantwortlicher fuer Telefonservicesysteme bei der GSSE, erlaeutert die Bedeutung der Spracherkennung: "Die in vielen Faellen erforderliche umstaendliche und uneinheitliche Umschaltung zwischen Pulswahl und MFV bedeutet eine unnoetige Verkomplizierung der Bedienung." Ausserdem seien, so der Telefon- Banking-Spezialist, nur rund 20 bis 30 Prozent aller in Deutschland installierten Telefonanschluesse fuer das MF- Wahlverfahren geeignet. Auch Signalgeber stellten in dieser Situation keine Alternative dar. So haetten sich beispielsweise nur 15 von 400 000 Postbank-Telefon-Banking-Kunden einen Signalgeber gekauft. Spracherkennung und Sprachdialog seien daher besonders wichtige Merkmale einer guten Loesung.

Spracherkennung durch Computer ist heute keine Sensation mehr, solange sie sich auf immer denselben Sprecher bezieht (sprecherabhaengige Lernphase). Bei der wachsenden Zahl von Telefon-Banking-Anwendern muss aber ein funktionsfaehiges System vollkommen sprecherunabhaengig und ohne Lernphase einsatzfaehig sein. Dazu werden fuer die zu erkennenden Worte moeglichst viele sogenannte Sprach-Samples aufgesprochen, durchschnittlich mehr als 800 pro Wort. Je zahlreicher und repraesentativer diese Sprachmuster sind, desto besser ist die Qualitaet der Spracherkennung. Die dafuer notwendige Rechenleistung wird bei den Duesseldorfer Bankern von einem Multiprozessorsystem auf Basis eines Echtzeit-Unix-Betriebssystems erbracht.

Auch die Leitungsqualitaet des analogen Telefonnetzes hat Auswirkungen auf die Spracherkennung: "Probleme mit der Spracherkennung haben wir nur bei Analog-Anschluessen. Mit ISDN- Kunden hatten wir noch nie Schwierigkeiten", unterstreicht Schlenger. Eine weitere Besonderheit der Telefon-Banking-Anwendung bei der Stadtsparkasse Duesseldorf ist die Online-Anbindung an das Sparkassen-Rechenzentrum Rheinland (SRZ) - was unter anderem bewirkt, dass der Kunde immer seinen aktuellen Kontostand erhaelt.

Schon innerhalb der ersten vier Monate nach dem offiziellen Betriebsbeginn liessen sich rund 2000 Personen von den Vorzuegen des Systems ueberzeugen, und monatlich kommen derzeit etwa 150 neue Kunden hinzu. Einige wenige kurze Ausfaelle des Systems in den ersten Betriebswochen zeigten, wie schnell man sich an den neuen Service gewoehnen kann. Die ironische Frage, wann denn die Telefon- Banking-Dame wieder aus dem Urlaub zurueck sei, war wohl noch die sanfteste Form denkbarer Beschwerden. Vor allem Kunden aus den regionalen Einzugsbereichen bietet der neue Service ja auch eine grosse Erleichterung. So ist ein Bankauftrag per Sprachdialog mit dem Computer in gut drei Minuten abgewickelt - rund um die Uhr und von jedem Telefon aus.

Die dafuer bei der Stadtsparkasse Duesseldorf erforderlichen Systeme nehmen sich recht bescheiden aus: Installiert wurden neben dem Sprachverarbeitungssystem, an das acht Telefonleitungen parallel angeschlossen sind, noch ein SNI-Unix-Rechner des Typs RM 400/220 mit 64 MB Hauptspeicher und einem Risc/Mips-Prozessor mit 50 beziehungsweise 100 Megahertz Taktrate. Dazu kommen ein 1-GByte-Festplattensystem, CD-ROM- und Magnetbandkassetten-Laufwerke sowie einige Bearbeitungsbildschirme und Drucker, die insbesondere fuer die Nachbearbeitung von Vorgaengen und das Ausdrucken von PIN-Mitteilungen (Personal Identification Number) notwendig sind.

Als Betriebssysteme kommen Sinix 5.41 beziehungsweise eine Oracle- Datenbank zum Einsatz. Kernstueck der Loesung ist die GSSE-Telefon- Banking-Software. Insgesamt wurden von der Stadtsparkasse Duesseldorf rund 500000 Mark in Hardware, Software und Entwicklung investiert. Doch es gibt noch viel zu tun. So lassen sich mit der heute verfuegbaren Spracherkennungstechnik nicht alle Spracheingaben automatisch weiterverarbeiten. Nur die Ziffern Null bis Neun und die Worte "ja" und "nein" werden erkannt. Allerdings sind diese Begriffe in nahezu allen wichtigen Sprachen verfuegbar. Damit werden bei der Eingabe eines Ueberweisungsauftrags alle numerischen Angaben direkt erfasst und automatisch in der Datenbank gespeichert. Die verbleibenden alphanumerischen Eingaben einer Bankueberweisung (Empfaengername und Ueberweisungsgrund) werden vom Sprachverarbeitungssystem digital aufgezeichnet. Hierfuer ist eine manuelle Nachbearbeitung erforderlich.

Mit Hilfe eines automatisch vergebenen Auftragkennzeichens werden die Sprachaufzeichnungen dem im uebrigen fertig ausgefuellten Auftrag zugeordnet. Ein Mitarbeiter der Stadtsparkasse ergaenzt die offengebliebenen Felder der elektronischen Ueberweisung nach dem Diktat aus dem Sprachverarbeitungssystem. Der personelle Aufwand hierfuer ist gering, da alle Auftraege zu festen Zeiten nachbearbeitet werden.

Natuerlich gibt es noch Verbesserungswuensche. Dazu Schlenger: "Das Erstellen von PIN-Benachrichtigungen nach Eingabe der Kundenstammdaten ist zwar ein sehr sicheres Verfahren, aber fuer unsere Neukunden mit etwas Unbequemlichkeit verbunden." Um die PIN-Mitteilung abzuholen, muss der Kunde die Geschaeftsstelle spaeter noch einmal aufsuchen. Besser waere es nach Schlengers Ansicht, die PIN-Mitteilungen auf Vorrat zu drucken und dem Kunden sofort bei Vertragsabschluss zu ueberreichen. Vor allem aber sollte an der Spracherkennung weitergearbeitet werden: Weitere erkannte Worte wie beispielsweise "Kontostand" oder "weiter" wuerden die Bedienung noch erleichtern. Zudem waere ein "Experten-Modus" bei der Spracheingabe wuenschenswert fuer solche Kunden, die haeufig mit dem System umgehen.

Erich Schulze von der GSSE denkt inzwischen noch viel weiter: "Telefonservice rund um die Uhr ist doch fuer fast alle Branchen interessant, nicht nur fuer Banken und Sparkassen." Neben der Kostenersparnis bei Routineauftraegen sieht der Experte vor allem in der angesichts des zunehmenden europaeischen Wettbewerbs notwendigen Steigerung der Servicequalitaet einen Markt fuer entsprechende Loesungen. Abonnentenverwaltung, Bestellwesen, Transport-, Flug- und Bahninformationen liessen sich, wie er meint, mit derartigen Systemen kundengerecht und gleichzeitig kostenguenstig abwickeln.

Dabei wird es darauf ankommen, diese neuen Moeglichkeiten als Teil eines uebergeordneten Ganzen zu verstehen. Neben den Telefonservicesystemen haben auch die anderen Selbstbedienungs- Dienstleistungen wie beispielsweise diverse Datex-J-/Btx-Services, oeffentliche Terminals und Drucksysteme, Fax und Call-Fax etc. weiterhin ihre spezifische Berechtigung.

Home-Banking via Selbstbedienungs-Server

Auch in diesem Umfeld ist die ganzheitliche Betrachtungsweise entscheidend fuer den Erfolg. Nur wenn der Kunde aus einem Gesamtangebot die fuer ihn sinnvollste Einzelloesung auswaehlen kann, ist eine dauerhafte Akzeptanz zu erwarten. Zu Hause ist es vielleicht sinnvoll, Home-Banking per Btx vom PC aus zu nutzen, waehrend die Kontostandabfrage vom Urlaubsort aus am bequemsten mit Telefon-Banking erfolgt. Und falls eine direkte Buchungsbestaetigung benoetigt wird, hilft vielleicht am ehesten ein automatisch generiertes Fax weiter.

Vielleicht macht dies in Zukunft aber auch eine Art "Selbstbedienungs-Server", der auf Basis einer Client-Server- Architektur die verschiedenen Bedienungsoberflaechen vom Telefon mit Spracherkennung, Datex-J/Btx mit PC-Kopplung, Geldautomaten, POS-Systemen, oeffentlichen Terminals etc. kombiniert und unterstuetzt - an Stelle der vielen, bis dato meist noch verwendeten Inselloesungen. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde jedenfalls in Duesseldorf getan.